II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 373

„Der Ruf des Lebens.“
Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnf
Aene
Zum erstenmale.
Schnitzler, einer der liebenswürdigsten Poeten
der neuen Wiener Richtung ist Arzt; die Phathologie
ist auch der Grundzug seiner dichterischen Arbeiten,
in denen er mit Vorliebe das Problem des Todes
behandelt — ein Problem, das für den ernsten
Denker nur die unvermeidliche Kehrseite der Leben:¬
freude darstellt. Ein solches Spiel mit dem Seusen¬
mann, vor dessen Angesicht sich ein armes gequältes
Menschenkind sinnlos in den Strudel des wild auf¬
schäumenden Lebens stürzt, ist unsere jüngste Neuheit.
Das Schauspiel wurde bereits im Jahre 1909 im
Berliner Lessingtheater aufgeführt. Schnitzler hat
seitdem einige Aenderungen daran vorgenommen,
die sich zumeist auf die Dialogform beziehen und
die Handlung des Stückes unverändert lassen. Im
Mittelpunkte der fast überreichen Vorgänge steht
Marie, die junge, lebensheischende Tochter des alten
Moser. Dieser hat vor 30 Jahren als Rittmeister
seine Eskadron vor dem Feinde zur Flucht veran¬
laßt und so das gonze Regiment der blauen Kü¬
rassiere mit Schmach bedeckt. Jetzt ist wieder Krieg;
die blauen Kürassiere rücken wieder gegen den Feind
aus; aber diesmal wollen sie die bis heute unge¬
fühnte Schmach wieder gut machen — bei der
nächsten blutigen Affaire stellen sie sich freiwillig an
die gefährlichste Stelle um bis auf den letzten Mann
den Heldentod zu sterben. Der alte Moser, im er¬
drückenden Bewußtsein seiner damals verübten Feig¬
heit, quält sich und seine ihn aufopfernd pflegende
Tochter bis aufs Blut. Doch tief in ihrer Brust
hegt sie eine schöne Erinnerung: eine selige Ball¬
nacht, die sie mit einem jungen Offizier einmal
durchgetanzt hat. Eben dieser Offizier soll morgen,
Früh mit den totgeweihten blauen Kürassieren ins
Feld ziehen. Da erfaßt das schon verzweifelnde Mädchen
ein unbezwingliches Verlangen, wenigstens einmal in
vollen Zügen das Leben zu genießen. Sinnlos von
ihrem aufschreiendem Blute, gibt sie dem kranken
Vater einen Schlaftrunk der — wie der Arzt sagt —
für 100 Nächte reicht, und eilt zu dem todgeweihten
Geliebten, um sich ihm für eine wilde Nacht hinzu
geben. Sie findet ihn — im Banne einer anderen,
der Frau seines Obersten, die ihn überreden will zu
desertieren und mit ihr ins lachende Leben hinaus
zu fliehen. Hier wird das arme von Liebesqualen!
erbebende Mädchen Zeuge wie der beleidigte Gatte
erscheint, seine treulose Frau niederschießt und dem
ehrlosen Verführer bitteren Hohnes den Rat gibt,
selbst Hand an sich zu legen. Und trotzdem fliegt sie
dem Ideal ihrer überhitzten Einbildungskraft an den
Hals. Die beiden ersten Akte sind atemversetzende
Meisterwerkelückenlos fest gefügter Motivierungskunst
— und der Dialog, Schnitzlers stärkste Seite, ent¬
hüllt uns eine Welt von abgeklärter Weisheit und
Güte. Der Schlußalt verglimmt in lyrischen Aus¬
klängen. Schnitzler sieht in der tragischen Heldin
nicht eine Schuldige, er ist der warmfühlende Arzt,
der das Düster der vom Schickal zermürbten Seele
versteht und heilen möchte. — Die Aufführung war
sehr gut vorbereitet und machten besonders die
beiden ersten Akte auf das sehr gut besetzte Haus
einen starken Eindruck. Vortrefflich war Frl. Me¬
delsky als Marie — schlicht, und von sichtlich
verhaltener Lebensglut erfüllt. In der Rolle des
jungen todesfreudigen Offiziers Max fand Heir
Onno eine prächtige Aufgabe. Eine scharf umrissene
Charakterzeichnung war der alte Moser des Herrn
Max Schütz. Der Oberst des Herrn Faber war
nicht ganz auf den todgeweihten Ernst der Situation 1
eingestimmt. Sehr brav hielten sich Herr Dr. Man¬
ning als Arzt, Hr. Rittig als eine Art Bracken¬
burg, Hr. Balder als lebensfreudiger Todeskan¬
didat, sowie Frl. Klein als schlicht bürgerliche
Mutter. Die Rolle der geistig umnachteten Katha¬
rina war bei Frl. Fels weniger gut geborgen. Hr.
Schnitzler. der der Vorstellung beiwohnte, wurde
wiederholt durch stürmischen Beifall und Her¬,
P. Rx“
vorrufe ausgezeichnet.
Telephon 12.801.


„UBOEIVEN
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Vertrefungen
in Bezlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hgene London, Madrid, Mailand, MAinneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stoch m, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr).
Ausschnitt aus:
vom:
Prager Abendblatt
Theater.
z. x. Deutsches Landestheater. Ein Schulte
HLar-Abend bedentet von voruberein einen Ruf ins
Literarisch=dramatische. Man muß ihm odne weiteres
folgen, wie feues glühende Mädchen „Dem Ruf
des Lebens“ folgt, dem despotischen Vater, der
ihm die Tür ins Leden versperrt, den Tod durch den
„beilenden Schlastrunk“ gebend. Bei uns ertönte gestern
zum ersten Male „Der Ruf des Leben s“ (in
döhmischer Sprache ist das heiß umstrittene Schnitzler¬
Drama — und zwar im Weinberger Theater — be¬
reits gegeben worden). Zwei Akte bindurch blieb das
Publikam gefesselt durch die Sprache und die Span¬
nung der stark ineinandergreifenden Vorgänge. Der
britte Akt siel ab. Allerdings ist er eine Art von Epilog
und im ganzen mehr auf Stimmung berechnet. Die
konnte sich nicht recht einstellen, weil die Darstellerin
der heiklen Rolle einer dem Mutterhause entlaufene
Tochter, die dem „Rufe des Lebens“ gleichsam gefolgt
war, und vom Lebensgenuß zerbrochen nun zum
Sterben zur Heimat kommt, weil Frl. Fels nicht
genung Innerlichkeit besitzt, diese Szenen der Auf¬
lösung über das Larmoyante herauszuheben. Frl.
Medelsky ihrerseils hatte alle Akzente der Lei¬
denschaft für das nach Leben und Liebe lechzeude
Mädchen, das über des Vaters Leiche in die Arme
des Geliebten eilt, um dort die gräßliche Enttänschung
zu erfahren, daß er, der obnedies am nächsten Mor¬
gen in die todbriugende Schlacht zu ziehen hätte, sich
noch vorder und „wegen einer andern“ wegen der
Frau seines Obersten, selbst erschießen muß. An der
ungetreren Gattin bat der Oberst selbst bereits das
sötende Rächeramt verübt. Dies „wegen einer an¬
deren“ hat Schnitzler aus der „Liebelei“
herübergeleitet, nur wirkte es darin elementarer, unge¬
suchter. Frl. Medelsky hatte für die späteren
Szenen dann auch den zerquätten Ausdrock resiquierter
Reue. Deu barten, despotischen Vater gibt Herr
Schütz. Scharf und zäh, aber stellenweise sehr un¬
deutlich. Die beiden jungen Offiziere der „blauen
Husaren“, die als erste ins Feuer vor den Feind
müssen, weil vor 30 Jahren die „blauen Husaren“
durch Flucht vor dem Feinde den Verlust der Schlacht
verursachten, vertreten die Herren Onne und
Balder, den „Obersten“ gibt Herr Faber. Deu
sonderbaren Charakter eines „Wohltäters der Menich¬
heit“, eines Arztes nämlich, hat Herr Manning
zu zeichnen; sonderbar scheint er darum, weil er in
mitleidigem Zureden dem an das Krankenzimmer des
Vaters gelefsetten Mädchen den Spruug ins „Leben“
sörmlich suggeriert, weil er die schlummernden Be¬
gierden erweckt und durch das leichtfertige Eindän¬
digen des gefährlichen Schlafmittels der aufgereizien,
liebesdürstenden Tochter die Mordwaffe gegen den
Vater direkt in die Hand drückt. Kann es den über¬
haupt solch einen Arzt geben, Herr Dr. Schnitzler?
Frl. v. Helling nad Frl. Klein sowie die
Herren Rittig und Schütz jun. sind in kleineren
Aufgaben beschäftigt in diesem „Lebensrufe“, den Herr
Dr. Eger mit viel szenischer Stimmung umgab.]