II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 334

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19. Der Ruf des Lebens
Wiener Theater
Wom Wien
Arthur Schnitzler
Arthur Schnitzlers Schaulpiel Ruf des Lebense ist
aus Fragöchenaterfäterbaut. Tragilche Einzellchicklale,
nur lole durch die Handlung verbunden, Rtehen vor
unleren Augen. Die Vorgänge folgen an zweiter
Stelle, die ldee, die in ihnen zum Ausdruck kommt,
bildet den eigentlichen Inhalt des Dramas. Es ilt keine
Haupthandlung vorhanden, londern ein Hauptgedanke
und alle Perlonen, die auftreten, lind Nebenperionen:
die wirklichen Helden lind die abltrakten Begriffe von
Tod und Leben. — Da ilt ein Mädchen, delfen Jugend
in der Pflege des kränklichen, nebenbei auch bos¬
haften und lozial wertlolen, Vaters verkümmert. Moral
und Tradition wollten es lo. Sie ermordet den Vater
und findet ihren Weg ins Freie, in die Arme des Ge¬
liebten. — Eine andere lungenkrank und frühem Tode
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bewirkt das Wort vom Tode. Irgendwo ist es zuerst
gefallen. Das Regiment der blauen Küraliiere lolle, eine
alte Schuld zu fühnen, bevor es in die Schlacht zieht,
lich dem Tode weihen. Der Oberlt mag es ausgelprochen
haben, dellen Leben von Mißtrauen und Eiferlucht unter¬
wühlt und zerfreilen ist. Mit der Intenlität einer Seuche
hat die Idee um lich gegriffen. Schon ist der Schwur
geleiltet, der keinem dieler jungen, kraftvollen Menichen,
die unter der Fahne des Regiments ausziehen, die Rück¬
kehr erlaubt. Und lo lteht plötzlich im Leben des All¬
tages das Gelpenlt der Vergänglichkeit. Die Angehörigen
det Regiments und alle, die für einen von dielen fühlen,
lehen ihm ins Auge. Der Anblick wirkt entgegengeletzt
jenem des Medulenhauptes; er belebt, das Starre be¬
ginnt lich zu regen, aus der Verlteinerung der Sitte her¬
vor bricht frilches Leben, Jener eilge Hauch, der lekunden¬
lang über die Schicklale der Menichen hinwegging, hat
alle Felleln der Empfindung gelprengt, alle künltlichen
Hemmungen zerbrochen. Zum Umwerter aller Lebens¬
werte wird der Tod; es lchweigen die Stimmen von
Pflicht, Herkommen und Gewohnheit, aber die Sehnlucht
nach dem Glück, die bisher ein leiles Flültern blieh,
Ichwillt an zu einem gewaltigen Schrei: das ilt der Ruf
des Lebens; hier nur ein Echo, das erst der Ruf des
Todes weckte. — Die ldee ilt zweifellos schön und tief.
Aber lie kommt nur glaubhaft, nicht zwingend zum Aus¬
druck. Das ltarke, Verltehen und der dichterilche Takt
Arthur Schnitzlers erlauben ihm, das Große zu behandeln,
und es bleibt groß unter leinen Händen; aber, ein Zuviel
an Takt scheint ihm das felte Zugreifen der ldee gegen¬
über zu verwehren. Als ob er vor dielem Stoffe teil¬
weile auf lein künltlerilches Herrenrecht, ihn nach Belieben