II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 44

als Wate M ereeen
hinaus auf den Balcon in die frische Luft des Tages.
V. A.
14. 2. C4.
„Berliner Theater.“ Zum ersten Mal:
„Waterkant“, Schauspiel in 3 Aufzügen von
Richard Skowronneck. Gearbeitet wird sehr fleißig
im Theater am südlichen Ende der Charlotten¬
Kunst und Wissenschaft.
straße. Das gestern erstmalig zur Aufführung

Im Deutschen Theater hat gestern Arthur
gekommene Skowronnecksche Schauspiel darf den An¬
Schnitzler mit seinem fünfactigen Schauspiel,, Der
spruch darauf erheben, einen der einfachsten Familien¬
einsäme Weg“ nicht allzu viel Freude er¬
romane darzubieten, die jemals in dramatisirter Form
lebt. Es war ein höchst fragwürdiger Erfolg.
das Licht der Rampen erblickt haben. Und das
Zuerst gab es manche freundliche, aber gar nicht stür¬
will etwas sagen, zumal, wenn man an die
mische Hervorrufe. Im vierten Act aber wurde das
Siebziger Jahre zurückdenkt, wo dies in solcher Fülle
Publicum gefährlich unruhig und nur die Achtung vor
und Hast geschah, daß die „Bearbeiter“ meist gar nicht
dem Antor verhinderte eine Katastrophe.
den Schluß eines „bühnenfähigen Romans“ in irgend
Ein sonderbares Stück. Fünf lange Acte ohne
einer illustrirten Zeitschrift abwarteten, sondern „eigen¬
dramatischen Kern. Fünf lange Acte voll resignirten
händig“ einen solchen aufs Gerathewohl hinzudichteten.
Geplauders und Geseufzes über Welt und Tod und
Hören wir also die Geschichte: Den Leutnant der
Menschenschicksal. Nur hin und wieder unterbricht ein
Marine Hans Holtfeuer liebt seine achtzehnjährige
Todesfall oder Selbstmord die Monotonie, aber ohne
Cousine Minchen Klock, Tochter der Frau Capitam
irgend welche Bewegung zu erregen oder Kreise zu
Klock, deren Mann bei einem Schiffbruch ertrunken
ziehen.
ist. Der Leutnant ist auf dem „Iltis“ einge¬
Sehr schwierig ist es, dem Leser mitzutheilen, was
schifft, es soll gegen die Chinesen gehen. Beim
sich alles ereignet. So schwierig, daß ich zu dem ein¬
Aufziehen des Vorhanges stellt die Bühne das Schiff
fachen Mittel greife, den Inhalt der Acte chronistisch
dar und wir sehen das Schiffsleben sich entwickeln.
nüchtern zu künden.
Man befindet sich in Port Said. Und gerade dort
Also erster Act: Wir erfahren, daß der Prof. Weg¬
kam auch das Vergnügungsschiff mit Tante Klock und
und
rath mit einer kranken Frau verheirathet ist
Minchen an. Minchen soll nämlich einen jungen
zwei Kinder hat: den Lentnant Felix und die
Mann lieben lernen, der auch mit auf ihrem Ver¬
Johanna. Außerdem präsentiren sich zwei Haus¬
gnügungsdampfer ist, den Herrn Kay, Sohn des
freunde, der Dichter v. Sala und der Maler
Commerzienraths Voordengang in Hamburg. Aber
Julian. Zweiter Act: Die Frau Wegrath ist ge¬
Minchen liebt den Vetter und will — da sie nicht an¬
storben und wir hören, daß der Leutnant Felix der
nimmt, dieser liebe sie ebenfalls — Aerztin werden und
Sohn des Malers Julian ist, der sich auch sonst noch
gar nicht heirathen. Der Vetter stellt sich selbst bei dent¬
durch allerlei Verhältnisse getrieben hat. Dritter Act:
lichen Anspielungen Minchens auf ihre Liebe zu ihm
Julian theilt dem Felix mit, daß er sein Vater ist,
genau so dumm an, wie es nothwendig ist, damit die
was den jungen Mann nicht im geringsten aufregt;
Handlung ihren Fortgang nehmen könne, obgleich er
außerdem merken wir, daß der Dichter v. Sala
dies nur mit Absicht thut, um lieber auf Minchen zu
ein Verhältniß mit Johanna hat, und hören,
verzichten, als ein sorgendes Weib daheim zu haben,
daß der Dichter ein todtkranker Mann ist. Vierter
wenn er in See geht. Es ist sein Standpunkt — aber
Act: Viele nützliche Gespräche über diese Sachlage.
wenn wirkliche Liebe ihm im Herzen wohnte
Fünfter Act: Johanna springt ins Wasser, weil sie den
Aber nun kommt ein schmerzliches Ereigniß dem liebenden
Tod ihres Geliebten nicht mit ansehen will, und v. Sala,
Minchen zu Hilfe. Auch Hans Holtfeuers Vater, der
der jetzt erst über seine Lage aufgeklärt wird, geht eben¬
ebenfalls Capitain ist, ertrinkt. Sein Schiff wird
falls ab, um sich zu tödten.
von einem fremden Schiff angerannt und sinkt.
Das ist das Stück. Welches ist nun der einsame
Schon sind alle Passagiere gerettet, da hört der
Weg, der durch diese Geschichte führt? Die Theorie
Capitain, ein Kind sei vergessen worden. Er
vom einsamen Wege hat nur wenig mit den Ge¬
stürzt nach der betreffenden Cabine, aber da legt sich
schehnissen zu thun, die eben erzählt wurden, mit der
das Schiff auf die Seite, sinkt und der arme Capitain
Vaterschaft Julians und dem Ende des Herrn
ght mit dem Kinde zu Grunde. Hans bekommt nun
v. Sala. Sie wird mehr in den Gesprächen erörtert,
Heimathsurlaub und reist zu seiner Mutter nach Hause.
deren es sehr viele giebt, und das dramatische Ereigniß
Diese arme Frau hat außer ihrem Mann auch schon
ist nur das Gestell, über das der Herr Schnitzler
einen Sohn der See opfern müssen — Hans soll ihr:
seinen bunten Teppich breitet.
bleiben. Unter heißen Thränen beschwört sie ihn, zu
Der Dichter meint, daß alle Menschen seines Stückes
bleiben, und er kann den Thränen der Mutter nicht
einsam sind, obgleich wir die Herrschaften meistens im
widerstehen, er bleibt und tritt in das Haus
herzlichsten Verkehr beisammen sehen. Aber die beiden
Voordengang als Beamter ein. Dort lebt auch
Haupteinsamen sind Julian und v. Sala. Julian hat
Voordengangs Nichte, Else Sötebier, die Hans
einst die eheliche Verbindung mit Felixens Mutter ge¬
sehr gern zum Manne nähme. Hans sehnt sich
flohen, weil er das Leben frei und selbstherrlich regieren
aber nach der See zurück, und als durch Extrablätter
wollte; jetzt im Alter klammert er sich an seinen Sohn,
der Ruhm der Mannschaft des „Iltis“ verkündet wird,
der ihn zurückstößt und ihm den einsamen Wegweist. Der
die bei dem Takufort Heldenthaten verrichtet, da will
Dichter v. Sals, ebenso wie Julian ein Lebenskünstler
sich Hans vor Scham und Schmerz umbringen. Aber
ohne Herz, ohne das Bedürfniß, sich für irgendwen auf¬
seine Cousine Minchen ist jetzt, wo er verzweifelt ist,
zuopfern, hat als der geistreichere von beiden niemals
so nett zu ihm, daß Schmerz und Liebe sie Beides
gezweifelt, daß er diesen Weg wandeln muß. Er ist
endlich doch zusammenführen. Sie liegen sich in den
stets allein, auch in den Armen der geliebten Frau
Armen, sie wissen nicht wie, und als die Mutter hört,
fühlt er die Einsamkeit, und wenn das Geschick ihn und
Hans wollte sich vor Verzweiflung umbringen, giebte
sie hinabreißt, stirbt jeder für sich in seinem Winkel.
sie ihm nun auch sein Wort zurück. Er wird Minchen
Dieser Grundgedanke hat etwas seltsam Erregendes,
heirathen und wieder Seemann sein. Da bleibt keine
ebenso wie das ganze müde und trüb dahinschleichende
Auge trocken.
Stück. Aber als Mann aus dem Publicum hat man
Es war denn auch ein Erfolg der Rührung, zumal
doch wohl das Recht, auf die ja noch nicht ganz über¬
nach dem 2. Act. Der erste Act weist eine ganz ge¬
holten Forderungen und Gesetze der Bühne hinzu¬
„.
schickte Exposition auf, aber eigentlich dreht sich das
weisen. Was hilft aller Geist, alle Feinheit im Er¬
Interesse vom 2. Act ab erst darum, ob Hans Seemann
kennen des Lebens und des Geschickes, wenn dieser
bleiben wolle? Das giebt einen menschlich begreiflichen Con¬
1 diesem Rahmen langweilen
Geist langweilt,
flict, der auch fortreißt, wenn die Thränen einer Mutter
muß? Schnitzler hat uns in diesem Stücke
dem Sohne ein Opfer abringen. Der gute Theater¬
manches Edle und Ungewöhnliche gesagt, das bei
kenner Skowronneck hat auch der derben Capitainsfrau
stiller Lectüre seine Wirkung gethan hätte, und das
Klock kräftige Worte gegenüber dem geizigen Com¬
nun vor diesem unruhigen, hustenden und in die
merzienrath in den Mund gelegt. Und das „schlägt
besten Worte hineinlachenden Publicum vollkommen
immer ein“.
verloren ging. Wie gesagt, in dem an poetischer Schön¬
Gespielt wurde vortrefflich. Im Vordergrund der Hand¬
heit reichen, an Bewegung armen vierten Act gingen
lung stehen vier Personen und alle vier verdienen für ihre¬
wir dicht an einem Theaterskandal vorüber.
Fähigkeit, zu charakterisiren, uneingeschränktes Lob. Harry¬
Uebrigens — man sollte es ja nicht thun, aber ich
Walden sah „echt“ als Seemann aus und unancirte
kann mir zwei litterarhistorische Vergleiche nicht
vortrefflich. Ergreifend spielte Marie Frauen¬
verkneifen. Erstens hat einmal Sardon in seinen
dorfer die Rolle seiner Mutter, und Claraz
Vienx garcons“ ein ähnliches Thema behandelt und
Wenck (Frau Capitain Klock) sowie Felicitas
der Unterschied zwischen der robusten dramatischen
Cerigioli (Minchen) faßten ihre Rollen
Kraft des Romanen und der müden Linie des
einfach und zutreffend auf. Jus Ensemble fügten sich
Neuwiener Secessionismus ist lehrreich. Zweitens
noch lobenswerth ein: Willy Rohland (Capitain Rohr¬
hat ja auch Hauptmann von einsamen Menschen dra¬
weder), Leo Connard (Voordengang) und Kuhnert¬
matisch gekündet. Damals jammerten alle Aestheiiker,
(Oberbootsmannsmaat). Frl. Elsa Bötticher, die
daß er kein Dramatiker war, und jetzt erscheint er uns,
als Else Sötebier nur wenige Worte zu sprechen hatte,
verglichen mit dieser leisen, losen Dekadenz, saftreich und
fiel angenehm auf.
kraftstrotzend wie Shakespeare.
Schefraneks Regie verdient besondere Anerkennung.
Bassermann gab den Herrn v. Sala dis¬
Skowronneck wurde wiederholt gerufen. Das Publicum,
cret zeichnend und glücklicherweise ohne jede Be¬
das das Haus in allen Räumen füllte, war in seiner
tonung des Krankhaften. Rittner, der Innerliche,
Gebelaune und so dürfte „Waterkant“ eine Zeit lang
Irene Triesch, die Melancholische, fühlten sich
G—.
in ihren Rollen als renmüthiger Julian und selbst= das Repertoire beherrschen.