II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 418


den
n,
uha
orf
use
sicht
box 24/4
19. Der Ruf des Lebens
läßt das Stück die Vorzuge sonstiger Schnitlerscher dramatischer
Arbeiten durchweg vermissen: Knappheit und Geist, Meisterschaft
in der Behandlung des Dialogs und Witz. Den letzteren schloß
hier freilich der Stoff aus. Es kam dem Dichter offenbar darauf
an, die Macht darzustellen, die so ziemlich alle Menschen, selbst die
Kranken und Aermsten, sich an das Leben klammern läßt. Das
ist genß an sich ein geeigneter Vorwurf, nur mutet der von
Schychler zur Illustrierung des Problems genommene Stoff doch
regk konstruiert an. Ein Regiment der blauen Kürassiere har im Krieg
her 30 Jahren Veranlassung zu einer Niederlage dadurch gegeben,
aß es zuerst aus einer Stellung wich, die es hätte halten mussen.
In einem neuen Krieg hat nun das Regiment, um die Schmach
wieder gut zu machen, auf Betreiben des Obersten gebeten, an den
gefährlichsten Posten gestellt zu werden, wo es bis auf den letzten
Mann vernichtet werden müsse. Mit der letzten Eskadron ziehen
auch die jungen Offiziere Max und Albrecht in den angeblich
sicheren Tod. Borher bekommt aber der erstere von ihnen noch
Besuch in der Kaserne. Zuerst will sich ihm Marie, die Tochter
jenes alten, nun 79jährigen Rittmeisters Moser, an den Hals
werfen, durch dessen Schuld damals die Schlacht verloren worden
beachten!
ist, und dann kommt noch die Frau des Obersten, um ihn zu be¬
stimmen, das Leben nicht fortzuwerfen, sondern mit ihr weiterzu¬
Telephon 12.801.
führen. Der Oberst, von dem man erzählt, daß er um das Ver¬
hältnis wußte und nur deshalb jenen Schwur seiner Offiziere
provoziert habe, überrascht die beiden und knallt die
Gattin kurzerhand nieder. Auch Marie hat einen Mord an
Ihrem Vater auf dem Gewissen, einem unleidlichen Kranken.“
1
dessen sie sich durch Einflößung eines Trankes entledigt,
ihrer Brunst
— man kann nicht anders sagen
Unternehmen für
zzu folgen. Sie, wie auch ihre Freundin Katharina, die Tochter
hnitte
svon Mosers Schwägerin, leiden offenbar an Nymphomanie, und sie
lverstehen „den Ruf des Lebens“ lediglich dahin, sich „auszuleben“
diaplatz 4.
ld. h. einem Manne nachzulaufen. Katharina ist mit einem Forst¬
ladjunkten so gut wie verlobt gewesen, der sich aber von ihr ab¬
Cleveland, Christiania,
swandte, als er Marie kennen lernte. Anscheinend infolgedessen ist
, Mailand, Minncapolis,
si auch geistig anormal geworden. Von einem Schlachtfeld kommt
o, Stockholm, St. Peters¬
endlich die Kunde, daß die blauen Kürassiere wirklich niedergemacht
#worden sind mit alleiniger Ausnahme — man weiß nicht, wie es
Gewähr).
kam — des Offiziers Max. Indes hat sich dieser nachträglich er¬
schossen. Ueber den Grund der Tat nachzudenken, bleibt jedem Zuschauer
Volkszeitung
selbst überlassen, vermutlich geschah es deshalb, weil das Stück ein
Ende haben mußte. Wie gesagt, bleibt der Dialog weit zurück hinter
dem, was man von Schnitzler erwarten durfte. Abgesehen von einigen
dunklen Phrasen, wie z. B.: „Nur wer die Zusammenhänge be¬
greift, iebt ewig,“ reden die Personen oft ein ganz bedenkliches
Konzerte.
Papierdeutsch; besonders zeichnen sich darin die beiden Mädchen
aus. Der erste Akt, der fünf Viertelstunden dauert, hat manche
es nötig war, das Schnitz¬
Längen, für die Charakterisierung des alten Moser als tyrannischer
s Lebens sechs Jahre Kau)
Egoist bedürfte es nicht seiner endlosen Reden, der dritte ist ein¬
unsere Bühne zu bringen, die
fach langweilig. Die von Dr. Simchowitz inszenierte Aufführung
ngssünde dokumentiert hätte:
war recht gut. Um den todesbangen alten Moser machte sich
lls am Schluß durch kräftiges
auf die Frage. In der Tat I Herr Turrian verdient; er stattete ihn mit einem so gehäuften
Maß von Unausstehlichkeit aus, daß man froh ist, wenn der Tod
ihm endlich den Mund stopft. Mit seiner Tochter Marie, die ein
Martyrium bei ihm durchmacht und ihn zuletzt tot am Boden
liegen läßt, um dem Ruf des Lebens zu folgen, mußte sich Främenn
Schönfeld abfinden, die der schwierigen Aufgabe wohl gewachsen =var,
wenn die Figur auch stellenweise noch etwas mehr Farbe vertragen
konnte. Bei ihren Versuchen, leise zu sprechen, ging für das Verständ¬
nis fast alles verloren. Für die kranke Katharina stand Frl. Landen
mit Erfolg ein; ihr Tod im dritten Akt ist von seiten des Autors
schlimmster Theatereffekt. Mit Mosers Schwägerin fand sich Frl.
Scholtz glücklich ab. Einen Arzt, der die auseinanderflatternden
Geschehnisse zusammenzuhalten die Aufgabe hat, gab Hr. Senden
recht natürlich. Dem Forstadjunkten verlieh Hr. Dysing eine ge¬
hörige Dosis Schwerfälligkeit, so daß man sich nicht wundern
durfte, wenn er nicht größeres Glück bei Marie hatte. Den
Obersten gab Hr. Dr. Krüger mit Festigkeit, die kleine Rolle
seiner Frau war Frl. Frey zugefallen, die Offiziere Max und
Albrecht hatten in den Herren Aßmann und Kiesau gute Vertreter
gefunden. Im dritten Akte, der in einem niederösterreichischen
Dorfe spielt, entschädigt für die Mängel der Handlung einiger¬
maßen eine hübsche Dekoration. Sehr störend war wieder einmal
das Zuspätkommen der verehrlichen Abonnenten, die bis tief in
den ersten Akt hinein die Ruhe störten und die Sitzreihen be¬
helligten. Ob diese Damen, um die es sich fast ausschließlich“
handelte, wirklich zu Hause so unabkömmlich sind, daß sie den Vyr¬
wurf mangelnder Rücksichtnahme auf sich laden müssen?
chiten