II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 11

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18. Der einsane-g
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Berliner Premieren.
„Der einsame Weg“,
Schanspiel in 5 Alten von Arthur Schnitzler.
(Deutsches Theater.)
Durch viele, ja durch die meisten Dramen des feinsten
Geistes unter den zeitgenössischen Bühnenschriftstellern, der
sich Arthur Schnitzler nennt, zieht sich als roter Faden die
herbstliche Stimmung des Absterbens. Man kann diesem
Gefühl mit dem Schlagwort „Decadence“ nicht beikommen.
Es ist vielmehr eine ruhige, abgeklärte Erwartung des
letzten Schrittes über die Lebensbrücke, in Gegenden hinaus,
die wir nicht kennen. Es ist ein seltsam furchtloses und
gemessenes Betrachten jener Konsequenzen, die das Ab¬
scheiden geliebter Personen als Riß in einem geschlossenen
Kreise erzeugt, so daß man aus solchen Erläuterungen
leict herleiten kann, wie unsereigenes Abtreten von
der Lebensbühne einst wirken mag. Einer geht, und von
seinem Schatten her fliegen tausend Rätselschleier über die
Welt. Tausend Dinge bleiben unaufgeklärt: tausend Ge¬
danken der Hinterbliebenen flackern irrlichterhaft, ohne
nur durch ein aufklärendes Wort Boden finden zu können
der Seele nach. Die Toten schweigen.
der Dichter hat ihm
Und an dieses Hauptmotiv
besonders in seiner Novellensammlung „die Frau des
Weisen“ unendlich feine Varianten von spürerisch=anti¬
thetischem Zersetzungsgeist geschaffen, abgerungen — hängt
sich in seinem neuesten Schauspiel ein Zweites, das mit
dim Ursinn des Hermann Bahrschen „Meister“ eng zu¬
sammenklingt. Es ist im Grunde wie jene Todessehnsucht,
die ja auch das Motto Salomos „Alles ist eitel“ immer
wieder betont, eine leichte Predigt gegen den rücksichts¬
losen Genuß, der egoistisch und faustisch von Begierde zu
Begierde drängt und den Genießer schließlich zu einem
einsamen Wege ohne Teilnahme führt. Er hat in großen.
Leidenschaftsräuschen seine Liebe verzettelt, aber sich für
seines Alters wehe Tage nicht das eine Herz erworben,
das ihm, dem Müden jetzt schützend und schirmend zur
Seite stehen könnte.
Zwei Vertreter dieser rücksichtslosen Ichdogmatik illustrie¬
ren dieses Mal die sicher auch gegen die eigene Person
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gerichtete Tendenz des Wiener Weltpyuosophen. Ein Maler
von Ruf hat das Mädchen, das heiße Leidenschaft zu ihm
trieb und das nun ein Kind von ihm unter dem
Herzen trägt, eben aus Gründen jener selbstischen Eig
sucht, die nur lockende Ruhm= und Freudengespenster
zeigt, in eine ihr fremde Ehe gehen lassen. Als der Ver¬
druß und die Einsamkeit des Alters an ihm nagen, will
der Künstler, — die Jugendgeliebte ist inzwischen gestorben
seine Rechte geltend machen. Und wie Oscar Wildes
cynischer Raisonneur Lord Illingworth wirbt auch dieser
Vater, der es nicht sein wollte, jetzt um sein Kind. Felix,
der junge Mensch, ahnt, weiß dann, wer jener Mann ist,
dem er vordem in harmloser Freundschaft gegenüberstand.
Und gerade dieses Wissen ertötet seine Freundschafts¬
gefühle. Der Mann, der seine Mutter aus kraß eigen¬
süchtigen Motiven mied, den jetzt abermals nur egoistische
Gründe zum Bekenntnis treiben, kann ihm nichts mehr
sein. Jener ist und bleibt sein Vater, der dieses Amtes
Last und Bürde ohne eigentliche Ursache dazu stets treu
verwaltete, und den das. Geschick — durch beklagens¬
werte Zufälle — gerade jetzt auch für die Zukunft zu einem
einsamen Wege verdammt. Der Genußmensch aber soll
weiter allein die Straße ziehen, auf die ihn seine Stahl¬
Diesem
härte gegen jede Empfindsamkeit geführt hat.
Vertreter der artistisch über allen Dingen stehenden Lebens¬
auffassung aber gesellt sich ein zweiter. Das ist der Aesthet,
der sich gegen alles, was von dieser Welt, eine hohe
Mauer aus Kultur, Philosophie und ironischer Stepfis
gezimmert hat, hinter Dokumenten der Kunst und der
Schöngeisterei mit Erfolg seine Lebensnöte zu vergessen
ähnt, bis ihn eine schleichende Krankheit einem unver¬
leidlichen Ende zuführt, und eine späte Liebelei, deren
hantastisches Objekt in den Teich geht, ihn sogar zwingt,
dieses Ende aus eigener Machtvollkommenheit zu be¬
schleunigen. Abermals ein Bankerotteur des Lebens, der
freiwillig die Zahlungen einstellt inmitten einer materiell
blühenden Existenzmöglichkeit, weil das Hauptbuch seiner
Psyche mit einem riesigen Debetsaldo abschließt.
Diese zarten Ideengespinnste hätten sich unter der
Hand eines bewußten Dramatikers immerhin zu einem
einigermaßen haltbaren Bühnenganzen zusammenschließen
können. Schnitzler indessen ist bei der Verarbeitung dieses
„Totentanzes“ nur der Philosoph geblieben. Ideen von
wundervoll hyperästhetischem Empfinden, Sätze von mar¬
morschöner Pracht, sind überreich vorhanden. Aber mit?
einer das knapp Bühnenmäßige, das Konkrete vielleicht ab¬
sichtlich meidenden Technik läßt der Dichter seine Konflikte
in Philosophemen enden, hinter breiten Auseinander¬
setzungen zerfließen, im Rauch der Haltlosigkeit und Mark¬
losigkeit aufgehen. Es ist — neben der schwachen Dar¬
unbedingt im wesentlichen die mangelhafte
stellung
Bühnenform dieses das fein Rhetorische dem energisch
Dramatischen zielbewußt vorziehenden Dramas daran
Schuld, daß nach den beiden letzten Akten selbst das Häuf¬
lein derjenigen, die in diesem sinnierenden Dichter vor
allen seinen Konkurrenten den „Ewigkeitszug“ sehen, seine
Sache verloren geben mußten. So sehr sündigt niemand
ungestraft gegen die Fundamentalgesetze der Bühne. Und
Schnitzler hat doch vordem gezeigt, daß er mit Geschmack
und Kraft zugleich seine Sache führen kann.
Die Darstellung war — neben einer hervorragenden
Inszenierung — nicht zureichend, wenngleich unsereGrößten
auf den Brettern standen. Rittner — er spielte den
Mann, der sein von aller Süße des Lebens durchwürztes
Bienendasein mit dem Verluste seines Kindes bezahlen,
war nur gesund und brutal, wo er sensiriv,
muß —
schmerzlich bewegt, „von des Gedankens Blässe an¬
gekränkelt“ sein sollte. Hier war unbedingt ein Hauch
Sonnenthalscher oder Robert Nhilscher Kunst von Nöten,
oder ein Atemzug von Ba ssermann, der den zweiten
Gläubiger des Glücks mit einer unendlichen Delikatesse,
zwischen dünnspitziger Ironie und der blassen Kühle des
gegen die Schärfen des Lebens Abgestumpften spielte. Eine
Meisterleistung ersten Ranges! Als zarter, nervöser Sohn
zweier Väter war Herr Kurt Stieler duftlos, unge¬
schickt und täppisch, während die anderen — Sauar, die
Triesch und besonders unsere erquickend frische Else
Lehmann in wohlgelungenen Episoden mit Löwenmut
für den Dichter kämpften.