II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 393

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19. Der Ruf des gebens
Rainer, beinahe verlobt, der sich von ihrer munteren Der Arzt überläßt Marie der Qual ihres Ge¬
Cousine abwandte und zu ihr hinneigte. Nun wäre wissens, anstatt die Strafanzeige über ihren Gift¬
Eduard durch seine Beförderung zum Oberförster mord zu erstatten. Katharina wankt nahnsinnig
in der Lage, ans Heiraten zu denken. Aber der Alte ins Mutterhaus zurück, um zu sterben. Nachdem sie
ein trauriges, lustiges Leben geführt hatte. Die
gibt die Tochter nicht frei, weil er sie als Pflegerin
schmucken „blauen“ Kürzssiere sind alle gestorben.
braucht; die ihm vom Arzte empfohlene Kranken¬
wärterin, eine fromme „Schwester", lehnt er ab, Einer, der den Tod im Felde nicht gefunden, er¬
schoß sich nachträglich selbst. —
diese kann er doch nicht quälen.
Es ist ein großes Sterben, das sich vor den Au¬
Aber gäbe der Alte die Tochter auch hin, Marie
gen der Zuschauer abspielt. Tod im ersten, Tod im
nähme den Freier doch nicht mehr, denn sie hat ihr
zweiten und Tod im dritten Akte. Artur Schnitzler
Herz an einen jungen Offizier verschenkt, an einen
von den „blauen“ Kürassieren, Max, mit dem sie liebt es in seinen Werken, neben dem Leben das
Sterben zu zeigen. Den Todrekord hat er aber in
eine Nacht vertanzt hat. Sie verschmäht auch den
seinem Schauspiel „Der Ruf des Lebens“ geschla¬
wackeren Hausarzt Dr. Schindler, einen edlen Men¬
gen. De läßt er eine Tochter ihren Vater vergif¬
schenfreund.
ten, einen Mann seine Frau niederknallen, drei
Die hübsche Cousine Katharina ist die
Schwestern in der Blüte der Mädchenjahre an der
Tochter der guten alten Tante Toni, ihre Jüngste,
Schwindsucht sterben und — der höchste Rekord! —
die ihr einzig übrig gebliebene von drei Töchtern.
ein ganzes Regiment freiwillig in den Tod gehen.
Sie starben alle an der Schwindsucht dahin, sie wer¬
Aus dem Zuschauerraum erschallt aber der Ruf
den nicht älter, als 21 Jahre. Kathi sieht somit nur
des L#ens. „Laß genug sein das grausamen
noch drei Jahre Lebens vor sich. Die will sie denn,
Spiels.“ Tod dem Tode!
liebeslüstern, wie sie ist, auf ihre leichtlebige Art
Bei aller Anerkennung der poetischen Vorzüge
ausnützen. Sie ist in einen jungen Offizier ver¬
des Schnitzlerschen Werkes, insbesondere des Dia¬
narrt — auch einer von den „blauen“ Kürassieren.
Telephon 12 801.
logs der viele geistvolle Pointen und psychologische
Die „blauen“ Kürassiere sind alle dem Tode ge¬
Beobachtungen aufweist, kann die Tatsache nicht ver.
weiht. Sie reiten alle in den Krieg, in den sicheren
Tod. Sie müssen alle sterben. Vom Obersten ab- schwiegen werden, daß die gestrige Novität einen
ERVER“
wärts, Offiziere wie Mannschaften. Seit 30 Jahren peinlichen Eindruck hinterlassen hat.
rnehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Die Gesamtaufführung stand auch nicht auf der
liegt nämlich eine schwere Schmach auf dem Regi¬
mente. Sie haben vor dem Feinde die Flucht er= Höhe ihrer Aufgabe. Wie die handelnden Personen
oncordiaplatz 4.
griffen, anstatt Stand zu halten. Der alte Moser, im Stücke vom Autor, so wurden auch einzelne Rol¬
retungen
der sich mit allen Fasern ans Leben klammert und len von den Darstellern umgebracht. Diese Rollen
cago, Christiania, Genf, Kopen¬
nicht sterben will, ist der Mann, der vor 30 Jahren haben es aber auch nicht besser verdient.
Mailand, Minneapolis, New-York,
die „blauen“ Kürassiere kommandierte und durch
Dem Fräulein Zewy konnte es nicht ge¬
sco, Stockholm, St. Petersburg.
ngabe ohne Gewäbr).
seine Feigheit dem Regimente das Signal zur all¬
lingen, die „Marie“ glaubhaft zu gestalten, was
gemeinen Flucht gab. Seinetwegen müssen nun alle
nicht ganz die Schuld der strebsamen und fleißigen
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die jungen, gesunden und strammen Kürassiere ster¬
Darstellerin ist. Fräulein Richter als „Katha¬
Shlsthe, Sehnasen.
ben, auch die Allerliebsten der Marie und der Kathi.
rina“ schlug schöne und innige Gefühlstöne an. Die
Sie haben es selbst verlangt, auf einen verlorenen
„Oberstengemahlin“ des Fräuleins Sorel sah
Cerrespondent, Grühn
Posten des Schlachtfeldes gestellt zu werden, und
recht verführerisch aus und hatte tragische Akzente.
geschworen, durch die Hand des Feindes zu fallen, Den unsympathischen Alten, den der Autor treff¬
um so die Schmach des Regimentes endlich zu til- lich charakterisiert hat, verkörperte Herr v. Pin¬
Kunst und Literatur.
gen.
do mit bestem Gelingen. Herr Bowacz trat als
Auf des Lebens.“
„Forstadjunkt“ zu wenig hervor. Herr Arnim
Nur eine einzige Nacht gehört noch ihnen und
als „Oberst“ und Herr Recke als „Offizier“ waren
drei Akten von Artur Schnitzler.
[Marie will zu ihrem Geliebten in die Kaserne.
schneidige Vertreter der „blauen“ Kürassiere. Als
im Brünner Sti#am
Da aber der Vater die Türe versperrt hat, gießt
„Tante Toni“ war Frau Wiesner ganz auf ih¬
sie ihm so viel Morphium in den verlangten Erfri¬
10. Jänner l. J.)
schungstrank, daß er für immer einschläft. Sie ent¬ rem Platze. Den menschenfreundlichen „Arzt“, den
ndlung Alt=Wien.
windet der toten Hand den Schlüssel, die Tür ist ge= Raisonneur des Stückes, gab Herr Strauß mit
8 Jahr 1850.
öffnet. Doch kommt sie schon zu spät. Weil sie sich guter Wirkung. Als Spielleiter fungierte Herr Di¬
ige, kranke, ehemalige Rittmeister
ihrem jungen Offizier seinerzeit verweigert und
rektor v. Maixdorff; die Szenierung des
icht leben und nicht sterben kann,
entzogen hatte, knüpfte dieser mit der schönen, jun¬
Stückes war, bis auf das Pferdegetrappel der blauen
hlicher Griesgram, ein Egoist kraf¬
Kürassiere, einwandfrei. Das Haus war mäßig be¬
gen Frau seines ältlichen Obersten ein Liebesver¬
personifizierte Bosheit und Tücke.
sucht.
ochter Marie, die ihn pflegt, aufs hältnis an. Marie, die im Zimmer hinter dem Vo##

gönnt ihr kaum eine Stunde der hang ihres Mar lauscht und lauert, hört, wie das
Zerstreuung. Das 26jährige Mäd- sündhafte Weib den jungen Offizier bestürmt, hört
hrtlos duldet, hat eine große Sehn= auch, wie der Oberst zum Fenster hereinsteigt und
Leben, sie fühlt ihre Jugend freud= die buhlerische Gemahlin nach kurzem Wortwechsel
den, immer verbitterter werden und mit seiner Pistole niederschießt. Marie stürzt nun
ben dem galligen und giftigen Al- aus ihrem Liebesversteck hervor und eilt mit ihrem
hen, häßlichen Reden in ihr die Max über die Leiche hinweg ins Liebesnest, wohig
dungen des Weibes verletzt. Mariel der Ruf des Lebens das junge Mädchen unaufhaft¬
nbraven Forstadjunkten, Eduards sam lockt.