II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 460

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bens
19. Der Ruf des Le¬
und Moser als Rittmeister mit seiner Eskadron
die Flucht ergriff, das Regiment nach sich ziehend,
as Schmach und Schande überliefernd. Und auch
zetzt, nach dreißig Jahren, erfüllt ihn geradezu
aunaut aut Wie auth Hrhneng.
Zynische Freude, daß er weiterleben wird, während
•9 9 1913
vom:
keiner mehr von den Blauen Reitern einem Schwur
sgetreu aus dem Kriege zurückkehren wird, indem
„Der Ruf des Lebens“ der nicht mehr ganz neue, aber bis
sie eben von neuem ziehen. Unter ihnen ist auch
L# wenig durchgedrungene Schnitzler, mit dem die Münchener
sein junger Offizier Max. Eine Nacht hat Marie,
Kammerspiele in ihre nem Spielzeit unter der Direktion Erich
„von Krankenbett des alten Moser weg, mit ihm
Ziegel und Benno Bing erfolgreich eingetreten sind, ist kein Drama,
kaum dramatisch. Drei Akte sind nur durch Personalunion und eine
durchtanzt. Damals ertönte für sie der Ruf des
philosophische Idee zu einer Einheit verbunden. Auch sind die Personen
(Lebens. Sie war ihm nicht gefolgt, sondern lebte
nur in den beiden ersten Akten von eigener Lebenskraft, im Schlußakt
ihr freudeloses Leben im Krankenzimmer des rohen
tritt an Stelle des psychologisch seinziselierenden Gestalters Schnitzler
der Raisoneur, der voll Reiz und Geschmack fesselnde, oft tiefe Gedanken
Alten weiter. Aber nun, da der Geliebte mit
dem Regiment die Schuld des Vaters büßen soll,
Verwacht urplötzlich und unwiderstehlich in ihr die
ausspricht, aber eben doch im Raisonnement stecken bleibt. Vor der
Sucht nach Leben und Lebensgenuß. Nur eine
milden Skepsis Schnitzlers sind Sünde und Verbrechen, Feigheit und
Mut notwendige Glieder jener Erscheinungskomplere, die wir Leben
Nacht will sie genießen und da der Alte ihr die
nennen. Dieses selbst, seinen Sinn, kann sie nicht erklären, aber seine
Türe versperrt, tötet sie ihn durch eine zu reich¬
Sinnlosigkeit verklären durch Nachsicht, Hoffnung. Die Tatsache des
fliche Dosis eines Schlaftrunkes. Und so über¬
Lebens ist allein das Sichere, es zu genießen nicht in wildem chaotischen
Begehren, sondern in stiller, abgeklärter Resignation, das scheint uns
mächtig tönt in ihr der Ruf des Lebens, daß sie
die Lehre aus dem Schicksal der Heldin dieser dramatisierten Novelle zu
des genießen will, obwohl ein abstoßendes Schau¬
sein, der Marie Moser, die den selbstsüchtigen greisen Vater, den am
spiel ihr ja den Geliebten entfremden müßte.
Leben hängenden einstigen Rittmeister, vergiftet, um einmal dem todge¬
Denn vor ihren Augen tötet der Oberst des Re¬
weihten Geliebten, in dem sich ihr as Leben verkörpert, zu gehören,
von der sich im Geliebten auch das Leben abgewendet zu haben scheint,
Regiments seine Frau, weil sie ihn mit Max be¬
und die wir am Schluß doch wieder verlassen mit dem tröstlichen
trogen. Ihm läßt er den Revolver zurück.
Schimmer neuer Hoffnung, das Leben geht unbeirrt seinen Weg,
aber noch ein
Er wird ihn gebrauchen
heilt auch die Wunden wieder, die es schlägt. Ueber die sehr freundliche
Aufnahme Schnitzlers und seines Werkes haben wir schon telegraphisch be¬
paar Stunden bannt ihn ans Leben der Ruf
richtet. Die interessante Dichtung wurde aber auch unter Ziegels Spiel¬
Das Stück
des Lebens, des Genießens.
leitung interessant dargestellt vor allem die Hauptrolle durch Mirjam
stellt hohe Anforderungen an die Darstellung.
Horwitz, die auch in ihrer äußeren Erscheinung ein prachtvoller Frauen¬
typ aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts war. Eine größere An¬
Mit dem strengen Maßstab gemessen, den man
zahl neuer Mitglieder ermöglichten durch ihre Leistung eine hoffnunge¬
verwöhnt an die Aufführungen der Kammerspiele
volle Prognose für die kommende Spielzeit, in der sich erweisen i
seit Dr. Roberts und Erich Ziegels Direktion
ob die Kammerspiele auch ohne ihren künstlerischen Schöpfer und pyne¬“
ihren Star lebensfähig bleiben.
zu legen pflegt, stand die Samstag=Novität nicht
fusit
auf voller Höhe ihrem Gesamteindruck nach, wobei
ja entschuldigend in die Wagschale fällt, daß sich
das vielfach neu zusammengestellte Ensemble auch
erst zusammenspielen muß. Restlos erschöpfte
(Guchenangabe onne Gewahr)
Philipp Manning die Rolle des alten Moser. Mit
eiskaltem Sarkasmus erfüllte Erich Ziegel, in der
Münch
Kunst- und Theater Anzeige
usschnitt aus:
Maske wohl etwas zu jung, den Obersten, eine
e. „ München
visionäre Erscheinung, welche Auffassung wohl auch
im:
das Erscheinen des Obersten in der Fensterum¬

rahmung während des ganzen Gespräches mit Max
Ar Birftelung.
rechtfertigt. Voll am Platze war Mirjam Horwitz'
Münchener Kammerspiele. Die Direk¬
Marie, auch die F au Richter Auguste Prasch¬
sion Erich Ziegel und Benno Bing eröffnete die
Grevenbergs. Zu wenig Leben war im Spiel und
Wintersaison am Samstag mit der Erstaufführung
etwas zu viel deklamierender Pathos in der Sprache
von Arthur Schnitzlers dreiaktigem Schauspiel
Emilie Undas (Irene), Paul Marx' (Dr. Schindler)
„Der Ruf des Lebens“ damit erfreulicherweise
und Ernst Stahl=Nachbauers (Rainer). Wacker
dokumentierend, daß sie ihr Repertoire nicht nach
war Jenny Spielmann (Katharina), temperament¬
den Kassenergebnissen auswärtiger Bühnen, sondern
voll Max Oswalds Max. In kleineren Rollen
in künstlerisch=literarischen Streben zu gestalten
entsprachen König (Sebastian) und Franz Wahl
Willens ist. Ein Kassestück, wie so viele seiner
(Albrecht). Ziegels Inszenierung brillierte nament¬
anderen Werke, ist der „Ruf des Lebens“ nie ge¬
lich in der mise en scène des idyllischen Land¬
worden. Und doch ist es ein echter Schnitzler,
häuschens des dritten Aktes. Der Beifall erwärmte
wohl sogar einer der tiefsten, gehaltvollsten, pro¬
sich von Akt zu Akt, so daß der anwesende Autet
blemschwersten. Spannend, überwältigend drama¬
wiederholt vor der Rampe erscheinen konnte. IX
tisch gestaltet baut sich die Handlung auf, wobei
es ja oft zu denken gibt, was reale Wirklichkeit
der Geschehnisse ist und was wohl, wie z. B. der
Todesritt der Blauen Reiter, Symbolik des Lebens¬
problems ist, der Sucht, des für jeden Menschen ein¬
mal ertönenden Rufes nach Leben und Lebens¬
genuß, der wie das Leitmotiv einer Oper durch
das ganze Schauspiel klingt. „Der Mensch hat
nichts als das bißchen Leben“, sagt Doktor
Schindler in dem Stück, in dem er gewissermaßen
die sprechende Lebenstheorie Schnitzlers vertritt.
Jeder will es genießen, sei es auf Stunden, Wo¬
chen, Monate, auf Jahre. Trotz seines schweren
Leidens und hohen Alters hört auch heute noch
der alte Moser nur auf den Ruf des Lebens. Er
will leben, weiter leben. Und auch damals hat
er neu den Ruf des Lebens gehört, als in heißer
Schlacht der Tod den Blauen Reitern nahen wollte ¬