W
in
18. Der E
box 23/1
Dr. Max Goldschmidt
„ Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.
———
Ausschnitt aus
Staatsbürger-Zeitung, Berfin
16. 8.—
Hus der Theater- und Runstwelt.
Deutsches Theater. „Der einsame Weg“,
Artur Schnitzler's neuestes Bühnenwerk, ein fünf¬
aktiges modernes Schauspiel mit tragischem Ausklang, hat in
Berlin seine Uraufführung erlebt, und zwar nach sorgfältigster
Vorbereitung. An der Darstellung waren die besten im
Natürlichkeitstone der modernen Kunst unübertroffenen Kräfte
des Theaters in der Schumannstraße beteiligt, die Lessing'sche
Inszenierung für das Auge, das fein abgeschliffene, stimmungs¬
volle Zusammenspiel für das Ohr waren tadellos, der Autor
konnte wiederholt vor dem Vorhange erscheinen, aber trotzdem
kann der Erfolg bei weitem nicht zu den Erfolgen des Dichters
gezählt werden. Das Interesse, welches von dem redseligen
ersten Akte nur leise geweckt wurde, erlahmte wieder mit¬
unter, und der Ausgang, der einen unglücklich oder wenig
motivierten Selbstmord bringt, machte vollends stützig.
Unter den Vertretern des modernen deutschen Schauspiels ist
Artur Schnitzler mit seinem starken Talente für psycho¬
logisch subtile Charakter=Entfaltung, für dramatische Probleme
aus dem heutigen Gesellschaftsleben und für eine logische
Dramatik, die auch der seelisch bewegenden poetischen
Stimmungs=Szenen nicht entbehrt, einer der Bevorzugtesten,
wenn nicht der Bevorzugteste selbst. Er hat ein fein be¬
saitetes Gemüt und eine reiche künstlerische Phantasie, ganz
abgesehen von dem psychologischen Tiefblick für das viel¬
gestaltige Leben und die vielen oft bizarren Phänomene, die
sich im Menschenleben darbieten. Mit dem Schauspiele „Der
einsame Weg“, in welchem das idyllische Familienleben eines
ehrlichen Mannes und wackeren Künstlers, dessen Genie aller¬
dings im akademischen Beamteutum sich befriedigt sieht, durch
zwei Kunst=Kollegen von scharf ausgeprägtem Egoismus durch¬
krenzt und unterwühlt wird, tritt uns ein Bühnenwerk ent¬
uise durch
gegen, in welchem die Vorzüge der Schnitzler'se
einem
an
den Mangel an wirklich dramatischer Bewegn
starken Wellenschlag der Empfindungen bedeutend beeinträchtigt
werden. Es fallen einmal die Worte: „Mangel an Tem¬
perament machten aus mir einen anständigen Menschen“. Diese
Worte kann man auch auf Schnitzler's Schauspiel anwenden
ein anständiges Stück, aber Mangel an Temperament. Selbst
der laute, schmerzliche Seelen=Erguß des einen der beiden
Haupthelden, eines gereiften Künstlers, dessen ehrgeiziges Mal¬
Genie sich an niemanden ketten wollte, der die glühendste Liebe
eines verlobten Mädchens täuschte und das Vertrauen eines
redlichen Freundes verriet, muß schließlich stiller Resignation
Platz machen. Dieser Maler, Julian Fichtner, von Rudolf
Rittner lebenswahr und warmblütig gespielt, ist auf seinem
Lebenswege vereinsamt. Er ist Junggeselle, gleichwohl aber
der legitime Vater des Sohnes, welchen Gabriele, jenes von
Julian einst verführte und dann für immer verlassene
Mädchen, in der Ehe ihrem Manne, dem akademischen Pro¬
fessor Wegrath, geboren hatte, ohne das Geheimnis des
Fehltritts zu verraten. Der Vorgang liegt 23 Jahre vor Be¬
ginn des Stückes, und der Sohn, Felix mit Namen, ein junger,
blühender Mann, der, von sanftem Wesen, seine
Mutter zärtlich verehrt, ebenso wie er ahnungslos
mit zärtlicher Treue an dem Pfendo=Vater hängt, bildet für
Julian, der im 2. Akt auf der Bildfläche erscheint und den
Tod Gabrielens niemals erfahren hatte, den Anlaß quälerischer
Sehnsucht, die keine Befriedigung findet. Felix erfährt von
Julian, nachdem dieser lange mit sich gekämpft, das Geheim¬
nis seiner Geburt, in edler Gesinnung erklärt er aber, ohne
den Erzeuger, den Verräter seiner Mutter, zu hassen, zu seinem
Pfendo=Vater halten zu müssen und zu wollen, dem er allen
Dank schulde. Die im 3. Akte von Herrn Rittner im Zu¬
sammentreffen mit Felix (Herrn Stieler) ganz meisterhaft
in
18. Der E
box 23/1
Dr. Max Goldschmidt
„ Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.
———
Ausschnitt aus
Staatsbürger-Zeitung, Berfin
16. 8.—
Hus der Theater- und Runstwelt.
Deutsches Theater. „Der einsame Weg“,
Artur Schnitzler's neuestes Bühnenwerk, ein fünf¬
aktiges modernes Schauspiel mit tragischem Ausklang, hat in
Berlin seine Uraufführung erlebt, und zwar nach sorgfältigster
Vorbereitung. An der Darstellung waren die besten im
Natürlichkeitstone der modernen Kunst unübertroffenen Kräfte
des Theaters in der Schumannstraße beteiligt, die Lessing'sche
Inszenierung für das Auge, das fein abgeschliffene, stimmungs¬
volle Zusammenspiel für das Ohr waren tadellos, der Autor
konnte wiederholt vor dem Vorhange erscheinen, aber trotzdem
kann der Erfolg bei weitem nicht zu den Erfolgen des Dichters
gezählt werden. Das Interesse, welches von dem redseligen
ersten Akte nur leise geweckt wurde, erlahmte wieder mit¬
unter, und der Ausgang, der einen unglücklich oder wenig
motivierten Selbstmord bringt, machte vollends stützig.
Unter den Vertretern des modernen deutschen Schauspiels ist
Artur Schnitzler mit seinem starken Talente für psycho¬
logisch subtile Charakter=Entfaltung, für dramatische Probleme
aus dem heutigen Gesellschaftsleben und für eine logische
Dramatik, die auch der seelisch bewegenden poetischen
Stimmungs=Szenen nicht entbehrt, einer der Bevorzugtesten,
wenn nicht der Bevorzugteste selbst. Er hat ein fein be¬
saitetes Gemüt und eine reiche künstlerische Phantasie, ganz
abgesehen von dem psychologischen Tiefblick für das viel¬
gestaltige Leben und die vielen oft bizarren Phänomene, die
sich im Menschenleben darbieten. Mit dem Schauspiele „Der
einsame Weg“, in welchem das idyllische Familienleben eines
ehrlichen Mannes und wackeren Künstlers, dessen Genie aller¬
dings im akademischen Beamteutum sich befriedigt sieht, durch
zwei Kunst=Kollegen von scharf ausgeprägtem Egoismus durch¬
krenzt und unterwühlt wird, tritt uns ein Bühnenwerk ent¬
uise durch
gegen, in welchem die Vorzüge der Schnitzler'se
einem
an
den Mangel an wirklich dramatischer Bewegn
starken Wellenschlag der Empfindungen bedeutend beeinträchtigt
werden. Es fallen einmal die Worte: „Mangel an Tem¬
perament machten aus mir einen anständigen Menschen“. Diese
Worte kann man auch auf Schnitzler's Schauspiel anwenden
ein anständiges Stück, aber Mangel an Temperament. Selbst
der laute, schmerzliche Seelen=Erguß des einen der beiden
Haupthelden, eines gereiften Künstlers, dessen ehrgeiziges Mal¬
Genie sich an niemanden ketten wollte, der die glühendste Liebe
eines verlobten Mädchens täuschte und das Vertrauen eines
redlichen Freundes verriet, muß schließlich stiller Resignation
Platz machen. Dieser Maler, Julian Fichtner, von Rudolf
Rittner lebenswahr und warmblütig gespielt, ist auf seinem
Lebenswege vereinsamt. Er ist Junggeselle, gleichwohl aber
der legitime Vater des Sohnes, welchen Gabriele, jenes von
Julian einst verführte und dann für immer verlassene
Mädchen, in der Ehe ihrem Manne, dem akademischen Pro¬
fessor Wegrath, geboren hatte, ohne das Geheimnis des
Fehltritts zu verraten. Der Vorgang liegt 23 Jahre vor Be¬
ginn des Stückes, und der Sohn, Felix mit Namen, ein junger,
blühender Mann, der, von sanftem Wesen, seine
Mutter zärtlich verehrt, ebenso wie er ahnungslos
mit zärtlicher Treue an dem Pfendo=Vater hängt, bildet für
Julian, der im 2. Akt auf der Bildfläche erscheint und den
Tod Gabrielens niemals erfahren hatte, den Anlaß quälerischer
Sehnsucht, die keine Befriedigung findet. Felix erfährt von
Julian, nachdem dieser lange mit sich gekämpft, das Geheim¬
nis seiner Geburt, in edler Gesinnung erklärt er aber, ohne
den Erzeuger, den Verräter seiner Mutter, zu hassen, zu seinem
Pfendo=Vater halten zu müssen und zu wollen, dem er allen
Dank schulde. Die im 3. Akte von Herrn Rittner im Zu¬
sammentreffen mit Felix (Herrn Stieler) ganz meisterhaft