19. Der Ruf des Lebens
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Telephes 12.691.
„9
„ODSERTER
I. Oeterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeltungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Oenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls,
New-Vork, Pase, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petere¬
burg, Toronto.
Wenengabe ohmo Gewühr.)
Ausschnitt ausfe aner Margen Zeitung.
vomn: "1. 2. 1900
Theater.
Sochmertheater bei Liebich. Freitag, 20. August. „Der Ruf
Lohens
.Schauspiel in drei Akten von Arthur
Wer hätte das gedacht, daß der zarte Poet der
eder pikante Spötter des „Anatol“, der starke Schöpfer
sdes „Grünen Kakadu“ und der „Lebendigen Stunden“ auf seine
lälteren Tage dem „Schicksalsdrama anheimfallen würde! Und doch
ist der „Ruf des Lebens“ ein richtiges Schicksalsdrama, und zwar
eines von der allerblutigsten Sorte. In jedem Akte gibt es ein paar
Tote, zwischen dem zweiten und dritten Akte aber gleich ein ganzer
Regiment. Das permanente Echo dieses seltsamen „Rufs d
. die Moritat, die Moritat unter erschwerenden Umt
ersten Aufzuge zeigt uns Schnitzler ein gar trauriges F#
Ein kranker sich ans Leben klammernder, alter, boshe
in
quält seine Tochter Marie bis aufs Blut. Die Tochter,
der
Krankenstube ins „Leben“ (d. h. in die Arme eines ihr äußerst sy
pathischen Leutnants) will vergiftet ihn unter Konnivenz und Mit¬
hilfe des — Hausarztes. Vater= und Patientenmord!
Der zweite Aufzug spielt in der Kaserne der „blauen Kürassiere“,
eines österreichischen Reiterregiments, das vor 30 Jahren (in einem
Schnitzlerschen Phantasiekriege) durch Feigheit eine Schlacht ver
hat. Die „blauen Kü
siere“ fühlen sonderbarer Weise die mor
ische
Verpflichtung, di
ich ihrer Vorfahren abzuwaschen
uind
schwören Mann
Offiziere und Soldaten, nicht wie
13
dem ebe
ge heimkehren zu wollen. Ein u
ein
theatral
ahrheit aber recht alberner Sc
im übri
chtig zur Ausführung gelang
in der
lacht gar nicht zur Ausführt
kann. De
licht jede Kugel und Verwund
wohl, wen
auch gegen ihren Willen, w
Vorerst aber leb
„blauen Kurassiere“ noch. In de
dem Ausmarsch hat ihr Oberst, der übrigens wegen seines
Ehegatte bei dem Sühneschwur die treibende Kraft gewesen
er aus solchen Privatgründen nicht 1198 Unschuldige in den Tod
jagen darf, sagt sich dieler „witzige“ Kopf nicht), mit einem seiner
Herren Leutnants eine kleine, intime Aussprache, die Frau Kom¬
mandeuse betreffend. Als er fort ist, erscheint die Kommanoense
selbst nächtlicher Weile beim Herrn Leutnant. Der Oberst aber kehrt,
durchs Fenster springend (aber Herr Oberst!) unvermutet zurück und
knallt seine leichtsinnige Frau Gemahlin coram publico nieden
1Gattenmord!
Der Herr Leutnant, ein junger Mann mit ungemein weiten
Herzen, bleibt bei der Toten zurück und zwar in Gesellschaft vof,
Fräulein Marie, jener starknervigen Vatermörderin aus dem ersten
Akt, die hinter einem Fenstervorhang versteckt (aber Frl. Marie!)
die ganze blutige Geschichte mitangesehen hat. Die Beiden feiern
dann noch rasch ihre erste und letzte Liebesnacht, worauf sich der Leus¬
nani mit dem weiten Herzen erschießt. Selbstmord!
Im dritten Aufzug geht es etwas sanfter zu. Man erfährt nur
noch, daß die „blauen Kürassiere“ richtig Mann für Mann in der
Schlacht gefallen sind und daß der einzige, überlebende Leutnant (auch
er hatte ein weites Herz) sich ebenfalls selbstgemordet hat. Ferner!
stirbt Maries Cousine, ein junges Mädchen, die der Ruf des Lebens
### zu Leutnants, später aber auch zu Zwilisten gerufen hat, an der
Schwindsucht, an der vor ihr schon ihre beiden Schwestern gestorben
sind. Die wenigen Ueberlebenden des personenreichen Stuckes, zu
denen auch die ungewöhnlich widerstandsfähige Varermörderin ge¬
hört, führen noch einige philosophische Reden und das Stück ist aus.
Wenn eine ganz sinnlose Häufung von brutalen Schrecknissen
Handlung ist, dann ist der „Ruf des Lebens“ voller Handlung. Aber
ich hätte gern auf diese grobsträhnige Sorte von Handlung ver¬
zichtet und dafür lieber den früheren Schnitzler wieder gesehen, der
seine Dramen aus den Charakteren zu entwickeln pflegte. Charaktere
uind freilich diesmal bei ihm nicht zu finden. Vor lauter Mordtaten
haben die Theaterfiguren Schnitzlers keine Zeit, Menschen zu sein.
Leider haben sie um so mehr Zeit, endlose, tiefsinnige Phrasen zu ver¬
lautbaren, die den Zweck verfolgen diesen Schauerroman mystisch
verklären. Allerdings wird dieser Zweck nicht erreicht, Schauercoman!
leibt eben Schauer
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Telephes 12.691.
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„ODSERTER
I. Oeterr. behördl. konz. Unternehmen für Zeltungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Oenf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolls,
New-Vork, Pase, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petere¬
burg, Toronto.
Wenengabe ohmo Gewühr.)
Ausschnitt ausfe aner Margen Zeitung.
vomn: "1. 2. 1900
Theater.
Sochmertheater bei Liebich. Freitag, 20. August. „Der Ruf
Lohens
.Schauspiel in drei Akten von Arthur
Wer hätte das gedacht, daß der zarte Poet der
eder pikante Spötter des „Anatol“, der starke Schöpfer
sdes „Grünen Kakadu“ und der „Lebendigen Stunden“ auf seine
lälteren Tage dem „Schicksalsdrama anheimfallen würde! Und doch
ist der „Ruf des Lebens“ ein richtiges Schicksalsdrama, und zwar
eines von der allerblutigsten Sorte. In jedem Akte gibt es ein paar
Tote, zwischen dem zweiten und dritten Akte aber gleich ein ganzer
Regiment. Das permanente Echo dieses seltsamen „Rufs d
. die Moritat, die Moritat unter erschwerenden Umt
ersten Aufzuge zeigt uns Schnitzler ein gar trauriges F#
Ein kranker sich ans Leben klammernder, alter, boshe
in
quält seine Tochter Marie bis aufs Blut. Die Tochter,
der
Krankenstube ins „Leben“ (d. h. in die Arme eines ihr äußerst sy
pathischen Leutnants) will vergiftet ihn unter Konnivenz und Mit¬
hilfe des — Hausarztes. Vater= und Patientenmord!
Der zweite Aufzug spielt in der Kaserne der „blauen Kürassiere“,
eines österreichischen Reiterregiments, das vor 30 Jahren (in einem
Schnitzlerschen Phantasiekriege) durch Feigheit eine Schlacht ver
hat. Die „blauen Kü
siere“ fühlen sonderbarer Weise die mor
ische
Verpflichtung, di
ich ihrer Vorfahren abzuwaschen
uind
schwören Mann
Offiziere und Soldaten, nicht wie
13
dem ebe
ge heimkehren zu wollen. Ein u
ein
theatral
ahrheit aber recht alberner Sc
im übri
chtig zur Ausführung gelang
in der
lacht gar nicht zur Ausführt
kann. De
licht jede Kugel und Verwund
wohl, wen
auch gegen ihren Willen, w
Vorerst aber leb
„blauen Kurassiere“ noch. In de
dem Ausmarsch hat ihr Oberst, der übrigens wegen seines
Ehegatte bei dem Sühneschwur die treibende Kraft gewesen
er aus solchen Privatgründen nicht 1198 Unschuldige in den Tod
jagen darf, sagt sich dieler „witzige“ Kopf nicht), mit einem seiner
Herren Leutnants eine kleine, intime Aussprache, die Frau Kom¬
mandeuse betreffend. Als er fort ist, erscheint die Kommanoense
selbst nächtlicher Weile beim Herrn Leutnant. Der Oberst aber kehrt,
durchs Fenster springend (aber Herr Oberst!) unvermutet zurück und
knallt seine leichtsinnige Frau Gemahlin coram publico nieden
1Gattenmord!
Der Herr Leutnant, ein junger Mann mit ungemein weiten
Herzen, bleibt bei der Toten zurück und zwar in Gesellschaft vof,
Fräulein Marie, jener starknervigen Vatermörderin aus dem ersten
Akt, die hinter einem Fenstervorhang versteckt (aber Frl. Marie!)
die ganze blutige Geschichte mitangesehen hat. Die Beiden feiern
dann noch rasch ihre erste und letzte Liebesnacht, worauf sich der Leus¬
nani mit dem weiten Herzen erschießt. Selbstmord!
Im dritten Aufzug geht es etwas sanfter zu. Man erfährt nur
noch, daß die „blauen Kürassiere“ richtig Mann für Mann in der
Schlacht gefallen sind und daß der einzige, überlebende Leutnant (auch
er hatte ein weites Herz) sich ebenfalls selbstgemordet hat. Ferner!
stirbt Maries Cousine, ein junges Mädchen, die der Ruf des Lebens
### zu Leutnants, später aber auch zu Zwilisten gerufen hat, an der
Schwindsucht, an der vor ihr schon ihre beiden Schwestern gestorben
sind. Die wenigen Ueberlebenden des personenreichen Stuckes, zu
denen auch die ungewöhnlich widerstandsfähige Varermörderin ge¬
hört, führen noch einige philosophische Reden und das Stück ist aus.
Wenn eine ganz sinnlose Häufung von brutalen Schrecknissen
Handlung ist, dann ist der „Ruf des Lebens“ voller Handlung. Aber
ich hätte gern auf diese grobsträhnige Sorte von Handlung ver¬
zichtet und dafür lieber den früheren Schnitzler wieder gesehen, der
seine Dramen aus den Charakteren zu entwickeln pflegte. Charaktere
uind freilich diesmal bei ihm nicht zu finden. Vor lauter Mordtaten
haben die Theaterfiguren Schnitzlers keine Zeit, Menschen zu sein.
Leider haben sie um so mehr Zeit, endlose, tiefsinnige Phrasen zu ver¬
lautbaren, die den Zweck verfolgen diesen Schauerroman mystisch
verklären. Allerdings wird dieser Zweck nicht erreicht, Schauercoman!
leibt eben Schauer