box 24/4
19. Der Ruf des Lebens
Der dritte Akt. Wie schon eingangs er¬
minderwertigen Verlangen des erotischen Weib¬
Jus ultimae noctis
wähnt, bin ich nicht in der Lage, mich der
chens, als vielmehr wieder nur aus dem an¬
*
fast allseitig erfolgten Akklamation, die diesem
geborenen Impulse, das Leben angesichts des
Es ist die letzte Nacht vor dem Abmar¬
Akte zu teil wurde, anzuschließen — bei aller
ihr unlogisch erscheinenden Autodafé's der
sche der blauen Kürassiere, der um 4 Uhr
ehrlichen Bewunderung Arthur Schnitzler's,
blauen Kürassiere zu bejahen. Aber Max, der
morgens erfolgen wird. Max ist in seinem
der unumwundenen Ausdruck zu geben, mir
mit seinem Tode den am Obersten verübten
schon wiederholt vergönnt war. Das — im
Zimmer gerade mit dem Ordnen von Brief¬
Betrug sühnen will, widersteht der Sirene
dramatischen Sinne — Wesentliche dieses
schafien beschäftigt, als der Oberst des Regi¬
Irene und heißt sie fortgehen. In diesem
Aktes, die Schlußszene, eine letzte Bei¬
mentes an dem offenen Fenster vorüber¬
Augenblicke klirrt das Fenster, durch das der
des Lebens über einer Leiche, nimmt sich in
kommt. Der Oberst scheint den Offizier zu
Oberst hereinspringt und seine Frau erschießt.
diesem Akte aus wie ein winziger Brillanten¬
lieben. Er läßt sich in ein Gespräch mit ihm
Dann wendet er sich zu Max, erklärt ihn für
splitter in unverhältnismäßig gewichtiger Fas¬
ein, das für den Oberst eine selbstquälerische
unwürdig, in den ehrenvollen Tod mit ab¬
sung. Was sich sonst noch in diesem Akte an
Lektüre in der Seele des Offizieres sein soll.
rücken zu dürfen, ersucht ihn mit tödlicher
(was dem Zu¬
Handlung abschließt, vollzieht sich nicht dra¬
Der Oberst ahnt nämlich,
Liebenswürdigkeit, den vollzogenen Mord auf
matisch, sondern wird in epischer Form gege¬
schauer während dieser Szene vollkommen un¬
sich zu nehmen und verläßt Max. Dieser
ben: es wird dem Zuschauer von einer oder
verständlich bleiben muß) — daß er von sei¬
nimmt den Revolver zur Hand, um das über
der anderen handelnden Person erzählt.
ner Frau mit Max betrogen wird. Wenn auf
ihn verblümt verhängte Todesurteil an sich
Es wird erzählt, daß Katharina ihren im
diese geistvolle Szene sofort die aufklärende
selbst zu vollziehen. In diesem Augenblicke
ersten Akte geäußerten Entschluß, die Mutter
Handlung folgen würde, müßte sie von ge¬
tritt Marie totenblaß und ruhig hinter dem
zu verlassen, ausgeführt hat; es wird erzählt,
waltiger Nachwirkung sein. Sie wird jedoch
Vorhang hervor. Er stellt es ihr mit einer
daß sich der Offizier Max nach jener Liebes¬
von einer Zwischenszene (Max und Albrecht)
Handbewegung anheim, fortzugehen. Sie aber
nacht mit Marie erschossen hat; es wird er¬
abgelöst, die keinen Einfluß auf den Gang
bleibt stehen, — bleibt trotz alledem! Da
zählt, daß sich Marie dem Gerichte stellen
der Handlung und nur den Zweck hat, Ma¬
nimmt er sie mit einem Arme, und mit dem
wollte und daran von Dr. Schindler verhin¬
xens Charakter zu kommentieren und auf
andern den Mantel, der über dem Stuhl
dert wurde; es wird erzählt, wie sich das
Mariens Erscheinen vorzubekeiten. Als Marie
hängt, hüllt sich und sie darein, eilt mit ihr
Todesopfer der blauen Kürassiere vollzogen
eintritt, ist das Zimmer leer. Da sie nahende
davon. Hinter sich versperrt er die Türe. Die
hat. Dramatisch vollzieht sich nur die Tatsache,
Stimmen vernimmt, verbirgt sie sich hinter
Szene ist nun leer; nur die tote Irene liegt
daß Katharina nach Hause zurückkehrt, um zu
einem Vorhange. Max und Irene, die Gattin
auf dem Fußboden... Draußen der Ruf
sterben .. Über ihre Leiche beugen sich der
des Obersten, treten ein. Irene versucht, Max
einer Patrouille . .. Ferne Trompetenstöße. Arzt und Marie:
zur Desertion zu bewegen, zur unbehinderten
Marie (zu ihm aufblickend): Sie sind guf.
Vereinigung mit ihr — nicht so sehr aus dem
rig. Ein larmoyanter Klageton, ein dumpfes
Litaneienpathos ging immerzu über die
Bühne, — diese drei todgeweihten Offiziere
glichen den Träumern, die ihrem eigenen Be¬
gräbnisse zusehen. Sie waren noch nicht tot,
aber ihrem erst kommenden Tode gingen sie
schon wie pompes funebres voraus . .. Man
atmete erlöst auf, als Frl. Albano auftrat,
um die Tragik im Gewande der Wahrheit ein¬
treten zu lassen. Über die Irene des Frl.
Werner breite ich galant den Schleier christ¬
licher Nächstenliebe.
Im übrigen schien es, als hätte dieses
alte Haus seine sämtlichen Kobolde ausge¬
spien, die da legionenweise auf der Bühne
und in den Schlupfwinkeln hinter den Gold¬
zieraten aus Papiermaché nisten müssen. Es
wir eine Komödie der Irrungen. Da gab es
Wasserkaraffen, die nicht da waren, verschlos¬
sene Türen, die von selber aufgingen, die be¬
kannte Pistole, die, alter, ehrwürdiger Tradi¬
tion gemäß, prinzipiell nur hinter der Szene
losgeht, eine tiefe, „mannigfaltige“ Stille, die
ein entsetzlicher Lärm war, — kurzum: es
spukte, es gruselte einem . . . Und über alles
ergoß ein ultramarinblauer Mond gespenstisch
und geisterhaft seine Strahlen, während ir¬
gendwo am Himmel ein grasgrünes Nord¬
pol Phänomen weltuntergangs=unheimlich er¬
strahlte
Und ein ausverkauftes Haus
bangte unausgesetzt: „O, wär' erst alles vor¬
bei!“
Emanuel Ulrich.
19. Der Ruf des Lebens
Der dritte Akt. Wie schon eingangs er¬
minderwertigen Verlangen des erotischen Weib¬
Jus ultimae noctis
wähnt, bin ich nicht in der Lage, mich der
chens, als vielmehr wieder nur aus dem an¬
*
fast allseitig erfolgten Akklamation, die diesem
geborenen Impulse, das Leben angesichts des
Es ist die letzte Nacht vor dem Abmar¬
Akte zu teil wurde, anzuschließen — bei aller
ihr unlogisch erscheinenden Autodafé's der
sche der blauen Kürassiere, der um 4 Uhr
ehrlichen Bewunderung Arthur Schnitzler's,
blauen Kürassiere zu bejahen. Aber Max, der
morgens erfolgen wird. Max ist in seinem
der unumwundenen Ausdruck zu geben, mir
mit seinem Tode den am Obersten verübten
schon wiederholt vergönnt war. Das — im
Zimmer gerade mit dem Ordnen von Brief¬
Betrug sühnen will, widersteht der Sirene
dramatischen Sinne — Wesentliche dieses
schafien beschäftigt, als der Oberst des Regi¬
Irene und heißt sie fortgehen. In diesem
Aktes, die Schlußszene, eine letzte Bei¬
mentes an dem offenen Fenster vorüber¬
Augenblicke klirrt das Fenster, durch das der
des Lebens über einer Leiche, nimmt sich in
kommt. Der Oberst scheint den Offizier zu
Oberst hereinspringt und seine Frau erschießt.
diesem Akte aus wie ein winziger Brillanten¬
lieben. Er läßt sich in ein Gespräch mit ihm
Dann wendet er sich zu Max, erklärt ihn für
splitter in unverhältnismäßig gewichtiger Fas¬
ein, das für den Oberst eine selbstquälerische
unwürdig, in den ehrenvollen Tod mit ab¬
sung. Was sich sonst noch in diesem Akte an
Lektüre in der Seele des Offizieres sein soll.
rücken zu dürfen, ersucht ihn mit tödlicher
(was dem Zu¬
Handlung abschließt, vollzieht sich nicht dra¬
Der Oberst ahnt nämlich,
Liebenswürdigkeit, den vollzogenen Mord auf
matisch, sondern wird in epischer Form gege¬
schauer während dieser Szene vollkommen un¬
sich zu nehmen und verläßt Max. Dieser
ben: es wird dem Zuschauer von einer oder
verständlich bleiben muß) — daß er von sei¬
nimmt den Revolver zur Hand, um das über
der anderen handelnden Person erzählt.
ner Frau mit Max betrogen wird. Wenn auf
ihn verblümt verhängte Todesurteil an sich
Es wird erzählt, daß Katharina ihren im
diese geistvolle Szene sofort die aufklärende
selbst zu vollziehen. In diesem Augenblicke
ersten Akte geäußerten Entschluß, die Mutter
Handlung folgen würde, müßte sie von ge¬
tritt Marie totenblaß und ruhig hinter dem
zu verlassen, ausgeführt hat; es wird erzählt,
waltiger Nachwirkung sein. Sie wird jedoch
Vorhang hervor. Er stellt es ihr mit einer
daß sich der Offizier Max nach jener Liebes¬
von einer Zwischenszene (Max und Albrecht)
Handbewegung anheim, fortzugehen. Sie aber
nacht mit Marie erschossen hat; es wird er¬
abgelöst, die keinen Einfluß auf den Gang
bleibt stehen, — bleibt trotz alledem! Da
zählt, daß sich Marie dem Gerichte stellen
der Handlung und nur den Zweck hat, Ma¬
nimmt er sie mit einem Arme, und mit dem
wollte und daran von Dr. Schindler verhin¬
xens Charakter zu kommentieren und auf
andern den Mantel, der über dem Stuhl
dert wurde; es wird erzählt, wie sich das
Mariens Erscheinen vorzubekeiten. Als Marie
hängt, hüllt sich und sie darein, eilt mit ihr
Todesopfer der blauen Kürassiere vollzogen
eintritt, ist das Zimmer leer. Da sie nahende
davon. Hinter sich versperrt er die Türe. Die
hat. Dramatisch vollzieht sich nur die Tatsache,
Stimmen vernimmt, verbirgt sie sich hinter
Szene ist nun leer; nur die tote Irene liegt
daß Katharina nach Hause zurückkehrt, um zu
einem Vorhange. Max und Irene, die Gattin
auf dem Fußboden... Draußen der Ruf
sterben .. Über ihre Leiche beugen sich der
des Obersten, treten ein. Irene versucht, Max
einer Patrouille . .. Ferne Trompetenstöße. Arzt und Marie:
zur Desertion zu bewegen, zur unbehinderten
Marie (zu ihm aufblickend): Sie sind guf.
Vereinigung mit ihr — nicht so sehr aus dem
rig. Ein larmoyanter Klageton, ein dumpfes
Litaneienpathos ging immerzu über die
Bühne, — diese drei todgeweihten Offiziere
glichen den Träumern, die ihrem eigenen Be¬
gräbnisse zusehen. Sie waren noch nicht tot,
aber ihrem erst kommenden Tode gingen sie
schon wie pompes funebres voraus . .. Man
atmete erlöst auf, als Frl. Albano auftrat,
um die Tragik im Gewande der Wahrheit ein¬
treten zu lassen. Über die Irene des Frl.
Werner breite ich galant den Schleier christ¬
licher Nächstenliebe.
Im übrigen schien es, als hätte dieses
alte Haus seine sämtlichen Kobolde ausge¬
spien, die da legionenweise auf der Bühne
und in den Schlupfwinkeln hinter den Gold¬
zieraten aus Papiermaché nisten müssen. Es
wir eine Komödie der Irrungen. Da gab es
Wasserkaraffen, die nicht da waren, verschlos¬
sene Türen, die von selber aufgingen, die be¬
kannte Pistole, die, alter, ehrwürdiger Tradi¬
tion gemäß, prinzipiell nur hinter der Szene
losgeht, eine tiefe, „mannigfaltige“ Stille, die
ein entsetzlicher Lärm war, — kurzum: es
spukte, es gruselte einem . . . Und über alles
ergoß ein ultramarinblauer Mond gespenstisch
und geisterhaft seine Strahlen, während ir¬
gendwo am Himmel ein grasgrünes Nord¬
pol Phänomen weltuntergangs=unheimlich er¬
strahlte
Und ein ausverkauftes Haus
bangte unausgesetzt: „O, wär' erst alles vor¬
bei!“
Emanuel Ulrich.