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TOALU CL Lne
dem heute in Frankreich geführten Kampf viele tatsächliche
Ahnlichkeiten ergeben, so wirkt das Lustspiel an zahlreichen
Stellen so, als ob es erst vor vierzehn Tagen und nicht schon
vor Jahren geschrieben worden wäre. Auch für die unent¬
behrliche Rührung hat der Verfasser reichlich vorgesorgt, ins¬
besondere durch eine improvisierte Weihnachtsfeier, die die
deutschen Soldaten im Schlosse begehen und bei der sie, um
den lichterbesteckten Tannenbaum herumstehend, ihr: „Stille
Nacht, heilige Nacht“ singen. Die Kinder (im Zuschauerraum)
Zoden es gerne. Sie zeigen sich dankbar, was sich in den
klautem Beifall und verhältnismäßig guten Besuch ausdrückt.
In die Reihe der mit dem Krieg schon recht lose zu¬
sammenhängenden Schauspiele gehört Artur Schnitz¬
lers Drama „Der Ruf des Lebels ###
Deutsche Volkstheater neu einstudiert hat. Allerdings ist
hier der Zusammenhang sehr äußerlicher Natur. Eine Mo¬
bilisierung Österreichs, der Abzug von Regimentern —
man hört im ersten Akt wieder und wieder Pserdehuse
vorbeiziehender Kavallerie aufs Pflaster klappern! — ins
Aufmarschgebiet, die Stimmung der letzten Stunden
bildet wohl den Hintergrund des nachdenklichen Schnitzler¬
schen Schauspiels. Aber der Grundton dieses Dramas ist
nicht die heroische Kriegsfreude Zarathustras, der einmal
das Wort prägte, nicht die gute Sache sei es, die den Krieg
heilige, sondern der gute Krieg sei es, der jede Sache heilige,
ist auch nicht die opferfreudige Hingebung an Volk und
Vaterland, sondern ist vielmehr ein leiser Zweifel an allen
lauten Dingen. Die blauen Kürassiere haben geschworen.—
daß keiner von ihnen lebendig aus dem Kriege zurückt
kehren werde. So wollen sie, sagt man, die Schmach führen,
daß in einem früheren, für Österreich verloren gegangeneng
Feldzug eine Eskadron ihres Regiments das Zeichen zur
Flucht gegeben haben soll. Aber der steptische Dichter läßt
uns den heldenhaften Entschluß des Regiments in der Nähe
besehen. Und da zeigt sich, daß der Regimentsoberst von
seiner schönen jungen Frau mit einem frischen jungen
Leutnant betrogen wird und daß er, weil er diesen Betrug¬
ahnt, sterben will. Darum beredet er wohl — vielleicht
selbst nicht mit Bewußtsein und Absicht — seine Offiziere
zu dem gemeinsamen Sühnetod. Und einem Gespräch zweier
Offiziere entnehmen wir, daß auch die Stimmung des
Offizierskorps nicht rein und einheitlich ist. Der ehe¬
brechende Leutnant redet sich in Begeisterung hinein für
diesen Heldentod, weil er so die heimlich an ihm nagende
Schuld gegenüber dem verehrten Oberst büßen und der
ihm bereits zur Last gewordenen Geliebten entrinnen will;
dagegen bezeichnet ein anderer Offizier den Entschluß als
sinnlose Heldenprotzerei. Die Soldaten vollends befolgen
einfach aus Nachahmungstrieb das von den Führern ge¬
gebene Beispiel. Wie wenig es dem jungen Ehebrecher mit
dem Heldentod fürs Vaterland ernst ist, zeigt sich darin,
daß er sich, nachdem er mit des Obersten Frau in der
letzten Nacht vor dem Abmarsch von dem Obersten ertappt
worden ist, und nachdem der Oberst die Frau, aber nicht
ihn erschossen hat, mit eigener Hand den Tod gibt. Vorher
hat er aber noch einige Stunden glühender Leidenschaft an
der Brust eines Mädchens verbracht, das sich ihm bisher
versagt hatte und das erst jetzt im Angesichte des sicheren
Todes der blauen Kürassiere dem Geliebten alles schenkt,
was sie überhaupt zu schenken vermag. Es ist ein Spiel
des Schicksals, daß der alte Vater dieses Mädchens just
jener längst pensionierte Rittmeister der blauen Kürassiere
ist, der im früheren Feldzuge, von einem plötzlichen Angst¬
gefühl, modern gesprochen: Nervenchoc, gepackt, als erster
die Flucht ergriffen und die damalige Niederlage verschul¬
det hat. Der alte Mann triumphiert im ersten Akt, wo er
die ihn sorgsam pflegende Tochter quält, stolz darüber, daß
er damals nicht gefallen sei und noch immer lebe, wäh¬
rend seine einstigen Kameraden schon durchweg dem Rufe
des Todes hätten folgen müssen. Er triumphiert zu frühr
denn die Langmut, mit der ihn die Tochter bisher tretz
seiner Unerträglichkeit gepflegt hat, findet jetzt durch den
neuen Krieg ein Ende; der Alte freut sich umsonst bei dem
Gedanken, daß er alle die jungen, in den Tod reitenden
Kürassiere noch überleben werde, seine Tochter schüttet ihm
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dem heute in Frankreich geführten Kampf viele tatsächliche
Ahnlichkeiten ergeben, so wirkt das Lustspiel an zahlreichen
Stellen so, als ob es erst vor vierzehn Tagen und nicht schon
vor Jahren geschrieben worden wäre. Auch für die unent¬
behrliche Rührung hat der Verfasser reichlich vorgesorgt, ins¬
besondere durch eine improvisierte Weihnachtsfeier, die die
deutschen Soldaten im Schlosse begehen und bei der sie, um
den lichterbesteckten Tannenbaum herumstehend, ihr: „Stille
Nacht, heilige Nacht“ singen. Die Kinder (im Zuschauerraum)
Zoden es gerne. Sie zeigen sich dankbar, was sich in den
klautem Beifall und verhältnismäßig guten Besuch ausdrückt.
In die Reihe der mit dem Krieg schon recht lose zu¬
sammenhängenden Schauspiele gehört Artur Schnitz¬
lers Drama „Der Ruf des Lebels ###
Deutsche Volkstheater neu einstudiert hat. Allerdings ist
hier der Zusammenhang sehr äußerlicher Natur. Eine Mo¬
bilisierung Österreichs, der Abzug von Regimentern —
man hört im ersten Akt wieder und wieder Pserdehuse
vorbeiziehender Kavallerie aufs Pflaster klappern! — ins
Aufmarschgebiet, die Stimmung der letzten Stunden
bildet wohl den Hintergrund des nachdenklichen Schnitzler¬
schen Schauspiels. Aber der Grundton dieses Dramas ist
nicht die heroische Kriegsfreude Zarathustras, der einmal
das Wort prägte, nicht die gute Sache sei es, die den Krieg
heilige, sondern der gute Krieg sei es, der jede Sache heilige,
ist auch nicht die opferfreudige Hingebung an Volk und
Vaterland, sondern ist vielmehr ein leiser Zweifel an allen
lauten Dingen. Die blauen Kürassiere haben geschworen.—
daß keiner von ihnen lebendig aus dem Kriege zurückt
kehren werde. So wollen sie, sagt man, die Schmach führen,
daß in einem früheren, für Österreich verloren gegangeneng
Feldzug eine Eskadron ihres Regiments das Zeichen zur
Flucht gegeben haben soll. Aber der steptische Dichter läßt
uns den heldenhaften Entschluß des Regiments in der Nähe
besehen. Und da zeigt sich, daß der Regimentsoberst von
seiner schönen jungen Frau mit einem frischen jungen
Leutnant betrogen wird und daß er, weil er diesen Betrug¬
ahnt, sterben will. Darum beredet er wohl — vielleicht
selbst nicht mit Bewußtsein und Absicht — seine Offiziere
zu dem gemeinsamen Sühnetod. Und einem Gespräch zweier
Offiziere entnehmen wir, daß auch die Stimmung des
Offizierskorps nicht rein und einheitlich ist. Der ehe¬
brechende Leutnant redet sich in Begeisterung hinein für
diesen Heldentod, weil er so die heimlich an ihm nagende
Schuld gegenüber dem verehrten Oberst büßen und der
ihm bereits zur Last gewordenen Geliebten entrinnen will;
dagegen bezeichnet ein anderer Offizier den Entschluß als
sinnlose Heldenprotzerei. Die Soldaten vollends befolgen
einfach aus Nachahmungstrieb das von den Führern ge¬
gebene Beispiel. Wie wenig es dem jungen Ehebrecher mit
dem Heldentod fürs Vaterland ernst ist, zeigt sich darin,
daß er sich, nachdem er mit des Obersten Frau in der
letzten Nacht vor dem Abmarsch von dem Obersten ertappt
worden ist, und nachdem der Oberst die Frau, aber nicht
ihn erschossen hat, mit eigener Hand den Tod gibt. Vorher
hat er aber noch einige Stunden glühender Leidenschaft an
der Brust eines Mädchens verbracht, das sich ihm bisher
versagt hatte und das erst jetzt im Angesichte des sicheren
Todes der blauen Kürassiere dem Geliebten alles schenkt,
was sie überhaupt zu schenken vermag. Es ist ein Spiel
des Schicksals, daß der alte Vater dieses Mädchens just
jener längst pensionierte Rittmeister der blauen Kürassiere
ist, der im früheren Feldzuge, von einem plötzlichen Angst¬
gefühl, modern gesprochen: Nervenchoc, gepackt, als erster
die Flucht ergriffen und die damalige Niederlage verschul¬
det hat. Der alte Mann triumphiert im ersten Akt, wo er
die ihn sorgsam pflegende Tochter quält, stolz darüber, daß
er damals nicht gefallen sei und noch immer lebe, wäh¬
rend seine einstigen Kameraden schon durchweg dem Rufe
des Todes hätten folgen müssen. Er triumphiert zu frühr
denn die Langmut, mit der ihn die Tochter bisher tretz
seiner Unerträglichkeit gepflegt hat, findet jetzt durch den
neuen Krieg ein Ende; der Alte freut sich umsonst bei dem
Gedanken, daß er alle die jungen, in den Tod reitenden
Kürassiere noch überleben werde, seine Tochter schüttet ihm