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gestaltige Leben und die vielen oft bizarren Phänomene, die
sich im Menschenleben darbieten. Mit dem Schauspiele „Der
einsame Weg“, in welchem das idyllische Familienleben eines
ehrlichen Mannes und wackeren Künstlers, dessen Genie aller¬
dings im akademischen Beamtentum sich befriedigt sieht, durch
zwei Kunst=Kollegen von scharf ausgeprägtem Egoismus durch¬
krenzt und unterwühlt wird, tritt uns ein Bühnenwerk ent¬
gegen, in welchem die Vorzüge der Schnitzler'schen Muse durch
den Mangel an wirklich dramatischer Bewegung, an einem
starken Wellenschlag der Empfindungen bedeutend beeinträchtigt
werden. Es fallen einmal die Worte: „Mangel an Tem¬
perament machten aus mir einen anständigen Menschen“. Diese
Worte kann man auch auf Schnitzler's Schauspiel anwenden:
ein anständiges Stück, aber Mangel an Temperament. Selbst
der laute, schmerzliche Seelen=Erguß des einen der beiden
Haupthelden, eines gereiften Künstlers, dessen ehrgeiziges Mal¬
Gemie sich an niemanden ketten wollte, der die glühendste Liebe
eines verlobten Mädchens tänschte und das Vertrauen eines
redlichen Freundes verriet, muß schließlich stiller Resignation¬
Platz machen. Dieser Maler, Julian Fichtner, von Rudolf
Rittner lebenswahr und warmblütig gespielt, ist auf seinem
Lebenswege vereinsamt. Er ist Junggeselle, gleichwohl aber
der legitime Vater des Sohnes, welchen Gabriele, jenes von
Julian einst verführte und dann für immer verlassene
Mädchen, in der Ehe ihrem Manne, dem akademischen Pro¬
fessor Wegrath, geboren hatte, ohne das Geheimnis des
Fehltritts zu verraten. Der Vorgang liegt 23 Jahre vor Be¬
ginn des Stückes, und der Sohn, Felix mit Namen, ein junger,
blühender Mann, der, von sanftem Wesen, seine
wie er ahnungslos
Mutter zärtlich verehrt, ebenso
mit zärtlicher Treue an dem Pfeudo=Vater hängt, bildet für
Julian, der im 2. Akt auf der Bildfläche erscheint und den
Tod Gabrielens niemals erfahren hatte, den Anlaß quälerischer
Sehnsucht, die keine Befriedigung findet. Felix erfährt von
Julian, nachdem dieser lange mit sich gekämpft, das Geheim¬
nis seiner Geburt, in edler Gesinnung erklärt er aber, ohne
den Erzeuger, den Verräter seiner Mutter, zu hassen, zu seinem
Pfendo=Vater halten zu müssen und zu wollen, dem er allen
Dank schulde. Die im 3. Akte von Herrn Rittner im Zu¬
sammentreffen mit Felix (Herrn Stieler) ganz meisterhaft
zum Ausdruck gebrachte Beichte von Gabrielens Liebe und von
seiner Vaterschaft führt wohl zur besten Szene des Stücks und
wird schon im zweiten durch eine rührend stimmungsvolle Erzäh¬
lung des Sohnes von den letzten Lebensmomenten der Mutter
vorbereitet. Aus dieser Erzählung wird offenbar, daß Gabriele
das Glück ihrer Jugendliebe niemals vergessen konnte, und der
Autor behandelt das alles mit feinstem und vornehmstem Takt,
und ein goldiger Reflex, wie von einer untergehenden Abendsonne,
der letzte Liebesgruß, verklärt diese wahrhaft schöne Schlu߬
Szene des 2. Aktes. Leider gestaltet sich eine andere Seite
des Schauspiels weniger interessant und fesselnd. Das Motiv
des illegitimen Kindes hat vielfache Vorbehandlung bei den
Pariser Realisten, am bedeutendsten bei Dumas und
Augier, gefunden. In der Konkurrenz mit Ibsen ver¬
fehlt es Schnitzler gänzlich. Felix hat eine jüngere Schwester,
Johanna mit Namen, und von Irene Triesch, eine so an¬
ziehende Darstellerin sie selbst ist, auch anziehend gespielt. Am
anziehendsten erscheint sie dem reichen Maler Stephan von Sala,
plaudern versteht
der mit ihr angelegentlichst
und dessen Schloß von dem phantastisch veranlagten
Mädchen sehnsuchtsvoll umkreist wird. Herr von Sala
der seinen einsamen
der andere große Egoist,
ist
Weg bisher gegangen ist, ohne das von ihm sehr wohl erkannte
Gesetz oder die Forderung der echten Liebe: nur für ein anderes
Wesen da zu sein, befolgt zu haben. Sein Herz liegt nur auf der
Zunge und er hat Geist und viel Lebenserfahrung. Leider ist
er herzkrank, und der Arzt weiß, daß Herr v. Sala nicht mehr
lange zu leben hat. Trotzdem ist er entschlossen, sich einer
archäologischen Expedition nach dem Orient anzuschließen. Der#
vierte Akt führt uns in das romantische Wald=Schloß des Herrn##
v. Sala, und es gibt eine schwärmerische Liebesszene zwischen
Johanna und Stephan v. Sala. Johanna nimmt von dem
Geliebten Abschied, der von ihr fordert, für immer die Seine
werden zu sollen. Johanna spricht dunkle Worte, kehrt aber
später heimlich wieder zum Schloß zurück und der Vorhang fällt
diskret. Beim Beginn des letzten Aktes ist Johanna tot. Sie
hat sich am Morgen, nachdem sie Stephan besucht hatte, im nahen
Teich ertränkt. Hiermit verirrt sich das Schauspiel in eine
rätselhafte Sphäre, und kopfschüttelnd muß der Zuschauer
schließlich das Haus verlassen. Johanna ist eine Sphinx, und
was ist die von Else Lehmann prächtig gespielte Episode
der Schauspielerin Irene Herms? Diese Episode hat Humor
und soll das vorwiegend bewegungslose, in Dialogen und in¬
timen Wechselreden verharrende Schauspiel beleben. Else
Lehmann versteht das sehr gut, aber schade, daß die
charakteristische Figur zu kurz kommt. An der Darstellung des
Herrn Bassermann als Stephan konnte man seine Freude
haben, die Klarheit des Organs ließ den Genuß an der
lebenswahren, naturechten Charakteristik völlig ungetrübt. Auf
der künstlerischen Höhe wundervoller Natürlichkeit hielt sich auch
Oskar Sauer als Professor Wearath.
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gestaltige Leben und die vielen oft bizarren Phänomene, die
sich im Menschenleben darbieten. Mit dem Schauspiele „Der
einsame Weg“, in welchem das idyllische Familienleben eines
ehrlichen Mannes und wackeren Künstlers, dessen Genie aller¬
dings im akademischen Beamtentum sich befriedigt sieht, durch
zwei Kunst=Kollegen von scharf ausgeprägtem Egoismus durch¬
krenzt und unterwühlt wird, tritt uns ein Bühnenwerk ent¬
gegen, in welchem die Vorzüge der Schnitzler'schen Muse durch
den Mangel an wirklich dramatischer Bewegung, an einem
starken Wellenschlag der Empfindungen bedeutend beeinträchtigt
werden. Es fallen einmal die Worte: „Mangel an Tem¬
perament machten aus mir einen anständigen Menschen“. Diese
Worte kann man auch auf Schnitzler's Schauspiel anwenden:
ein anständiges Stück, aber Mangel an Temperament. Selbst
der laute, schmerzliche Seelen=Erguß des einen der beiden
Haupthelden, eines gereiften Künstlers, dessen ehrgeiziges Mal¬
Gemie sich an niemanden ketten wollte, der die glühendste Liebe
eines verlobten Mädchens tänschte und das Vertrauen eines
redlichen Freundes verriet, muß schließlich stiller Resignation¬
Platz machen. Dieser Maler, Julian Fichtner, von Rudolf
Rittner lebenswahr und warmblütig gespielt, ist auf seinem
Lebenswege vereinsamt. Er ist Junggeselle, gleichwohl aber
der legitime Vater des Sohnes, welchen Gabriele, jenes von
Julian einst verführte und dann für immer verlassene
Mädchen, in der Ehe ihrem Manne, dem akademischen Pro¬
fessor Wegrath, geboren hatte, ohne das Geheimnis des
Fehltritts zu verraten. Der Vorgang liegt 23 Jahre vor Be¬
ginn des Stückes, und der Sohn, Felix mit Namen, ein junger,
blühender Mann, der, von sanftem Wesen, seine
wie er ahnungslos
Mutter zärtlich verehrt, ebenso
mit zärtlicher Treue an dem Pfeudo=Vater hängt, bildet für
Julian, der im 2. Akt auf der Bildfläche erscheint und den
Tod Gabrielens niemals erfahren hatte, den Anlaß quälerischer
Sehnsucht, die keine Befriedigung findet. Felix erfährt von
Julian, nachdem dieser lange mit sich gekämpft, das Geheim¬
nis seiner Geburt, in edler Gesinnung erklärt er aber, ohne
den Erzeuger, den Verräter seiner Mutter, zu hassen, zu seinem
Pfendo=Vater halten zu müssen und zu wollen, dem er allen
Dank schulde. Die im 3. Akte von Herrn Rittner im Zu¬
sammentreffen mit Felix (Herrn Stieler) ganz meisterhaft
zum Ausdruck gebrachte Beichte von Gabrielens Liebe und von
seiner Vaterschaft führt wohl zur besten Szene des Stücks und
wird schon im zweiten durch eine rührend stimmungsvolle Erzäh¬
lung des Sohnes von den letzten Lebensmomenten der Mutter
vorbereitet. Aus dieser Erzählung wird offenbar, daß Gabriele
das Glück ihrer Jugendliebe niemals vergessen konnte, und der
Autor behandelt das alles mit feinstem und vornehmstem Takt,
und ein goldiger Reflex, wie von einer untergehenden Abendsonne,
der letzte Liebesgruß, verklärt diese wahrhaft schöne Schlu߬
Szene des 2. Aktes. Leider gestaltet sich eine andere Seite
des Schauspiels weniger interessant und fesselnd. Das Motiv
des illegitimen Kindes hat vielfache Vorbehandlung bei den
Pariser Realisten, am bedeutendsten bei Dumas und
Augier, gefunden. In der Konkurrenz mit Ibsen ver¬
fehlt es Schnitzler gänzlich. Felix hat eine jüngere Schwester,
Johanna mit Namen, und von Irene Triesch, eine so an¬
ziehende Darstellerin sie selbst ist, auch anziehend gespielt. Am
anziehendsten erscheint sie dem reichen Maler Stephan von Sala,
plaudern versteht
der mit ihr angelegentlichst
und dessen Schloß von dem phantastisch veranlagten
Mädchen sehnsuchtsvoll umkreist wird. Herr von Sala
der seinen einsamen
der andere große Egoist,
ist
Weg bisher gegangen ist, ohne das von ihm sehr wohl erkannte
Gesetz oder die Forderung der echten Liebe: nur für ein anderes
Wesen da zu sein, befolgt zu haben. Sein Herz liegt nur auf der
Zunge und er hat Geist und viel Lebenserfahrung. Leider ist
er herzkrank, und der Arzt weiß, daß Herr v. Sala nicht mehr
lange zu leben hat. Trotzdem ist er entschlossen, sich einer
archäologischen Expedition nach dem Orient anzuschließen. Der#
vierte Akt führt uns in das romantische Wald=Schloß des Herrn##
v. Sala, und es gibt eine schwärmerische Liebesszene zwischen
Johanna und Stephan v. Sala. Johanna nimmt von dem
Geliebten Abschied, der von ihr fordert, für immer die Seine
werden zu sollen. Johanna spricht dunkle Worte, kehrt aber
später heimlich wieder zum Schloß zurück und der Vorhang fällt
diskret. Beim Beginn des letzten Aktes ist Johanna tot. Sie
hat sich am Morgen, nachdem sie Stephan besucht hatte, im nahen
Teich ertränkt. Hiermit verirrt sich das Schauspiel in eine
rätselhafte Sphäre, und kopfschüttelnd muß der Zuschauer
schließlich das Haus verlassen. Johanna ist eine Sphinx, und
was ist die von Else Lehmann prächtig gespielte Episode
der Schauspielerin Irene Herms? Diese Episode hat Humor
und soll das vorwiegend bewegungslose, in Dialogen und in¬
timen Wechselreden verharrende Schauspiel beleben. Else
Lehmann versteht das sehr gut, aber schade, daß die
charakteristische Figur zu kurz kommt. An der Darstellung des
Herrn Bassermann als Stephan konnte man seine Freude
haben, die Klarheit des Organs ließ den Genuß an der
lebenswahren, naturechten Charakteristik völlig ungetrübt. Auf
der künstlerischen Höhe wundervoller Natürlichkeit hielt sich auch
Oskar Sauer als Professor Wearath.