II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 51

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Bihne wirten könnte, Schnitzter ist hier nich 9 ich
über den Stoff, sondern tief in ihn befangen, eigent¬
lich sogar verstrickt, sodaß die ungebändigten Ausläufer
seine Themas dies und ihn überwuchern. Zuviel wird
durcheinander gesponnen, und ohne Oekonomie des
Wesentlichen und Unwesentlichen verschlingen sich die
Szenen, als wären die Einfälle aus dem Skizzenbuch
eines Dramatikers losgelassen und wirbelten undiszip¬
liniert im Kreise, der Dramatiker aber steht dabei und
kann sich nicht helfen.
Der einsame Weg ist der herbstliche Abstiegspfad
der lebenshochmütigen Individualisten, der eingebildeten
„Puppenspieler“ (die Verwandtschaft mit dem kleinen,
aber in sich streng geschlossenen Drama dieses Titels ist
deutlich) die mit Menschen skrupellos und despotisch ge¬
schaltet haben und an einer kritischen Wende plötzlich be¬
merken, daß sie allein stehen, daß sie einsam sind, daß
es nichts mehr zu spielen gibt, daß sie bei lebendigem
L## tot sind und niemand ihnen nachfragt, sie selbst
jetzt ein abgetakeltes Spielzeug für das Schicksal,
Julian Fichtner, der Maler, ist das Beispiel. Durch
die Gesten seines Herrenmenschentums, seines Persön¬
lichkeitstrotzes schleichen sich fratzenhaft verzerrte Angst¬
züge; er hat so fest an seine inneren Rechte und Kräfte
geglaubl, und nun, mit einem Mal, bricht das alles zu¬
sammen. Ein alternder, welker Mann, der nicht mehr
hofft, der auch an seiner Kunst verzweifelt, steht er allein!
da. Und in panikartigem Entsetzen greift er klammernd
um sich und schreit nach einem Menschen, der ihm etwas
sein könnte. Nach seinem Sohn schreit er, nach dem
Sohn der Frau, die er vor dreiundzwanzig Jahren in
der schwersten Entscheidung feige verlassen, um sich seine
Freiheit zu bewahren. Gabriele hatte ihr gebrochenes
Leben in eine stille Ehe mit einem gütigen Menschen,
dem Professor Wegrat gerettet, in dieser Ehe kam Ju¬
lians Sohn Felix zur Welt; unter der Last der Lüge
starb die Frau. Nach Felix streckt jetzt Julian die Hand.
Halb erraten läßt er ihn die Wahrheit, halb beichtet¬
er, und endlich entblößt er sich in schonungslosem Selbst¬
gericht vor seinem Sohn.
Voll starker Tragik, die nicht durch große Worte oder
emphatische Gebärden geschwächt wird, ist die Situation
dieses Sohnes. Als Mann steht er dem bekennenden
Mann gegenüber; Schicksalsschauer überrieseln ihn in
der Erinnerung an die Mutter; nicht die Mutter allein
ist sie für ihn jetzt, sondern auch die Frau, die unsäglich
gelitter und die zusammenbrach. Während der Vater
vor ihm ein Anrecht auf ihn geltend macht und an die
Stimme seines Blutes appelliert, keimt in ihm ein ganz
neues schmerzlich=zärtliches Gefühl für jenen, der ihn
bis jetzt Vater gewesen. Was Julian ihm gesagt, das
mag wahr sein, aber ihm ist es „eine Wahrheit ohn#
Kraft“ „ins Leer gesprochen“. Julians Anspruch scheint
ihm nichtig und wesenlos; fremd und feindlich ist ihm
der leibliche Vater, keine Blutsstimme regt sich, aber
inniger werden alle die Gefühle, die im Zusammenleben,
in der Gemeinschaft des Seins mit dem, der als sein
Vater gilt, organisch erwuchsen. Fester als die Bluts¬
bande sind die Verflechtungen, die das Leben von Wesen
zu Wesen spinnt, die Wesensanziehungen, die Wahlver¬
wandtschaften.
Felix bleibt bei Wegrat, und Julian geht einsam
fort. Neben diesem Drama läuft ein anderes und
kreuzt in querem Zickzacklauf dazwischen. Sein Held ist
auch ein Puppenspieler auf dem Herbstpfad absteigenden
Lebens, totgezeichnet sogar, aber dieser Puppenspieler,
Stephan von Sala, wahrt die überlegene Maske bis zum
letzten brillanten Abgang. In einigen Dialogen ist diese
Gestalt, die Bassermann schöpferisch charakterisierte,
scharf umrissen dargestellt in ihrer Skepsis, in ihrem
Illusionsspiel mit den Menschen. Aber es gelang
Schnitzler nicht, sie in dramatischen Rapport zu bringen.
Die Mädchengestalt, die als letzte in den glitzernden eis¬
kalten Bannkreis dieses Mannes gerät, ist nur ein
literarischer Begriff, sie ist nicht gestaltet. Und so wirkt
dieser Sala im Zusammenhang des Ganzen nur als eine,
blendende Spezialität, ein moderner Raisonneur, derst
anregeno spricht, aber keine dramatischen Funktionen
übernimmt. Er hat eine Meinung, aber kein Amt.
Zu gleicher Zeit gabs einen ebenso kräftigen wic
harmlosen Skowronnek=Erfolg mit dem Schauspie
„Waterkant“ im Berliner Theater: „Ein Maripk¬
Sieg“. Pg.