Deusches Teiter¬
„Um seines Lebensweges Mittag“ ist Arthur Schnitzler
die Erkenntnis gekommen, daß man nicht immer Anatole bleiben
kann und daß das Leben sich an jedem rächt, der es nur wie
ein leichtes Spiel mit Herzen und Schicksalen auffaßt. Und da
tat er jegliche Liebelei von sich ab, setzte sich hin und schrieb das
fünfaktige Schauspiel „Der einsame Weg“. Wie eine
Beichte klingt es, wie das Bekenntnis Eines, der sich
klar geworden, daß er ein Tor war, als er „nur so
durch die Welt gerannt“ ist und jegliches Gelüst
bei den Haarcu ergriffen hat. Und zur Warnung und Mahnung
für jeden, der sich nicht noch zur rechten Zeit auf sich selbst zu
besinnen vermag, schuf Arthur Schnitzler die Gestalten zweier
Lebemänner, die das Genießen zur feinsten und rücksichtslosesten
Kunst ausgebildet haben, die sich in ihrem lächelnden, siegesfrohen
Egoismus den Teufel kümmerten um das Glück der anderen und
die nun auf einmal, da ihr Weg bergab zu gehen beginnt, er¬
stannt bemerken, daß es ein einsamer Weg ist, den sie wandeln.
Der eine, der Maler Julian Fichtner, konstatiert diese be¬
dauerliche Tatsache mit schmerzlichem Herzweh, der andere,
der Schriftsteller Stephan v. Sala, mit kühlem, skeptischem
Lächeln. Er hat von Anbeginn nach der Theorie gelebt, man
müsse sich bei Zeiten darauf einrichten, allein zu sein. Julian
dagegen, der mehr für Familienglück, aber in den Familien
anderer, geschwärmt hat, will durchaus den Sohn an sich fesseln,
der ihm aus einem seiner zahlreichen Verhältnisse geblieben ist.
Doch das hat seine Schwierigkeiten, denn der junge Leutnant
Felix Wegrath hat auch einen gesetzlich anerkannten
Vater, unter dessen liebevoller Führung er groß
geworden ist. Und als Felix nun nach dem raschen Tode seiner
Mutter erfährt, daß Julian, der ihm bisher nur ein lieber
Freund gewesen, sein leiblicher Vater sei, da rückt er innerlich
von ihm ab. Er wird ihm fremder, als zuvor, und nun wird
ihm auch seelisch der Mann zum wirklichen Vater, quem nuptiae
demonstrant. Der Skeptiker Stephan, der an einem
wohl vorbereiteten Herzfehler leidet, findet noch kurz vor
jungen
Toresschluß die leidenschaftliche Liebe eines
Mädchens, der Schwester von Felix, deren Weg von Jugend
an auch ein einsamer gewesen ist. Und das ist der tiefere, über
die eigentliche Handlung hinausgreifende Sinn des Titels, daß
wir im Grunde alle einsam unseren Weg gehen und daß die
dünne Knochenwand, die unser Gehirn umspannt, den Menschen
weiter vom Menschen trennt, als Berge und Täler, Länder und
97
Meere es vermöchten. Das junge Mädchen weiß, daß ihr Ge¬
liebter dem Tode verfallen ist, und deshalb geht sie ihm lieber
voraus auf dem dunklen einsamen Wege. Sie ertränkt sich in dem
Teich im Garten von Stephans Villa und dieser selbst beschleunigt
sein Herzleiden durch einen wohlgezielten Revolverschuß
Und diese Dichtung, die überreich ist an starkem und leidenschaft¬
lichem Empfinden und an geistreichen Einfällen, mit denen sechs
Fuldas Zeit ihres Lebens auskommen könnten, ist gestern so gut
wie spurlos an dem Premiérenpublikum des Deutschen Theaters
vorübergegangen. Der feinste und reichste Geist unter unseren
wirklich schaffenden Bühnenschriftstellern mußte sich mit einem
matten Achtungserfolge begnügen. Kaum daß der Vorhang sich
nach jedem Akte einmal heben durfte. Es ist wahr, Arthur Schnitzler
hat sich oft gar zu grüblerisch in seine melancholisch rück¬
schauenden Betrachtungen versenkt, so daß ihm das Gefühl für
die unmittelbare Bühnenwirkung darüber einigermaßen verloren
geht. Und das Publikum, selbst das so unendlich literarische
Premierenpublikum des Deutschen Theaters will stärker be¬
schworen sein. Setzt ihm einen handlichen Kindesmord
vor und Ihr habt es gleich! Für die innerliche Tragik,
an der die wahrhaft einsamen Menschen Schnitzlers zu Grunde
gehen, bewies es gestern nicht das geringste Verständnis. Ein
Armutszeugnis, das nicht dem Dichter ausgestellt wurde. In
der Technik, in der Aufrollung der Handlung, hat Schnitzler sich
diesmal stark an Ibsens Methode angelegt, der so oft eine Schuld
der Vergangenheit langsam und vernichtend in die Gegenwart
hineinwachsen läßt. Schnitzlers Fehler ist nur, daß er von der
geraden Linie der Handlung sich zu oft in reizvoll lockende
Seitentäler verlocken läßt, ein Irrtum, der dem Dramatiker,
schwerer, als dem Dichter zu verzeihen ist. Der Tendenz nach,
wenn man bei einer solchen Dichtung überhaupt von einer Ten¬
denz sprechen darf, ist „Der einsame Weg“ das Gegenstück zur „Wild¬
ente“. Auch die Lüge hat ihre ethische Berechtigung, wenn ein
guter Mensch durch sie glücklich zu werden vermag. Die Dar¬
stellung war zum überwiegenden Teil glänzend. Albert¬
Bassermann als der kühle Skeptiker Sala bot den fascinierenden¬
Reiz einer ganz individuellen Persönlichkeit, Oskar
Sauer gab den pedantischen Professor mit einer stillen, wahrhaft
ergreifenden Herzensgüte und Else Lehmann als vergnügte¬
Schauspielerin im Ruhestand brachte leibhaftigen Sonnenschein in
den zweiten Akt. Kurt Stieler, dessen Begabung sich
immer hoffnungsvoller entfaltet, fand für die bedeut¬
same Figur des Felix den überzeugenden Ton gedämpfter,
verhaltener Empfindung, und Irene Triesch war ganz'
die schwärmerisch=leidenschaftliche Jungfrau, die lieber liebt als
lebt. Auch Hedwig Pauly und Hans Godeck waren
tüchtig in ihren kleineren Aufgaben, und nur Rudolst
Rittner vermochte in seiner ganzen Erscheinung den sieghaften¬
Sch.
Herzenbrecher nicht recht glaubhaft zu machen.
###t durch
Renl.
Telephon: III, 3051.
—
Ausschnitt aus
Ser Tag, Bertas
14 FEB. 1904
Feuilleton.
Deutsches Theater. „Der einsame Weg“
von Arthur Schnitzler fand gestern (Sonnabend)
an einigen Stellen wärmeren Beifall (nicht an den
besten). Aber der Abend ist, um die Wahrheit zu
sagen, kein Theater=Erfolg gewesen. Der Grund
lag in dem Zerfließenden und Langwierigen dieser
Dichtung. Sie bot manches Nachdenksame, aber
wenig gestaltende Energie. Sie zeigt die Seelen¬
schuld der Junggesellen, die nur Genießer sind ...
und die Tragik dieser Selbstsucht, wenn sie alt
werden. Das Leben reicht ihnen die Quittung,
la douloureuse, und ihre Schuld rächt sich auf
Erden. Manches, wie gesagt, ist daran recht nach¬
denksam. Hinter der Dichtung blieb die Dar¬
stellung meistens zurück. Selbst Else Lehmann, die
prachtvoll war, gab weniger Humor, als Schnitzler
gegeben hatte (weil die Rolle österreichisch gedacht
und norddeutsch gespielt ward). Rittner warskraft¬
voll, wo er schmerzvoll hätte sein sollen. Sieger
blieb Bassermann. Er gab als einziger eine
geistig feine, schwer zu vergessende Leistung. Die
Triesch hatte keinen guten Abend.
Alfred Kerr
„Um seines Lebensweges Mittag“ ist Arthur Schnitzler
die Erkenntnis gekommen, daß man nicht immer Anatole bleiben
kann und daß das Leben sich an jedem rächt, der es nur wie
ein leichtes Spiel mit Herzen und Schicksalen auffaßt. Und da
tat er jegliche Liebelei von sich ab, setzte sich hin und schrieb das
fünfaktige Schauspiel „Der einsame Weg“. Wie eine
Beichte klingt es, wie das Bekenntnis Eines, der sich
klar geworden, daß er ein Tor war, als er „nur so
durch die Welt gerannt“ ist und jegliches Gelüst
bei den Haarcu ergriffen hat. Und zur Warnung und Mahnung
für jeden, der sich nicht noch zur rechten Zeit auf sich selbst zu
besinnen vermag, schuf Arthur Schnitzler die Gestalten zweier
Lebemänner, die das Genießen zur feinsten und rücksichtslosesten
Kunst ausgebildet haben, die sich in ihrem lächelnden, siegesfrohen
Egoismus den Teufel kümmerten um das Glück der anderen und
die nun auf einmal, da ihr Weg bergab zu gehen beginnt, er¬
stannt bemerken, daß es ein einsamer Weg ist, den sie wandeln.
Der eine, der Maler Julian Fichtner, konstatiert diese be¬
dauerliche Tatsache mit schmerzlichem Herzweh, der andere,
der Schriftsteller Stephan v. Sala, mit kühlem, skeptischem
Lächeln. Er hat von Anbeginn nach der Theorie gelebt, man
müsse sich bei Zeiten darauf einrichten, allein zu sein. Julian
dagegen, der mehr für Familienglück, aber in den Familien
anderer, geschwärmt hat, will durchaus den Sohn an sich fesseln,
der ihm aus einem seiner zahlreichen Verhältnisse geblieben ist.
Doch das hat seine Schwierigkeiten, denn der junge Leutnant
Felix Wegrath hat auch einen gesetzlich anerkannten
Vater, unter dessen liebevoller Führung er groß
geworden ist. Und als Felix nun nach dem raschen Tode seiner
Mutter erfährt, daß Julian, der ihm bisher nur ein lieber
Freund gewesen, sein leiblicher Vater sei, da rückt er innerlich
von ihm ab. Er wird ihm fremder, als zuvor, und nun wird
ihm auch seelisch der Mann zum wirklichen Vater, quem nuptiae
demonstrant. Der Skeptiker Stephan, der an einem
wohl vorbereiteten Herzfehler leidet, findet noch kurz vor
jungen
Toresschluß die leidenschaftliche Liebe eines
Mädchens, der Schwester von Felix, deren Weg von Jugend
an auch ein einsamer gewesen ist. Und das ist der tiefere, über
die eigentliche Handlung hinausgreifende Sinn des Titels, daß
wir im Grunde alle einsam unseren Weg gehen und daß die
dünne Knochenwand, die unser Gehirn umspannt, den Menschen
weiter vom Menschen trennt, als Berge und Täler, Länder und
97
Meere es vermöchten. Das junge Mädchen weiß, daß ihr Ge¬
liebter dem Tode verfallen ist, und deshalb geht sie ihm lieber
voraus auf dem dunklen einsamen Wege. Sie ertränkt sich in dem
Teich im Garten von Stephans Villa und dieser selbst beschleunigt
sein Herzleiden durch einen wohlgezielten Revolverschuß
Und diese Dichtung, die überreich ist an starkem und leidenschaft¬
lichem Empfinden und an geistreichen Einfällen, mit denen sechs
Fuldas Zeit ihres Lebens auskommen könnten, ist gestern so gut
wie spurlos an dem Premiérenpublikum des Deutschen Theaters
vorübergegangen. Der feinste und reichste Geist unter unseren
wirklich schaffenden Bühnenschriftstellern mußte sich mit einem
matten Achtungserfolge begnügen. Kaum daß der Vorhang sich
nach jedem Akte einmal heben durfte. Es ist wahr, Arthur Schnitzler
hat sich oft gar zu grüblerisch in seine melancholisch rück¬
schauenden Betrachtungen versenkt, so daß ihm das Gefühl für
die unmittelbare Bühnenwirkung darüber einigermaßen verloren
geht. Und das Publikum, selbst das so unendlich literarische
Premierenpublikum des Deutschen Theaters will stärker be¬
schworen sein. Setzt ihm einen handlichen Kindesmord
vor und Ihr habt es gleich! Für die innerliche Tragik,
an der die wahrhaft einsamen Menschen Schnitzlers zu Grunde
gehen, bewies es gestern nicht das geringste Verständnis. Ein
Armutszeugnis, das nicht dem Dichter ausgestellt wurde. In
der Technik, in der Aufrollung der Handlung, hat Schnitzler sich
diesmal stark an Ibsens Methode angelegt, der so oft eine Schuld
der Vergangenheit langsam und vernichtend in die Gegenwart
hineinwachsen läßt. Schnitzlers Fehler ist nur, daß er von der
geraden Linie der Handlung sich zu oft in reizvoll lockende
Seitentäler verlocken läßt, ein Irrtum, der dem Dramatiker,
schwerer, als dem Dichter zu verzeihen ist. Der Tendenz nach,
wenn man bei einer solchen Dichtung überhaupt von einer Ten¬
denz sprechen darf, ist „Der einsame Weg“ das Gegenstück zur „Wild¬
ente“. Auch die Lüge hat ihre ethische Berechtigung, wenn ein
guter Mensch durch sie glücklich zu werden vermag. Die Dar¬
stellung war zum überwiegenden Teil glänzend. Albert¬
Bassermann als der kühle Skeptiker Sala bot den fascinierenden¬
Reiz einer ganz individuellen Persönlichkeit, Oskar
Sauer gab den pedantischen Professor mit einer stillen, wahrhaft
ergreifenden Herzensgüte und Else Lehmann als vergnügte¬
Schauspielerin im Ruhestand brachte leibhaftigen Sonnenschein in
den zweiten Akt. Kurt Stieler, dessen Begabung sich
immer hoffnungsvoller entfaltet, fand für die bedeut¬
same Figur des Felix den überzeugenden Ton gedämpfter,
verhaltener Empfindung, und Irene Triesch war ganz'
die schwärmerisch=leidenschaftliche Jungfrau, die lieber liebt als
lebt. Auch Hedwig Pauly und Hans Godeck waren
tüchtig in ihren kleineren Aufgaben, und nur Rudolst
Rittner vermochte in seiner ganzen Erscheinung den sieghaften¬
Sch.
Herzenbrecher nicht recht glaubhaft zu machen.
###t durch
Renl.
Telephon: III, 3051.
—
Ausschnitt aus
Ser Tag, Bertas
14 FEB. 1904
Feuilleton.
Deutsches Theater. „Der einsame Weg“
von Arthur Schnitzler fand gestern (Sonnabend)
an einigen Stellen wärmeren Beifall (nicht an den
besten). Aber der Abend ist, um die Wahrheit zu
sagen, kein Theater=Erfolg gewesen. Der Grund
lag in dem Zerfließenden und Langwierigen dieser
Dichtung. Sie bot manches Nachdenksame, aber
wenig gestaltende Energie. Sie zeigt die Seelen¬
schuld der Junggesellen, die nur Genießer sind ...
und die Tragik dieser Selbstsucht, wenn sie alt
werden. Das Leben reicht ihnen die Quittung,
la douloureuse, und ihre Schuld rächt sich auf
Erden. Manches, wie gesagt, ist daran recht nach¬
denksam. Hinter der Dichtung blieb die Dar¬
stellung meistens zurück. Selbst Else Lehmann, die
prachtvoll war, gab weniger Humor, als Schnitzler
gegeben hatte (weil die Rolle österreichisch gedacht
und norddeutsch gespielt ward). Rittner warskraft¬
voll, wo er schmerzvoll hätte sein sollen. Sieger
blieb Bassermann. Er gab als einziger eine
geistig feine, schwer zu vergessende Leistung. Die
Triesch hatte keinen guten Abend.
Alfred Kerr