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19. Der Ruf Lebens
(lenieta
heater und Kunst.7
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Dr. St. Brünner Stadttheater. Die beiden ersten Akte
vom „Rufdas Sehens“ gehören zu dem Bewegtesten
im Schaffen Schnitzlens Mord und Liebe sind ihre
großen Ereignisse He#aund Glück durchtosen sie,
die Leidenschaften stehen schiasalsmächtig über den Men¬
schen. Die Verwicklungen sind unentrinnbar, sie spielen
zwischen den beiden Polen Leben und Tod. Vielleicht hat
Schnitzler nirgends glühender seiner großen Göttin Leben
geopfert, als hier. Aus der entsetzlichen Kerkerhaft einer
Krankenstube, aus der Sklaverei eines boshaften alten
Mannes ruft es heraus. Das ist so wundersam und ganz
dichterisch in diesem ersten Akt: die Altwiener Stube hoch
über der Straße und der Gegensatz zwischen der Qual des
an den bösen Kranken gefesselten Mädchens und dem Drän¬
gen des Lebens draußen. Der Frühling ist da, über den
Dächern und vor dem Fenster und unten reiten die blauen
Kürassiere vorbei, in den Krieg . . . in den Tod. Und oben
sitzt der neunundsiebzig Jahre alte Mann, den der Tod ver¬
gessen hat und der eigentlich daran schuld ist, daß die
„plauer. Fücassiere nun zum Sterben reiten müssen, um
eine alte Schmach des Regiments zu fühnen. Und Marie, die
Tochter dieses Mannes, liebt einen von diesen braven, todge¬
weihter. Burschen und heute ist die letzte Nacht ... da er¬
geht der Ruf des Lebens an sie. Und dieser Ruf ist stärker
als die „Worte eines alten Buches“. Sie muß hinaus. über
die Leiche des Alten hinweg — ins Leben. So mannigfach
spielen hier die großen Mächte des Seins gegeneinander,
so merkwürdig und bedeutsam sind hier die Verbindungen.
Und der zweite Akt bringt ebenso große und zauberhafte
Bilder. Wieder das Gegenspiel von Leben und Tod. In der
Reiterkaserne. Mannschaft und Offiziere bereiten sich zum
Abmarsch. Dis letzten Geschäfte werden zu Ende gebracht.
Eine wilde L####nschaft wird durch einen Pistolenschuß ab¬
geschlossen. Un in diese Wirrnis von Verrat und Untreue,
von Heldenkühnheit und Angst, von allem Außersten an
Glück und Verzweiflung ist Marie dam Ruf des Lebens
gefolgt. Nach dieser wilden Bewegung der beiden ersten
Akte folgte der dritte als Idylle. Das Drama von den Ab¬
gründen des Lebens und des Todes verklingt als Pastoxale.
Wie scheint hier auf dem Lande die Sonne so schön, sagt die
schwindsücht ge Katharina, die fortgelaufen ist, um recht
wild zu leben und heimkehrt, um zu sterben. Friedlich lie¬
gen die Acker und Wiesen da, die Landstraße geht gerade in
die Welt hinein und überall blauen die Wälder. Hier muß
man sich die Zukunft der schwer Enttäuschten denken und
ihre Gesundung an den stilleren Mächten des Lebens, in
denen sich sein Ruf ebenso stark bewährt, wie an dem grä߬
lichen Ereignen von Mord und Liebe. Dieser stille Schluß
wirkt wie eine große gütige Gebärde der Ruhe. Man ist
erstaunt über diesen sanften Ausklang. Aber dann offen¬
bart sich uns der Kunstverstand des Dichters. So mußte es
sein, nach den Aufregungen der beiden ersten Akte. Man
hätte sonst vielleicht den Eindruck des Sensationsstückes be¬
halten. Und damit hätte man einem Dichterwerk Unrecht ge¬
tan. Und so nur wird das ganz klar, was man als das
Eigentliche dieses Tramas aussprechen möchte: das Reli¬
giöse, Es ist religiöse Inbrunst und Ergriffenheit vor den
Wundern des Lebens in diesem Werk. Mit diesen Schauern
vor der einen, einzigen Gewißheit unserer Existenz, von
der Gegensätzlichkeit von Leben und Tod, stillt Schnitzler
sein metaphisisches Bedürfnis. Gott? Unsterblichkeit? Das
find „Worte eines alten Buches“. Schnitzler ist Arzt. Er
meiß: Leben und Tod, das ist alles. Es gibt Menschen, die
haben Pflichtbewußtsein, sie fühlen den kategorischen Im¬
perativ. Sie sagen wie Max: „Wer nur an sich denkt, stirbt
in jedem Augenblick; wer die Zusammenhänge begreift, lebt
heit, die Albrecht ausspricht: „Nichts kommt nach uns. Alles
ewig.“ Das ist sehr schön, aber untrüglicher ist die Gewi߬
stirbt mit uns. Unser eigener Mörder, während er uns den
Dolch in die Brust gräbt, stirbt mit uns.“ Däs Leben ver¬
langt von uns nur eines, sich ihm hinzugeben mit aller In¬
sperren der Ture Eine prächtige, vormürzliche Gestalt war
wieder die Frau Richter der Frau Wiesner und Frl.
Richter lief als Katharina mit schwärmerischer Verzückt¬
heit in den Tod, um dann schmerzlich zu erlöschen. Mit
viel Wärme gab Herr Strauß den braven Arzt, von dem
der Ruf des Lebens ausgeht, eine sympathische Gestalt, die
vielleicht in der Haltung weniger an den Gelehrten hätte
anklingen dürfen. Er brachte seine klugen Worte bedachtsm
und überzeugt vor. Ernst, kraftvoll und beherrscht war auch
der Forstadjunkt des Herrn Bowacz, der sich mit seiner
etwas phrasenhaften Sprechart gut abfand, während dies
Herrn Siege nicht durchwegs gelingen wollte. Doch wahrte
er die Haltung des Reiteroffiziers. Als Max war Herr
Recke durchaus am Platz, knapp und energisch, mannhaft
dem Tod gegenüber gund aufgerichtet im Bann der Pflicht.
Frl. Sorel überstürzte als Irene ihre Leidenschaft ein
penig, während Herr Arnim kalt wie das Schicksal, nur
nicht ganz so seiner Rolle sicher war. Herr Maluschinsky
hatte als Unteroffizier eine gute Episode
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19. Der Ruf Lebens
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Dr. St. Brünner Stadttheater. Die beiden ersten Akte
vom „Rufdas Sehens“ gehören zu dem Bewegtesten
im Schaffen Schnitzlens Mord und Liebe sind ihre
großen Ereignisse He#aund Glück durchtosen sie,
die Leidenschaften stehen schiasalsmächtig über den Men¬
schen. Die Verwicklungen sind unentrinnbar, sie spielen
zwischen den beiden Polen Leben und Tod. Vielleicht hat
Schnitzler nirgends glühender seiner großen Göttin Leben
geopfert, als hier. Aus der entsetzlichen Kerkerhaft einer
Krankenstube, aus der Sklaverei eines boshaften alten
Mannes ruft es heraus. Das ist so wundersam und ganz
dichterisch in diesem ersten Akt: die Altwiener Stube hoch
über der Straße und der Gegensatz zwischen der Qual des
an den bösen Kranken gefesselten Mädchens und dem Drän¬
gen des Lebens draußen. Der Frühling ist da, über den
Dächern und vor dem Fenster und unten reiten die blauen
Kürassiere vorbei, in den Krieg . . . in den Tod. Und oben
sitzt der neunundsiebzig Jahre alte Mann, den der Tod ver¬
gessen hat und der eigentlich daran schuld ist, daß die
„plauer. Fücassiere nun zum Sterben reiten müssen, um
eine alte Schmach des Regiments zu fühnen. Und Marie, die
Tochter dieses Mannes, liebt einen von diesen braven, todge¬
weihter. Burschen und heute ist die letzte Nacht ... da er¬
geht der Ruf des Lebens an sie. Und dieser Ruf ist stärker
als die „Worte eines alten Buches“. Sie muß hinaus. über
die Leiche des Alten hinweg — ins Leben. So mannigfach
spielen hier die großen Mächte des Seins gegeneinander,
so merkwürdig und bedeutsam sind hier die Verbindungen.
Und der zweite Akt bringt ebenso große und zauberhafte
Bilder. Wieder das Gegenspiel von Leben und Tod. In der
Reiterkaserne. Mannschaft und Offiziere bereiten sich zum
Abmarsch. Dis letzten Geschäfte werden zu Ende gebracht.
Eine wilde L####nschaft wird durch einen Pistolenschuß ab¬
geschlossen. Un in diese Wirrnis von Verrat und Untreue,
von Heldenkühnheit und Angst, von allem Außersten an
Glück und Verzweiflung ist Marie dam Ruf des Lebens
gefolgt. Nach dieser wilden Bewegung der beiden ersten
Akte folgte der dritte als Idylle. Das Drama von den Ab¬
gründen des Lebens und des Todes verklingt als Pastoxale.
Wie scheint hier auf dem Lande die Sonne so schön, sagt die
schwindsücht ge Katharina, die fortgelaufen ist, um recht
wild zu leben und heimkehrt, um zu sterben. Friedlich lie¬
gen die Acker und Wiesen da, die Landstraße geht gerade in
die Welt hinein und überall blauen die Wälder. Hier muß
man sich die Zukunft der schwer Enttäuschten denken und
ihre Gesundung an den stilleren Mächten des Lebens, in
denen sich sein Ruf ebenso stark bewährt, wie an dem grä߬
lichen Ereignen von Mord und Liebe. Dieser stille Schluß
wirkt wie eine große gütige Gebärde der Ruhe. Man ist
erstaunt über diesen sanften Ausklang. Aber dann offen¬
bart sich uns der Kunstverstand des Dichters. So mußte es
sein, nach den Aufregungen der beiden ersten Akte. Man
hätte sonst vielleicht den Eindruck des Sensationsstückes be¬
halten. Und damit hätte man einem Dichterwerk Unrecht ge¬
tan. Und so nur wird das ganz klar, was man als das
Eigentliche dieses Tramas aussprechen möchte: das Reli¬
giöse, Es ist religiöse Inbrunst und Ergriffenheit vor den
Wundern des Lebens in diesem Werk. Mit diesen Schauern
vor der einen, einzigen Gewißheit unserer Existenz, von
der Gegensätzlichkeit von Leben und Tod, stillt Schnitzler
sein metaphisisches Bedürfnis. Gott? Unsterblichkeit? Das
find „Worte eines alten Buches“. Schnitzler ist Arzt. Er
meiß: Leben und Tod, das ist alles. Es gibt Menschen, die
haben Pflichtbewußtsein, sie fühlen den kategorischen Im¬
perativ. Sie sagen wie Max: „Wer nur an sich denkt, stirbt
in jedem Augenblick; wer die Zusammenhänge begreift, lebt
heit, die Albrecht ausspricht: „Nichts kommt nach uns. Alles
ewig.“ Das ist sehr schön, aber untrüglicher ist die Gewi߬
stirbt mit uns. Unser eigener Mörder, während er uns den
Dolch in die Brust gräbt, stirbt mit uns.“ Däs Leben ver¬
langt von uns nur eines, sich ihm hinzugeben mit aller In¬
sperren der Ture Eine prächtige, vormürzliche Gestalt war
wieder die Frau Richter der Frau Wiesner und Frl.
Richter lief als Katharina mit schwärmerischer Verzückt¬
heit in den Tod, um dann schmerzlich zu erlöschen. Mit
viel Wärme gab Herr Strauß den braven Arzt, von dem
der Ruf des Lebens ausgeht, eine sympathische Gestalt, die
vielleicht in der Haltung weniger an den Gelehrten hätte
anklingen dürfen. Er brachte seine klugen Worte bedachtsm
und überzeugt vor. Ernst, kraftvoll und beherrscht war auch
der Forstadjunkt des Herrn Bowacz, der sich mit seiner
etwas phrasenhaften Sprechart gut abfand, während dies
Herrn Siege nicht durchwegs gelingen wollte. Doch wahrte
er die Haltung des Reiteroffiziers. Als Max war Herr
Recke durchaus am Platz, knapp und energisch, mannhaft
dem Tod gegenüber gund aufgerichtet im Bann der Pflicht.
Frl. Sorel überstürzte als Irene ihre Leidenschaft ein
penig, während Herr Arnim kalt wie das Schicksal, nur
nicht ganz so seiner Rolle sicher war. Herr Maluschinsky
hatte als Unteroffizier eine gute Episode
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