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19. Der Ruf des Lebens
Oe. Cie
481
von Gemälden und Statuen vor dem Brand zu besuchen. Wenn auch in diesen
Gemächern alles den ererbten Tuxus aufwies, der das unnachahmliche Cachet
großer Herrschaften bildet, so verrieten doch verschiedene Details die Originalität,
ja fast die Sonderlichkeiten des Besitzers.
2
Arthur Schnitzlers „Ruf des Lebens“.
Don Cheodor Antropp.
Lange hat es gebraucht, bis Arthur Schnitzlers Schauspiel „Der Ruf des
Lebens“* auf dem Umweg über Berlin bei einer Wiener Bühne angekommen ist.
Fast volle vier Jahre. Nun es doch auch bei uns ein gastlich Dach gefunden, sei
über die Seltsamkeit, daß unsere Bühnen sich so gerne Zeit lassen, wenn es sich
um heimische Dramatiker handelt, während ihnen die Übersetzer fremdländischer
Werke nicht schnell genug liefern können, nicht weiter geklagt. Besser später, als
gar nicht. Und Schnitzlers letztes Schauspiel ist nicht von der flüchtigen Art, daß
es leicht zu spät kommen könnte. Im Gegenteil: es bringt poetische Dauer¬
werte, die unabhängig sind vom Wandel der literarischen Tagesmoden, unabhängig
auch von der Augenblicksgunst der breiten Menge, die lieber erheitert sein will,
als ernst gestimmt und lieber wiederkaut, als geistig mitarbeitet, und ein gebildeter
Geschmack wird ihm auch noch in späteren Jahren Tiefe der Auffassung und ernste
Größe des Gedankenzuges ehrlich nachrühmen können. Nach dem sordinierten
„Zwischenspiel“ schlägt Arthur Schnitzler im „Ruf des Lebens“ eine an ihm un¬
gewohnt kräftige Tonart an und die beiden ersten Akte sind nach seinem „Grünen
Kakadu“ und seinem „Schleier der Beatrice“ das theatralisch stärkste und dramatisch
geschlossenste, was die deutsche Bühne aus seiner Feder besitzt. Der eine gipfelt in
einem Datermord, der andere in einem Gattenmord. Wer aber daraus auf rohe
Effekthascherei schließen wollte, befindet sich auf einem Irrweg. Nicht die äußeren
Bühnengeschehnisse bilden das Drama, sondern die tiefer liegenden Zusammenhänge,
die geheimnisvolle Fäden zwischen Sein und Nichtsein, Wonne und Weh spinnen.
Das Widerspiel von Tod und Leben ist ein von Schnitzler gern variiertes
Thema. Auch der „Ruf des Lebens“, der über „Untreue, Buhlerei und Mord“
zur Resignation führt, ist nur eine Dariante davon. Allerdings eine Dariante, in
der Lebenslust und Todesgrauen sich zu den seltsamsten Disharmonien mischen, um
sich in leise verklingende Mollakkorde aufzulösen. Die Schatten des Todes huschen
gespensterhaft über jede Szene und den düsteren Hintergrund bildet ein Regiment,
das dem unabwendbaren Untergang geweiht ist. Und in diesem Regiment befindet
sich ein junger Offizier, der die arme Marie in einer Ballnacht zu einem flüchtigen
Liebesleben wachgeküßt hat. Tagein, tagaus an das Krankenbett ihres egoistisch¬
trrannischen Daters gebannt, hat sie ihrem Bräutigam, einem ehrsamen Forst¬
adjunkten, den Abschied gegeben und fristet in der Erinnerung an die eine berau¬
schende Ballnacht ein kümmerliches Scheindasein. Wie sehr ihm auch der Arzt und
die Schwägerin zureden, Marie von Zeit zu Zeit freizugeben, umsonst. Der neun¬
undsiebzigjährige Männ läßt nicht locker. „Sechsundzwanzig Jahre. Zeit genug“,
* Im Deutschen Dolkstheater zum ersten Male aufgeführt am 11. Dezember 1909.
19. Der Ruf des Lebens
Oe. Cie
481
von Gemälden und Statuen vor dem Brand zu besuchen. Wenn auch in diesen
Gemächern alles den ererbten Tuxus aufwies, der das unnachahmliche Cachet
großer Herrschaften bildet, so verrieten doch verschiedene Details die Originalität,
ja fast die Sonderlichkeiten des Besitzers.
2
Arthur Schnitzlers „Ruf des Lebens“.
Don Cheodor Antropp.
Lange hat es gebraucht, bis Arthur Schnitzlers Schauspiel „Der Ruf des
Lebens“* auf dem Umweg über Berlin bei einer Wiener Bühne angekommen ist.
Fast volle vier Jahre. Nun es doch auch bei uns ein gastlich Dach gefunden, sei
über die Seltsamkeit, daß unsere Bühnen sich so gerne Zeit lassen, wenn es sich
um heimische Dramatiker handelt, während ihnen die Übersetzer fremdländischer
Werke nicht schnell genug liefern können, nicht weiter geklagt. Besser später, als
gar nicht. Und Schnitzlers letztes Schauspiel ist nicht von der flüchtigen Art, daß
es leicht zu spät kommen könnte. Im Gegenteil: es bringt poetische Dauer¬
werte, die unabhängig sind vom Wandel der literarischen Tagesmoden, unabhängig
auch von der Augenblicksgunst der breiten Menge, die lieber erheitert sein will,
als ernst gestimmt und lieber wiederkaut, als geistig mitarbeitet, und ein gebildeter
Geschmack wird ihm auch noch in späteren Jahren Tiefe der Auffassung und ernste
Größe des Gedankenzuges ehrlich nachrühmen können. Nach dem sordinierten
„Zwischenspiel“ schlägt Arthur Schnitzler im „Ruf des Lebens“ eine an ihm un¬
gewohnt kräftige Tonart an und die beiden ersten Akte sind nach seinem „Grünen
Kakadu“ und seinem „Schleier der Beatrice“ das theatralisch stärkste und dramatisch
geschlossenste, was die deutsche Bühne aus seiner Feder besitzt. Der eine gipfelt in
einem Datermord, der andere in einem Gattenmord. Wer aber daraus auf rohe
Effekthascherei schließen wollte, befindet sich auf einem Irrweg. Nicht die äußeren
Bühnengeschehnisse bilden das Drama, sondern die tiefer liegenden Zusammenhänge,
die geheimnisvolle Fäden zwischen Sein und Nichtsein, Wonne und Weh spinnen.
Das Widerspiel von Tod und Leben ist ein von Schnitzler gern variiertes
Thema. Auch der „Ruf des Lebens“, der über „Untreue, Buhlerei und Mord“
zur Resignation führt, ist nur eine Dariante davon. Allerdings eine Dariante, in
der Lebenslust und Todesgrauen sich zu den seltsamsten Disharmonien mischen, um
sich in leise verklingende Mollakkorde aufzulösen. Die Schatten des Todes huschen
gespensterhaft über jede Szene und den düsteren Hintergrund bildet ein Regiment,
das dem unabwendbaren Untergang geweiht ist. Und in diesem Regiment befindet
sich ein junger Offizier, der die arme Marie in einer Ballnacht zu einem flüchtigen
Liebesleben wachgeküßt hat. Tagein, tagaus an das Krankenbett ihres egoistisch¬
trrannischen Daters gebannt, hat sie ihrem Bräutigam, einem ehrsamen Forst¬
adjunkten, den Abschied gegeben und fristet in der Erinnerung an die eine berau¬
schende Ballnacht ein kümmerliches Scheindasein. Wie sehr ihm auch der Arzt und
die Schwägerin zureden, Marie von Zeit zu Zeit freizugeben, umsonst. Der neun¬
undsiebzigjährige Männ läßt nicht locker. „Sechsundzwanzig Jahre. Zeit genug“,
* Im Deutschen Dolkstheater zum ersten Male aufgeführt am 11. Dezember 1909.