II, Theaterstücke 19, Der Ruf des Lebens. Schauspiel in drei Akten (Vatermörderin), Seite 489

19. Der Ruf des Lebens
haften Fahnenflucht von ihrem Regiment ab¬
zuwaschen. Sehr genial, wie dieser Vorgang aus
der ehemaligen verschwiegen gebliebenen Schuld
des alten Moser, der dieses Regiment befehligte,
herauswächst, und sympathisch wenn auch grau¬
sam heldenhaft der Entschluß. Schade, daß wir
dann hören, der Oberst habe diese Legende nur
darum wieder ausgegraben, um sich und seine
Offiziere, deren intime Beziehungen zu seiner
Frau er kennt, in den Tod schicken zu können,
nachdem er diese wie ein schädliches Tier nieder¬
geknallt hat. Die eigentliche Meinung des
Dichters vertritt der Arzt Dr. Schindler, doch
wird sie in diesem Anprall der aufgewühlten
Leidenschaften und unheilvollen Geschehnisse
rätselhaft verschleiert.
Die Darstellung des Stückes bot schöne
künstlerische Leistungen. Herr Zaglauer hat sich
der Rolle des alten Moser mit festem, sicherem
Griff bemächtigt; er spielte sie so meisterhaft,
daß man der Wahrheit gegenüber zu stehen
meinte, was, auch wenn es sich um ein Scheusal
handelt, das weniger peinliche ist. Fräul. Sorel,
die hochintelligente Künstlerin, machte aus der
Marie das möglichste. Ueberraschend gut gestal¬
tete sich das zweite Auftreten Fräulein Fassers
als Katharina, in ihr scheint wirklich ein auf¬
strebendes Talent zu stecken, das sich mit viel
Fleiß und Studium paart. Dasselbe ist von
Fräul. Georgi Hartenau zu sagen, die in einer
leidenschaftlichen Szene einem jungen Offizier
gegenüber alle Künste einer Messalina spielen
läßt und die als Irene ein sehr vorteilhaftes
Debut zu verzeichnen hat. Die übrigen Rollen
lagen in den Händen der Frau Maugsch und der
Herren Czell, Heim, Sußmann, Ferstl, Marton
Dienstag den 24. November: „Das dumme
Herz“, Operette von Ziehrer. Gute Aufführung.
Donnerstag den 26. November: „Der
G’wissenswurm“ L. Anzengrubers humorvolle
Bauernkomödie begegnete diesmal einem beson¬
deren Interesse. Die k. k. Hofschauspielerin Frl.
Blanka Glossy erschien als Gast in der Rolle der
Horlacherlies. Schon die Tradition verbindet
Fräulein Glossy mit Baden. Ihr Vater, der
berühmte Grillparzerforscher Regierungsrat Karl
Glossy, ist hier auf den Spuren des Dichters
gewandelt, sie selbst hat die Badener Bühne zu
ihrem ersten schauspielerischen Versuch erwählt,
dem das Engagement für das Burgtheater folgte.
Der Donnerstag=Abend war ein Festabend hoher
Kunst, die sich in der Darstellung dieses köstlichen
Naturkindes offenbarte und deren Vertreterin in
Fräulein Glossy stürmisch und herzlichst gefeiert
wurde. Der reizende spitzbübische Humor Frl.
Glossys, ihr großartiges Beobachtungs= und
Nachahmungstalent kam gleich in der ersten
Szene mit Wastl aufs glänzendste zur Geltung.
Das war wirklich in jeder Bewegung, im Dialekt
und Tonfall dem echten Dirndl abgeguckt. Frisch
und erquickend in Vortrag und Stimme waren
auch ihre Gstanzeln und Lieder, lieb und innig
gestaltete sie ihre Szenen mit dem alten Grill¬
hofer. Leider fand sie in der von Herrn Klitsch
zu monoton aufgefaßten Rolle nicht den richtigen
Resonanzboden für ihre Leistung. Anders in
ihren Szenen mit Wastl, den Herr Anton Garo
vom Bürgertheater in Wien als Gast gab und
in dem sie einen ebenbürtigen, mit großem ver¬
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hrecher¬
Kammer aufbewahrt hatten.
(Ein spekulativer Bettler.) Der 29jäh¬
#rige Schlossergehilfe Franz Hummer wurde am
19. d. M. abends im Gasthause des Johann Müller
wegen Bettelns arretiert. Er hatte noch kurz zuvor
die Bemerkung gemacht: „Heut muß man nur g'scheit
sein und „Hoch Deutschland!“ schreien, dann gehts
Fechten. Heut hab i in drei Villen gebettelt und
2 bis 3 K erwischt. Hummer, der seit längerer Zeit
ohne Arbeit ist, obwohl Schlosser gerade jetzt sehr
gesucht siad, wurde dem Bezirksgerichte übergeben.
(Festgenommene Zechprellerin.) Die Hilfs¬
schwester des „Roten Kreuzes“ in Wien Leopoldine
Gruber quartierte sich 2 Tage lang im Gasthause
des Karl Müller ein und wollte am 21. d. M. früh
unter Hinterlassung einer Quartier= und Zechschuld
von 11 K 22 h durch das rückwärtige Haustor des
Gasthofes verschwinden. Sie wurde jedoch vom Gast¬
wirte beobachtet und angehalten. Da sie keine Gelb¬
mittel bei sich hatte und die Schuld nicht begleichen
konnte, wurde die Schwindlerin arretiert und dem
Bezirksgerichte eingeliefert.
Tattendorf. (Kriegsanleihe.) Die hiesige
Gemeinde hit sich an der Zeichnung der Kriegsanleihe
mit 5000 K beteiligt.
Weißenbach a. Tr. (Kriegsfürsorge¬
stelle.) Bei derselben sind in letzter Zeit folgende
Spenden eingelaufen: von einer Sammlung im Turn¬
verein 6 K, Polier Bankl 10 K, Frau Fine Kißling
4 K 60 h, Fräulein Rokita 2 K, Herr Irich 2 K,
Herr Robert Keller 10 K, Fremdwörtersperre im
Turnverein 5 K, Herr Hans Fretherr Kometer. 50 K,
Spielgesellschaft der Klassenlotterie 8 K 5 h, Elspar¬
nis aus einer Kranzspende durch Frau Baronin
Pittel 2 K.
Theater
2
dSa
Fubiläums=Stadttheater in Baden.
Sonntag den 22. November 1914 zum ersten¬
mal „Der Ruf des Lebens“ Schauspiel in drei
#
Akten von Antur Schnitzler.
Vor vier oder fünf Jähren im=Wienes=Deutscheit
Volkstheater zum erstenmal aufgeführt, wurde das
Stück im Vormonat neustudiert dem Spielplan der¬
selben Bühne neuerhings übergeben. In den Tagen
des tiefsten Friedens, als die Menschheilt satt und
selbstzufrieden nach Nervenkitzel begehrte, da mag
das brutal= theatralische des Schauspieles vielleicht
gewirkt und seine innere Unwahrheit darob vielleicht
vergessen gemacht haben. Man war gewillt, die
Meisterschaft des Verfossers im Malen fein phystolo¬
gischer Momente anzuerkennen, ließ sich dielleicht von
dieser seltsamen Art krassen Realismus mit fast an
das Märchenhaft=phantastische streifenden Vorgängen
abwechseln zu lassen, gefangen nehmen. Heute aber,
wo die gewaltige Zeit für genügend Aufregungen
und Nervenzerrüttungen sorgt, löst ein Stück dieser
Art nur beklemmende Empfindungen aus. Wir finden
es als zu viel, wenn im ersten Akt eine Tochter
ihren Vater ermordet, im zweiten Akt ein Mann
seine ungesreue Gattin erschießt und im dritten eine
Schwindsüchtige stirbt. Das ist aber noch nicht alles.
Diese drei, die der Ruf des Lebens, der Schrei nach
dem Glück, oder wenigstens das, was jede Einzelne
dafür hält, zur Mörderin, zur Ehebrecherin und
Dirne gemacht, sind nicht die einzigen Opfer. Ein
ganzes Regiment geht freiwillig in den sicheren Tod und
Verherben, um den Fleck zu tilgen, der seit dreißig
Jahren durch die Schuld eines Einzelnen auf seiner
Ehre haftet. Jenes Einzelnen, der einstens treulos die
Fahne verlassen und dessen damalige Flucht ins
Leben nun nach Jahrzehnten von Tausenden bezahlt
werden muß. Natürlich wird man auch bei diesem