hat. Die „blauen Kürassiere“ fühlen sonderbarer Weise die moralisch¬
Verpflichtung, diese Schmach ihrer Vorfahren abzuwaschen und
schwören Mann für Mann. Offiziere und Soldaten, nicht wieder aus
dem eben einsetenden Kriege hein kehren zu wollen. Ein ungemein
theatralisch=herosscher, in Wahrheit aber recht alberner Schwur, der
im übrigen bei Schnitzler richtig zur Ausführung gelangt, trotzdem er
in der Realität einer Schlacht gar nicht zur Ausführung gelangen
kann. Denn am Ende tötet nicht jede Kugel und Verwundete werden ja
wohll wenn es sein muß, auch gegen ihren Willen, wieder geheilt.
Vorerst aber leben die „blauen Kurassiere“ noch. In der Nacht vor
dem Ausmarsch hat ihr Oberst, der übrigens wegen seines Pechs als
Ehegatte bei dem Sühneschwur die treibende Kraft gewesen ist (daß
er aus solchen Privatgründen nicht 1198 Unschuldige in den Tod
jagen darf, sagt sich dieser „witzige“ Kopf nicht), mit einem seiner
Herren Leutnants eine kleine, intime Aussprache, die Frau Kom¬
mandeuse betreffend. Als er fort ist, erscheint die Kommandense
selbst nächtlicher Weile beim Herrn Leutnant. Der Oberst aber kehrt,
durchs Fenster springend (aber Herr Oberst!) unvermutet zurück und
knallt seine leichtsinnige Frau Gemahlin coram publico nieden
Gattenmord!
Der Herr Leutnant, ein junger Mann mit ungemein weiten
Herzen, bleibt bei der Toten zurück und zwar in Gesellschaft von
Fräulein Marie, jener starknervigen Vatermörderin aus dem ersten
Akt, die hinter einem Fenstervorhang versteckt (aber Frl. Marie!)
die ganze blutige Geschichte mitangesehen hat. Die Beiden feiern
dann noch rasch ihre erste und letzte Liebesnacht, worauf sich der Leut¬
nant mit dem weiten Herzen erschießt. Selbstmord!
Im dritten Aufzug geht es etwas sanfter zu. Man erfährt nur
noch, daß die „blauen Kürassiere“ richtig Mann für Mann in der
Schlacht gefallen sind und daß der einzige, überlebende Leutnant (auch
er hatte ein weites Herz) sich ebenfalls selbstgemordet hat. F####r
stirbt Maries Cousine, ein junges Mädchen, die der Ruf des Lebens
## zu Leutnants, später aber auch zu Zwilisten gerufen hat, an der
Schwindsucht, an der vor ihr schon ihre beiden Schwestern gestorben
sind. Die wenigen Ueberlebenden des personenreichen Stuckes, zu
denen auch die ungewöhnlich widerstandsfähige Vatermörderin ge¬
hört, führen noch einige philosophische Reden und das Stück ist aus.
Wenn eine ganz sinnlose Häufung von brutalen Schrecknissen:
Handlung ist, dann ist der „Ruf des Lebens“ voller Handlung. Aber
ich hätte gern auf diese grobsträhnige Sorte von Handlung ver¬
zichtet und dafür lieber den früheren Schnitzler wieder gesehen, der
seine Dramen aus den Charakteren zu entwickeln pflegte. Charakteren
sind freilich diesmal bei ihm nicht zu finden. Vor lauter Mordtalen¬
haben die Theaterfiguren Schnitzlers keine Zeit, Menschen zu sein.
Leider haben sie um so mehr Zeit, endlose, tiefsinnige Phrasen zu ver¬
lautbaren, die den Zweck verfolgen, diesen Schauerroman mystisch zu
verklären. Allerdings wird dieser Zweck nicht erreicht, Schauerkoman
bleibt eben Schauerroman, und wenn die beteiligten Herrschaften noch
so schön und weise daherreden. Höchstens sällt dabei unliebsam auf¬
daß sie alle, Junge und Alte, Frauen und Männer, Offiziere and
Unteroffiziere, Soldaten und Zivilisten das gleiche, prätentiöse weit¬
schweifige Papierdeutsch sprechen. Ist es unter solchen Umständen
nötig, hervorzuheben, daß manche Szene der beiden Vorderaufzüge —
der letzte ist heillos langweilig — mit virtuoser Theaterkunst gemacht
ist, oder daß sich in der Flut allgemeiner Beredtsamkeit auch hie und
da ein gutes, seines nachdenkliches Wort findet? Ich glaube nicht.
Schnitzler hätte besser getan, diesen „Ruf des Lebens, wenn er ihn
durchaus ausstoßen mußte, in den tiefsten Tiefen seiner Schreibtisch¬
schublade zu bergen und die Direktion des Sommertheaters hätte dem
Autor nur einen Gefallen erwiesen wenn sie das Stück, das schon vor
drei Jahren in Berlin durchgefallen ist, nicht auf ihren Spielpian
gesetzt hätte. Wenn ein Dichter sich so viel Liebe redlich verdient hat,
wie Schnitzler, so ist es nur schmerzlich, ihn auf Abwegen zu eehen,
die nach den dunkelsten Niederungen des Theaters führen.
Auch die darstellerische Ausbeute des Abends war nicht stark
genug, um für das mißtönige Stück zu entschädigen. Insbesondere
herrschte auf der Bühne eine sast allgemeine Abhängigkeit vom
Kastengeist, die den Ruf des Souffleurs bisweilen lauter erklingenh
ließ, als den Ruf des Lebens. Frau Horwitz ist keine geborenese
Tragödin. Sie spielt wohl tragische Nollen mit feiner Anpassungs¬
fähigkeit an ihre Bedingungen, aber den Ton unbedingter tragischer
Wahrheit trifft sie nicht immer. Und nun diese Marie, die von ihrer
Darstellerin erst Individualität und Daseinsberechtigung erhalten;
muß, soll sie abstoßend wirken! Viel zu schwer war die äußerst ge¬
fährliche Rolle der leichtsinnigen Katharina für die jugendlichen!
Schultern der Frau Nakaricz. Für die Sterbeszene hatte sie sich;
eine kindliche Sprache zurechtgelegt, die der Schlesier „tallen“ nennt
und die mit dem angeborenen Dialekt der Dame eine recht merk¬
würdige Mischung ergab. Den beiden romantischen „blauen
Kürassier"=Offizieren, denen die Frauen= und Mädchenherzen nur so
zufliegen, sahen die Herren Kober und Göbel nicht allzu ähnlich
Da war ihr Oberst in der starken, hartlinigen Verkörperung durch
Herrn Ziegel ein anderer Kerl! Die ruhige Haltung, die Herr
Landsberg neuerdings gewonnen hat, kam seinem warmherzigen
Arzte (der allerdings seine Patienten kaltlächelnd um die Ecke bringen
hilft) wohl zu statten und Herrn Keßlers stattliche Repräsentation
machte den Adjunkten vom alten Bühnenstamme der Toggenburgs
wenigstens ertraglich. Das alte Ekel von Vater, das nach Verdienst
schon im ersten Akt tot auf der Szene liegt, ist eine Aufgabe recht
nach dem Herzen des gern mit starken Mitteln arbeitenden Herrn
Nunberg. Ein scharf umrissenes Charakterbild zu schaffen,
glückte ihm freilich mit allen seine Detail=Geschicklichkeiten nicht
vielleicht weil ganz besonders ihm die textliche Herrschaft über seine
Rolle fehlte.
Die Regie des Herrn Ziegel hatte auf Kostüme, Uniformen und
Szenerie (nur das Kasernenzimmer entsprach nicht den Forderungen.
der Zeit des Stückes) viel Sorgsalt gewendet. Der Liebe Mühe war
umsonst. Von Akt zu Akt sank die Stimmung der gequälten Hörer,
bis sie zum Schluß auf dem Nullpunkt angekommen war.
„ODOERTER
# Seterr. behördl. konz. Unternehmen für Zellungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cievelund, Christlanis,
Oeuf, Kopenhagen, London, Madrid, Malland, Minneapolls,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockheim, St. Petere
burg, Toronto.
(Asellenangühe ehee derähr.
Ausschnitt aus:
21. AulG. 1909
vom:
byélauer Cheater.
I. I. Breslauer Sommertheater (Liebich). „Der Ruf
[des Lebens“. Es muß für jeden Dramatikev etwas Verlockendes
haben, sein Werk auf Voraussetzungen aufzubauen, die eine ungewöhnlich
rasche Entwickelung, wie sie die kurzen Akte eines Dramas bedingen,
nicht nur als wahrscheinlich, sondern als notwendig erscheinen lassen¬
So sehen wir denn in einer größeren Zahl von Dramen als Voraus¬
setzung die Gewißheit des baldigen Todes, die alle Rücksichten und Be¬
denken verblassen läßt, zu raschem Genießen einer letzten seligen Stunde
drängt, alle Leidenschaften entflammt und Herz zu Herzen treibt. Die
Schauer der Todesgewißheit, aus denen ein allzu kurzes letztes Liebesglück
serblüht, hat unter den modernen Dramatikern Georg Engel in seinem
„Hexenkessel“ vielleicht am glücklichsten dramatisch verwertet. Auchpin
[Schnitzlers „Ruf des Leben“ dreht es sich, wie im „Hexen¬
eeer ganzes Regiment, das dem sicheren Untergange geweiht
sist, dessen Offiziere geschworen haben, daß keiner lebend zurückkehrt, um
so die alte Schmach zu sühnen, daß das Regiment vor einem Menschen¬
alter geflohen ist und damit de Schicksal einer Schlacht und des ganzen
Krieges entschieden hat. Aber Schnitzler schädigt seine Wirkung nicht
nur dadurch, daß er nach alter Gewohnheit seine Figuren viel zu viel
und viel zu klug über ihr Schicksal reden läßt, sondern daß
er den „Ruf des Lebens“ in zu viel Varianten ertönen
läßt. Da ist Marie, die Tochter eines alten, widerwärtigen, brutal
segoistischen ehemaligen Rittmeisters, die den rettungslos dem Tode ver¬
Fallenen Vater mit der größten Hingebung pfleg, ne auch nur eine
Sekunde von seinem Lager weichen zu können. Au in ihrem junen
Herzen leben heiße Wünsche, und als sie hört, daß der Offizier, den sie
Tiebt, zu den blauen Kürassieren, eben jenem totgeweihten Regiment.
gehört, das am nächsten Morgen ausrückt, und als sie vollends hört,
daß ihr eigener Vater damals vor dreißig Jahren, aus ganz simpler
Liebe zum Leben, das Beispiel zur Flucht gegeben hat, und so daran
schuld ist, daß jetzt hunderte blühender Menschen ihr Leben opfern wollen,
da gibt sie dem Vater genügend von jenen Tropfen, durch die schon
Gretchens Mutter „zur langen, langen Pein hinüberschlief“, und eilt
zu dem Geliebten, weil sie dem Ruf des Lebens nicht länger wider¬
lehen kann und will. Dieser erste Akt bringt #ar manches Quälende,
st aber von starker Wirkung; es ist eigentlich ein in sich abgeschlossener,
raftvoller Einakter. Aber im zweiten Akte häufen sich die Effekte und
Komplikationen zu sehr. Der Offizier, zu dem Marie nächt¬
ich eilt, hat ein Verhältnis mit des Obersten junger
Frau, die ihn verleiten will, mit ihr zu fliehen, zumal der
Oberst den Todesentschluß für das ganze Regiment weniger aus
Heldenmut, als aus egoistischen Motiven gefaßt hat. Der Oberst über¬
rascht beide; er erschießt seine Frau, und auch der junge Off## r erschießt
sich apf Morgen vor dem Ausmarsch, nachdem er vorher noch mit Marie,
die Alles hinter einem Vorhang (!) belauscht hat, einige Stunden heißen
Ljebesglückes genossen. Der Schlußakt bringt einige recht wortreiche
Unterhaltungen über das Thema, daß von des Lebens Gütern allen der
Ruhm nicht das höchste ist, sondern daß das Leben selbst das höchste Gut ist;
auch bringt er noch das reichlich rührselige Endt einer Cousine von Marie,
die gleichfalls in der sicheren Aussicht des Todes — sie weiß, daß sie wie
ihre Schwestern an Schwindsucht sterben muß — den Rest ihres jungen
Lebens in einem tollen Liebesrausch ausgekostet hat. Dieser letzte Alt
vermochte kaum noch einen Achtungserfolg zu erzielen, während die beiden
ersten Akte nicht ohne Wirkung blieben. — Unter den Darstellern stand
an erster Stelle Frau Horwitz als Marie. Diese stille, resignierte
Verzweiflung, dieses trotzige Hervorbrechen eines heißen, ungestümen
Lebensbranges, diese wilden Selbstanschuldigungen konnten kaum desser
zur Geltung gebracht werden. Auch Herr Ziegel als Oberst in seiner
undurchdringlichen Ruhe und festen Entschlossenheit, in seinem großen,
wortlargen Schmerze bot eine vortreffliche Leistung. Geradezu überraschend
gut wur Herr Nunberg als der alte Vater Mariens, der nichts kennt.
als die zitternde Angst um das kümmerliche Restchen seines Lebens. Dieler
Künstler, der sonst zumeist nur kleine Chargen mit wechselndem Erfolge
Verpflichtung, diese Schmach ihrer Vorfahren abzuwaschen und
schwören Mann für Mann. Offiziere und Soldaten, nicht wieder aus
dem eben einsetenden Kriege hein kehren zu wollen. Ein ungemein
theatralisch=herosscher, in Wahrheit aber recht alberner Schwur, der
im übrigen bei Schnitzler richtig zur Ausführung gelangt, trotzdem er
in der Realität einer Schlacht gar nicht zur Ausführung gelangen
kann. Denn am Ende tötet nicht jede Kugel und Verwundete werden ja
wohll wenn es sein muß, auch gegen ihren Willen, wieder geheilt.
Vorerst aber leben die „blauen Kurassiere“ noch. In der Nacht vor
dem Ausmarsch hat ihr Oberst, der übrigens wegen seines Pechs als
Ehegatte bei dem Sühneschwur die treibende Kraft gewesen ist (daß
er aus solchen Privatgründen nicht 1198 Unschuldige in den Tod
jagen darf, sagt sich dieser „witzige“ Kopf nicht), mit einem seiner
Herren Leutnants eine kleine, intime Aussprache, die Frau Kom¬
mandeuse betreffend. Als er fort ist, erscheint die Kommandense
selbst nächtlicher Weile beim Herrn Leutnant. Der Oberst aber kehrt,
durchs Fenster springend (aber Herr Oberst!) unvermutet zurück und
knallt seine leichtsinnige Frau Gemahlin coram publico nieden
Gattenmord!
Der Herr Leutnant, ein junger Mann mit ungemein weiten
Herzen, bleibt bei der Toten zurück und zwar in Gesellschaft von
Fräulein Marie, jener starknervigen Vatermörderin aus dem ersten
Akt, die hinter einem Fenstervorhang versteckt (aber Frl. Marie!)
die ganze blutige Geschichte mitangesehen hat. Die Beiden feiern
dann noch rasch ihre erste und letzte Liebesnacht, worauf sich der Leut¬
nant mit dem weiten Herzen erschießt. Selbstmord!
Im dritten Aufzug geht es etwas sanfter zu. Man erfährt nur
noch, daß die „blauen Kürassiere“ richtig Mann für Mann in der
Schlacht gefallen sind und daß der einzige, überlebende Leutnant (auch
er hatte ein weites Herz) sich ebenfalls selbstgemordet hat. F####r
stirbt Maries Cousine, ein junges Mädchen, die der Ruf des Lebens
## zu Leutnants, später aber auch zu Zwilisten gerufen hat, an der
Schwindsucht, an der vor ihr schon ihre beiden Schwestern gestorben
sind. Die wenigen Ueberlebenden des personenreichen Stuckes, zu
denen auch die ungewöhnlich widerstandsfähige Vatermörderin ge¬
hört, führen noch einige philosophische Reden und das Stück ist aus.
Wenn eine ganz sinnlose Häufung von brutalen Schrecknissen:
Handlung ist, dann ist der „Ruf des Lebens“ voller Handlung. Aber
ich hätte gern auf diese grobsträhnige Sorte von Handlung ver¬
zichtet und dafür lieber den früheren Schnitzler wieder gesehen, der
seine Dramen aus den Charakteren zu entwickeln pflegte. Charakteren
sind freilich diesmal bei ihm nicht zu finden. Vor lauter Mordtalen¬
haben die Theaterfiguren Schnitzlers keine Zeit, Menschen zu sein.
Leider haben sie um so mehr Zeit, endlose, tiefsinnige Phrasen zu ver¬
lautbaren, die den Zweck verfolgen, diesen Schauerroman mystisch zu
verklären. Allerdings wird dieser Zweck nicht erreicht, Schauerkoman
bleibt eben Schauerroman, und wenn die beteiligten Herrschaften noch
so schön und weise daherreden. Höchstens sällt dabei unliebsam auf¬
daß sie alle, Junge und Alte, Frauen und Männer, Offiziere and
Unteroffiziere, Soldaten und Zivilisten das gleiche, prätentiöse weit¬
schweifige Papierdeutsch sprechen. Ist es unter solchen Umständen
nötig, hervorzuheben, daß manche Szene der beiden Vorderaufzüge —
der letzte ist heillos langweilig — mit virtuoser Theaterkunst gemacht
ist, oder daß sich in der Flut allgemeiner Beredtsamkeit auch hie und
da ein gutes, seines nachdenkliches Wort findet? Ich glaube nicht.
Schnitzler hätte besser getan, diesen „Ruf des Lebens, wenn er ihn
durchaus ausstoßen mußte, in den tiefsten Tiefen seiner Schreibtisch¬
schublade zu bergen und die Direktion des Sommertheaters hätte dem
Autor nur einen Gefallen erwiesen wenn sie das Stück, das schon vor
drei Jahren in Berlin durchgefallen ist, nicht auf ihren Spielpian
gesetzt hätte. Wenn ein Dichter sich so viel Liebe redlich verdient hat,
wie Schnitzler, so ist es nur schmerzlich, ihn auf Abwegen zu eehen,
die nach den dunkelsten Niederungen des Theaters führen.
Auch die darstellerische Ausbeute des Abends war nicht stark
genug, um für das mißtönige Stück zu entschädigen. Insbesondere
herrschte auf der Bühne eine sast allgemeine Abhängigkeit vom
Kastengeist, die den Ruf des Souffleurs bisweilen lauter erklingenh
ließ, als den Ruf des Lebens. Frau Horwitz ist keine geborenese
Tragödin. Sie spielt wohl tragische Nollen mit feiner Anpassungs¬
fähigkeit an ihre Bedingungen, aber den Ton unbedingter tragischer
Wahrheit trifft sie nicht immer. Und nun diese Marie, die von ihrer
Darstellerin erst Individualität und Daseinsberechtigung erhalten;
muß, soll sie abstoßend wirken! Viel zu schwer war die äußerst ge¬
fährliche Rolle der leichtsinnigen Katharina für die jugendlichen!
Schultern der Frau Nakaricz. Für die Sterbeszene hatte sie sich;
eine kindliche Sprache zurechtgelegt, die der Schlesier „tallen“ nennt
und die mit dem angeborenen Dialekt der Dame eine recht merk¬
würdige Mischung ergab. Den beiden romantischen „blauen
Kürassier"=Offizieren, denen die Frauen= und Mädchenherzen nur so
zufliegen, sahen die Herren Kober und Göbel nicht allzu ähnlich
Da war ihr Oberst in der starken, hartlinigen Verkörperung durch
Herrn Ziegel ein anderer Kerl! Die ruhige Haltung, die Herr
Landsberg neuerdings gewonnen hat, kam seinem warmherzigen
Arzte (der allerdings seine Patienten kaltlächelnd um die Ecke bringen
hilft) wohl zu statten und Herrn Keßlers stattliche Repräsentation
machte den Adjunkten vom alten Bühnenstamme der Toggenburgs
wenigstens ertraglich. Das alte Ekel von Vater, das nach Verdienst
schon im ersten Akt tot auf der Szene liegt, ist eine Aufgabe recht
nach dem Herzen des gern mit starken Mitteln arbeitenden Herrn
Nunberg. Ein scharf umrissenes Charakterbild zu schaffen,
glückte ihm freilich mit allen seine Detail=Geschicklichkeiten nicht
vielleicht weil ganz besonders ihm die textliche Herrschaft über seine
Rolle fehlte.
Die Regie des Herrn Ziegel hatte auf Kostüme, Uniformen und
Szenerie (nur das Kasernenzimmer entsprach nicht den Forderungen.
der Zeit des Stückes) viel Sorgsalt gewendet. Der Liebe Mühe war
umsonst. Von Akt zu Akt sank die Stimmung der gequälten Hörer,
bis sie zum Schluß auf dem Nullpunkt angekommen war.
„ODOERTER
# Seterr. behördl. konz. Unternehmen für Zellungs-Ausschaltte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cievelund, Christlanis,
Oeuf, Kopenhagen, London, Madrid, Malland, Minneapolls,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockheim, St. Petere
burg, Toronto.
(Asellenangühe ehee derähr.
Ausschnitt aus:
21. AulG. 1909
vom:
byélauer Cheater.
I. I. Breslauer Sommertheater (Liebich). „Der Ruf
[des Lebens“. Es muß für jeden Dramatikev etwas Verlockendes
haben, sein Werk auf Voraussetzungen aufzubauen, die eine ungewöhnlich
rasche Entwickelung, wie sie die kurzen Akte eines Dramas bedingen,
nicht nur als wahrscheinlich, sondern als notwendig erscheinen lassen¬
So sehen wir denn in einer größeren Zahl von Dramen als Voraus¬
setzung die Gewißheit des baldigen Todes, die alle Rücksichten und Be¬
denken verblassen läßt, zu raschem Genießen einer letzten seligen Stunde
drängt, alle Leidenschaften entflammt und Herz zu Herzen treibt. Die
Schauer der Todesgewißheit, aus denen ein allzu kurzes letztes Liebesglück
serblüht, hat unter den modernen Dramatikern Georg Engel in seinem
„Hexenkessel“ vielleicht am glücklichsten dramatisch verwertet. Auchpin
[Schnitzlers „Ruf des Leben“ dreht es sich, wie im „Hexen¬
eeer ganzes Regiment, das dem sicheren Untergange geweiht
sist, dessen Offiziere geschworen haben, daß keiner lebend zurückkehrt, um
so die alte Schmach zu sühnen, daß das Regiment vor einem Menschen¬
alter geflohen ist und damit de Schicksal einer Schlacht und des ganzen
Krieges entschieden hat. Aber Schnitzler schädigt seine Wirkung nicht
nur dadurch, daß er nach alter Gewohnheit seine Figuren viel zu viel
und viel zu klug über ihr Schicksal reden läßt, sondern daß
er den „Ruf des Lebens“ in zu viel Varianten ertönen
läßt. Da ist Marie, die Tochter eines alten, widerwärtigen, brutal
segoistischen ehemaligen Rittmeisters, die den rettungslos dem Tode ver¬
Fallenen Vater mit der größten Hingebung pfleg, ne auch nur eine
Sekunde von seinem Lager weichen zu können. Au in ihrem junen
Herzen leben heiße Wünsche, und als sie hört, daß der Offizier, den sie
Tiebt, zu den blauen Kürassieren, eben jenem totgeweihten Regiment.
gehört, das am nächsten Morgen ausrückt, und als sie vollends hört,
daß ihr eigener Vater damals vor dreißig Jahren, aus ganz simpler
Liebe zum Leben, das Beispiel zur Flucht gegeben hat, und so daran
schuld ist, daß jetzt hunderte blühender Menschen ihr Leben opfern wollen,
da gibt sie dem Vater genügend von jenen Tropfen, durch die schon
Gretchens Mutter „zur langen, langen Pein hinüberschlief“, und eilt
zu dem Geliebten, weil sie dem Ruf des Lebens nicht länger wider¬
lehen kann und will. Dieser erste Akt bringt #ar manches Quälende,
st aber von starker Wirkung; es ist eigentlich ein in sich abgeschlossener,
raftvoller Einakter. Aber im zweiten Akte häufen sich die Effekte und
Komplikationen zu sehr. Der Offizier, zu dem Marie nächt¬
ich eilt, hat ein Verhältnis mit des Obersten junger
Frau, die ihn verleiten will, mit ihr zu fliehen, zumal der
Oberst den Todesentschluß für das ganze Regiment weniger aus
Heldenmut, als aus egoistischen Motiven gefaßt hat. Der Oberst über¬
rascht beide; er erschießt seine Frau, und auch der junge Off## r erschießt
sich apf Morgen vor dem Ausmarsch, nachdem er vorher noch mit Marie,
die Alles hinter einem Vorhang (!) belauscht hat, einige Stunden heißen
Ljebesglückes genossen. Der Schlußakt bringt einige recht wortreiche
Unterhaltungen über das Thema, daß von des Lebens Gütern allen der
Ruhm nicht das höchste ist, sondern daß das Leben selbst das höchste Gut ist;
auch bringt er noch das reichlich rührselige Endt einer Cousine von Marie,
die gleichfalls in der sicheren Aussicht des Todes — sie weiß, daß sie wie
ihre Schwestern an Schwindsucht sterben muß — den Rest ihres jungen
Lebens in einem tollen Liebesrausch ausgekostet hat. Dieser letzte Alt
vermochte kaum noch einen Achtungserfolg zu erzielen, während die beiden
ersten Akte nicht ohne Wirkung blieben. — Unter den Darstellern stand
an erster Stelle Frau Horwitz als Marie. Diese stille, resignierte
Verzweiflung, dieses trotzige Hervorbrechen eines heißen, ungestümen
Lebensbranges, diese wilden Selbstanschuldigungen konnten kaum desser
zur Geltung gebracht werden. Auch Herr Ziegel als Oberst in seiner
undurchdringlichen Ruhe und festen Entschlossenheit, in seinem großen,
wortlargen Schmerze bot eine vortreffliche Leistung. Geradezu überraschend
gut wur Herr Nunberg als der alte Vater Mariens, der nichts kennt.
als die zitternde Angst um das kümmerliche Restchen seines Lebens. Dieler
Künstler, der sonst zumeist nur kleine Chargen mit wechselndem Erfolge