II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 10

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18. Dees
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Echo der Bühnen: Frankfurt a. M., Hannover.
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Leben gelangt: vielleicht hätte es dem Vater jene Liebe
die gar keine künstlerische Begabung besitzt, die aber all¬
gebracht, die er jetzt bei seinem lebenden Sohne ver¬
abendlich das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt.
geblich sucht... Man sieht, wie kompliziert das Drama
Es hat sich nämlich das Märchen über sie verbreitet, sie
angelegt ist, aber auch wie schematisch, und man begreift,
habe im Zuchthaus gesessen, weil sie ihren Geliebten
daß es in vielen Teilen nicht zu einer tiefen und
vergiftet habe. Das zieht, das reizt, das prickelt! Und
lebendigen Wirkung kommt. Wer zu viel will, erreicht
als dann ein Revolverblatt veröffentlicht, die ganze Ge¬
oft zu wenig.
schichte sei garnicht wahr, Ida Comêt habe nie im
Richard Skowronnek kann man den Vorwurf
Zuchthaus gesessen, da wird das Publikum förmlich
nicht machen, daß er zuviel gewollt habe. Er hat ein
wütend, zischt und trampelt so vernehmlich, daß der
Familienstück geschrieben, dessen Menschen jeder nur auf
Vorhang fallen muß. Der Direktor, der bis dahin allen
einen einzigen Ton gestimmt sind. Mit dem Eindringen
ihren Launen gegenüber unterwürfig gewesen, jagt sie
in das komplizierte Triebwerk der menschlichen Seele
fort. Hier ist die Satire etwas stark aufgetragen.
hat er sich nicht aufgehalten, und der lebhafte Beifall,
In dem letzten Stück („Lehmann“) begegnen wir
den er bei seinem Publikum fand, beweist, daß die
einem Minister, der an die Serenissimus=Gestalten des
Wellen der modernen Litteraturbewegung nur eben die
„Simplizissimus“ erinnert, auf einer Reise, bei der er
Oberfläche unserer modernen Kultur bewegt haben.
Der Versuch, die „Medea“ des Euripides in der
er einem zudringlichen Zigarrenreisenden zum Opfer
neuen Uebersetzung Wilamowitz=Möllendorffs für die
fällt und sich von diesem eine Bestellung abpressen läßt,
Menschen der Gegenwart lebendig zu machen, muß,
fürchtet er die Blamage und reist ab. Die Bewohner
alles in allem betrachtet, als gescheitert gelten. Nur an
des Städtchens brauchen aber einen Ehrengast für die
wenigen Stellen dringt über die Jahrhunderte hinweg
Einweihung des Findelhauses, und so wird der Zigarren¬
die Stimme eines großen Menschenleids zu uns, das
reisende, von dem sie denken, er müsse irgend eine hohe
wir noch hente mitempfinden: so vor allem in der Szene
Person sein, im Triumph fortgeführt. — Man müßte den
vor dem Morde der Kinder, als in Medea Rachedurst
Stücken vorwerfen, daß für die knappen, kleinen Pointen
und Mutterliebe kämpfen. Sonst aber hat dieses Drama
der Apparat etwas umständlich und breit ist, darüber
des Euripides, der uns in vielen Dingen so nahe zu
kommt man aber leicht hinaus, weil auf dem Wege zu dem
stehen scheint, mehr des Fremdartigen als die Dramen
nicht gerade sehr ergiebigen Aussichtsort sehr viel
des Sophokles, der in so schroffem Gegensatz zu dem
Hübsches zu sehen, sehr viel Lustiges, auch zuweilen
Schaffen des Neuerers Euripides steht. Wir vermissen
Verwegenes zu hören ist.
hinter dem Werke die große, starke, einheitliche Persön¬
Sigmund Schoit.
lichkeit, die ihren Maßstab für sich fordern darf, und
stoßen uns immer wieder an der Technik des Dichters,
die für unser Empfinden an vielen Stellen unbeholfen
Hannover.
erscheint. Warum versucht man nicht des Sophokles
„Der Kampf ums Rosenrote.“ Schauspiel in
Oedipus=Dramen und seine „Antigone“ dauernd für
4 Akten von Ernst Hardt (Deutsches Theater,
unser Theater zu gewinnen?
13. Februar).
Ihr Ideal.“ Schauspiel in
Gustav Zieler.
4 Aufzügen von Ludwig Baumeister (Residenz¬
Theater, 18. Februar).
ls einen noch nicht reifen, aber ernst strebenden und
Frankfurt a. M.
—0 zu den besten Hoffnungen berechtigenden Dramatiker
„Nimbus“. Drei lose Akte von Wagh (Schauspiel¬
zeigte sich Ernst Hardt in seinem Schauspiel „Der
haus, 15. Februar).
Kampf ums Rosenrote“*), das am 13. Februar als
Im Schauspielhaus wurden am 15. Februar drei
erste Uraufführung des vor vier Jahren gegründeten
J lustige Einakter von Wagh aufgeführt, einem Pseu¬
Deutschen Theaters gegeben wurde. Es schildert das
donym, unter dem sich ein in Paris lebender Schrift¬
Ringen zwischen den starren, veralteten, in der Gegen¬
steller verbirgt. „Drei lose Akte“ nennt sie der Ver¬
wart unsinnig gewordenen Grundsätzen eines Vaters
fasser und hat sie unter dem Sammelnamen „Nimbus“
mit den ganz anders gearteten Wünschen seiner Kinder,
vereinigt. Lose kann in dem Sinne gedeutet werden,
die sich eine eigene, ihren Anlagen und Neigungen ent¬
daß ihr Zusammenhang nur ein leichter ist, aber auch
sprechende Zukunft schaffen wollen. Vult und Ella, die
in dem, daß der Inhalt ausgelassen, übermütig, „lose“
Kinder des reichen, ehrenhaften, aber überstrengen Bank¬
genannt werden darf. In den drei Stücken macht sich
direktors Julius von Bergen, sind beide mit seinem
der Verfasser mit viel Witz und Bosheit über die ver¬
tyrannischen Regiment unzufrieden. Ella liebt einen
schiedenen Gesellschaftskreise lustig, die am Schein, am
fleißigen, strebsamen, aber von sozialdemokratischen Ge¬
falschen Nimbus hängen und von der Sensationslust
sinnungen erfüllten Mann, den Bergen niemals als
beherrscht werden.
seinen Schwiegersohn anerkennen will; sie vermag es
„Ganz was anderes“ führt uns nach Venedig, wo
nicht, gegen den Willen des Vaters ihrem Geliebten zu
eine internationale Gesellschaft die Gastfreundschaft des
folgen und ihm allein anzugehören; sie gewinnt es
Grafen Elbhausen genießt. Eine schöne junge Baronin
schließlich sogar über sich, einem anfangs gehaßten Mann,
wird von einem der Gäste, der vergebens ihre Gunst
den ihre Eltern für sie bestimmt haben, ihre Hand zu
erringen gesucht hatte, verraten: sie habe nächtlicher
reichen. Anders ihr Bruder: er giebt die glänzende
Weise mit einem schönen jungen Gondoliere eine Fahrt
Stellung des Teilhabers und Erben seines Vaters auf,
durch die Lagunen gemacht und sich beim Landen noch
läßt Elternhaus, Braut und Vermögen im Stich und
einmal von ihm küssen lassen.
Die Damengesellschaft
ergreift den Schauspielerberuf, zu dem ihn seine Neigung
ist entsetzt, die Herren urteilen milder. Nun soll die
zieht. Schwer sind die Kämpfe, die er durchzufechten
Baronin so rasch als möglich aus dem Hause gebracht
hat; er lernt die bitterste Not kennen, ein Nervensieber
werden, und der alte Diplomat von Ysenwald wird dazu
bringt ihn an den Rand des Grabes, und er wäre unter¬
auserkoren, es ihr beizubringen. Dieser aber in seiner
gegangen, wenn ihn nicht die treue, uneigennützige Liebe
ritterlichen Weise sucht sie vor der ihr drohenden Be¬
eines einfachen Mädchens, das mehr seinem Blute, als
schimpfung und Kompromittierung zu retten und be¬
den Forderungen der Moral gefolgt ist, gerettet hätte.
werkstelligt das dadurch, daß er den Damen vorredet,
Als er sich schließlich durch alle Hemmnisse hindurch¬
der vermeintliche Gondoliere sei niemand anders als der
gerungen und als Darsteller des Tasso einen glänzenden
König von Thessalien gewesen, der inkognito in der
Triumph gefeiert hat, erklärt sich sein Vater dazu bereit,
Gegend weilt. Nun ist es mit einmal „ganz was
ihm zu „verzeihen“; doch nun weist Vult ihn mit den
anderes“!
Worten „Verzeihen, Vater — Du mir?!“ zurück, so
„Die Heldin des Tages“ ist der Star des Théätre
Moderne in Grand'ville, eine häßliche, ordinäre Person,
*) Buchausgabe im Insel=Verlag, Leipzig.
NNS R