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19. Der Ruf des Lebens
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2% 1. Jahr
Pnene
Der iiterRr
Rundschau.
25
AEAAAAA
Theater.
man gewohnt, das Groteske im Voraus zuzu¬
Hof-Operatheater. „Die Meister¬
gestehen, und dann siegt das Genie, wie es will.
und ein¬
singer von Nürnberg“ neuszeniert
Auch Schnitzler beansprucht nicht mehr, und
studiert. Bericht im nächsten Heft.
siehe, das Publikum hat es nach einigem Zaudern
zugestanden. Das Berliner Publikum nicht, trotz
Bassermann und Rittner. Ich denke nur immer,
die Berliner müssen durch den Hauptmann von
1u Der Ruf des Lebens.
Köpenick auch gegen sonderbare Obersten vor¬
(Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnihler.
sichtiger geworden sein. Die großen Kräfte, die
Im Deutschen Volkstheater am 11. Dezember 1000.)7%
wirken müssen, sind aber in dem Stück un¬
leugbar vorhanden. Dem Ruf des Lebens nicht
Ich freue mich immer mehr über einen
zu folgen, ist ein großes Verbrechen gegen sich
unerwarteten als über einen sicheren Erfolg,
selbst. Vergiß nicht zu leben! Versäume nicht,
der einem wirklichen Dichter zufällt. Denn da
was sich einmal und vielleicht nicht wieder
zeigt es sich, daß der Dichter denn doch stär¬
bietet! Ach, das gehört zum Tiefmenschlichsten
ker gewesen als das Dublikum. Es wollte erst
in der ganzen Menschheit. Das ist der bitterste
nicht, aber es mußte. Schnißler baut dieses
Gewissensbiß. Das ist das Unwiederbringlichste.
Stück auf eine Unmöglick keit und deckt es
Da kann ein lebendiger Zuschauer nicht zischen.
dann mit einem einstweiligen Hotdach, aber
Und das ist der warme Inhalt des Stückes,
es ist dennoch ein Stück, innen und außen, so
Marie und Max, Katharina und Albrecht.
sehr, daß man das Unreelle der Realien nicht
Katharina ging gleich, denn die Schwindsüchtige
spürt. Daß man sozusagen über sie hinweg
hat nicht Zeit zu fackeln. Marie, an den tod¬
empfindet. Daß ein Oberst, weil sein Leutnant
kranken Vater gefesselt, geht erst im allerletzten
Max die Frau verführt hat, gleich das ganze
Rugenblick, knapp vor Maxens Todesritt. Muß
Regiment vertilgen will, ist in der Geschichte
sie nicht? Diese fünfzig Geschworenenbänke
des Massenmordes unerhört. Daß ein Regimen,
im Theater sprechen sie frei. Obgleich sie das
weil es vor dreißig Jahren von Panik ergriffen
Morphium für ihren Vater zu stark dosierte,
den Verlust einer Schlacht einleitele, zur Til¬
als er im dringendsten Rugenblick den Schlüssel
gung dieser Schmach sich im nächsten Kriege
abzog, um sie auch für diese Nacht zur Stuben¬
mit Mann und Maus aufopfern will, daß Mann
arrestantin und Nachtwächterin seiner Schlaf¬
und Maus schoört, nicht etwa zu siegen, Son¬
losigkeit zu machen. Dieser grausame Vater
dern auf alle Fälle zu sterben, das ist in der
mit der Überlebermani;; ein Sterbender, der
Geschichte des Eides noch nicht vorgekommen.
noch alles überleben will. Der jauchzt, daß er
Und daß das vor sechzig Jahren in Wien
diese tausend blühenden Jünglinge in den Tod
öffentlich vorgeht, ohne daß der Feldherr, der
schickt, er, er, denn er war vor dreißi, Jahren
Kriegsminister oder der oberste Kriegsherr ein¬
Rittmeister bei diesem Regiment und bei ihm
greift, ist in der Geschichte unsrer Kriegsver¬
hat jene Panik angefangen! Die Wonne eines
waltung ohne Beispiel. Also eine groteske
Massenmörders würzt ihm das eigene Sterben,
Kombination von Leben und Tod: dem Ruf des
das er für ein Lebenbleiben hält. Mit schauer¬
Lebens, den alles Lebende spürt, so den Ruf
licher Kunst hat Schnitzler, der Arzt, diese
des Todes entgegenzustellen, Natürlich bäumt
Krankengeschichte dramatisiert. Der erste Akt
sich der Zuschauer auf. Aber doch auch nicht
ist an sich ein Meisterdrama, ein tragischer
anders, als bei so vielen Dramen Shakespeares,
Einakter. Auch in seiner theatralischen Zu¬
Gocthes, lbsens. Man stelle sich doch vor,
spitzung. Dann übertrifft ihn der zweite noch
wenn Schnitzler ein Stück Fleisch zunächst dem
an szenischer Durchschlagskraft. Wie der Oberst
Herzen fordern würde, oder sein Vermögen
klirrend zum Fenster hereinsteigt, als seine Frau
den bösen Töchtern hingeben, oder den Mord
eben Max bestürmt, mit ihr zu fliehen. Der
in ein Taschentuch wickeln. Bei den Alten ist
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19. Der Ruf des Lebens
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Theater.
man gewohnt, das Groteske im Voraus zuzu¬
Hof-Operatheater. „Die Meister¬
gestehen, und dann siegt das Genie, wie es will.
und ein¬
singer von Nürnberg“ neuszeniert
Auch Schnitzler beansprucht nicht mehr, und
studiert. Bericht im nächsten Heft.
siehe, das Publikum hat es nach einigem Zaudern
zugestanden. Das Berliner Publikum nicht, trotz
Bassermann und Rittner. Ich denke nur immer,
die Berliner müssen durch den Hauptmann von
1u Der Ruf des Lebens.
Köpenick auch gegen sonderbare Obersten vor¬
(Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnihler.
sichtiger geworden sein. Die großen Kräfte, die
Im Deutschen Volkstheater am 11. Dezember 1000.)7%
wirken müssen, sind aber in dem Stück un¬
leugbar vorhanden. Dem Ruf des Lebens nicht
Ich freue mich immer mehr über einen
zu folgen, ist ein großes Verbrechen gegen sich
unerwarteten als über einen sicheren Erfolg,
selbst. Vergiß nicht zu leben! Versäume nicht,
der einem wirklichen Dichter zufällt. Denn da
was sich einmal und vielleicht nicht wieder
zeigt es sich, daß der Dichter denn doch stär¬
bietet! Ach, das gehört zum Tiefmenschlichsten
ker gewesen als das Dublikum. Es wollte erst
in der ganzen Menschheit. Das ist der bitterste
nicht, aber es mußte. Schnißler baut dieses
Gewissensbiß. Das ist das Unwiederbringlichste.
Stück auf eine Unmöglick keit und deckt es
Da kann ein lebendiger Zuschauer nicht zischen.
dann mit einem einstweiligen Hotdach, aber
Und das ist der warme Inhalt des Stückes,
es ist dennoch ein Stück, innen und außen, so
Marie und Max, Katharina und Albrecht.
sehr, daß man das Unreelle der Realien nicht
Katharina ging gleich, denn die Schwindsüchtige
spürt. Daß man sozusagen über sie hinweg
hat nicht Zeit zu fackeln. Marie, an den tod¬
empfindet. Daß ein Oberst, weil sein Leutnant
kranken Vater gefesselt, geht erst im allerletzten
Max die Frau verführt hat, gleich das ganze
Rugenblick, knapp vor Maxens Todesritt. Muß
Regiment vertilgen will, ist in der Geschichte
sie nicht? Diese fünfzig Geschworenenbänke
des Massenmordes unerhört. Daß ein Regimen,
im Theater sprechen sie frei. Obgleich sie das
weil es vor dreißig Jahren von Panik ergriffen
Morphium für ihren Vater zu stark dosierte,
den Verlust einer Schlacht einleitele, zur Til¬
als er im dringendsten Rugenblick den Schlüssel
gung dieser Schmach sich im nächsten Kriege
abzog, um sie auch für diese Nacht zur Stuben¬
mit Mann und Maus aufopfern will, daß Mann
arrestantin und Nachtwächterin seiner Schlaf¬
und Maus schoört, nicht etwa zu siegen, Son¬
losigkeit zu machen. Dieser grausame Vater
dern auf alle Fälle zu sterben, das ist in der
mit der Überlebermani;; ein Sterbender, der
Geschichte des Eides noch nicht vorgekommen.
noch alles überleben will. Der jauchzt, daß er
Und daß das vor sechzig Jahren in Wien
diese tausend blühenden Jünglinge in den Tod
öffentlich vorgeht, ohne daß der Feldherr, der
schickt, er, er, denn er war vor dreißi, Jahren
Kriegsminister oder der oberste Kriegsherr ein¬
Rittmeister bei diesem Regiment und bei ihm
greift, ist in der Geschichte unsrer Kriegsver¬
hat jene Panik angefangen! Die Wonne eines
waltung ohne Beispiel. Also eine groteske
Massenmörders würzt ihm das eigene Sterben,
Kombination von Leben und Tod: dem Ruf des
das er für ein Lebenbleiben hält. Mit schauer¬
Lebens, den alles Lebende spürt, so den Ruf
licher Kunst hat Schnitzler, der Arzt, diese
des Todes entgegenzustellen, Natürlich bäumt
Krankengeschichte dramatisiert. Der erste Akt
sich der Zuschauer auf. Aber doch auch nicht
ist an sich ein Meisterdrama, ein tragischer
anders, als bei so vielen Dramen Shakespeares,
Einakter. Auch in seiner theatralischen Zu¬
Gocthes, lbsens. Man stelle sich doch vor,
spitzung. Dann übertrifft ihn der zweite noch
wenn Schnitzler ein Stück Fleisch zunächst dem
an szenischer Durchschlagskraft. Wie der Oberst
Herzen fordern würde, oder sein Vermögen
klirrend zum Fenster hereinsteigt, als seine Frau
den bösen Töchtern hingeben, oder den Mord
eben Max bestürmt, mit ihr zu fliehen. Der
in ein Taschentuch wickeln. Bei den Alten ist
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