II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 102


Ausschnitt aus
Norddeutsche Allgemeine Zeitung, Berlin
Gardine zu locken; und dieses probaten Ausweges, welcher außer
aller Beziehung zum Schauspiel selbst stand, bediente man sich
6. 2.04
von da ab jedesmal. Im dritten Akt gewinnt v. Sala den
jungen Wegrath zum Anschluß an eine fabelhafte Expedition
nach Baktrien, um dort das alte Ekbatana auszugraben.
Beiläufig bemerkt, hat jene Stadt so wenig in Baktrien
gelegen wie etwa Pompeji in der Bukowina, und
es wäre zu ertragen, wenn es bei diesem einen Verstoß gegen
die realen Grundlagen unserer Vorstellungswelt bliebe. Felix

Von den Bühnen.
schlägt ein, Fichtner und sein Vater, der den alten resignierten
„Kunstbeamten“ verkörpert, begrüßen einander nach langer
Am letzten Sonnabend haben auf unseren Bühnen mehrere
Zeit wieder, denn Fichtner war zwei Jahre fern von Wien
Erstaufführungen stattgefunden. Daran schloß sich das Fest
gewesen. Der vierte Akt spielt im Park der Villa v. Salas.
der Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger. Uns sind
Der Besitzer tritt mit Johanna aus der Verandatür. Sie
über diese Premieren und das Fest folgende Berichte zu¬
duzen sich jetzt, aber erst eine ganze Weile nachher erklärt das
gegangen:
Mädchen dem alternden Mann ihre Liebe. Da sie vorher
kg. Im Deutschen Theater war es am Sonnabend
weiß, daß er bald einem Herzleiden erliegen muß, so bleibt
dem zahlreich erschienenen und, wie sich bald herausstellte, auch
ungewiß, ob sie ihm nur die letzten Tage verschönen will oder
wohlgesinnten und daher ursprünglich beifallsfreudigen
einem Impulse zu weit nachgegeben hat. Der geistreiche
Publikum beschieden, einem dramatischen Experiment eigener
Lebenskünstler und Egoist nimmt ihre Erklärung sehr nüchtern
Art beizuwohnen. Arthur Schnitzler, als Verfasser einer
hin, begreift aber endlich und bietet Johanna an, ihn
Reihe von modernen Bühnenstücken bekannt, die sich durch
der Expedition als seine Frau zu
für die Dauer
Gedankeninhalt bei glänzender Form auszeichnen, hat diesmal
begleiten. Das Mägdelein ist zwar über die Fasson
mit seinem Schauspiel Der einsame Weg die Straße ein¬
glaubten wir wenigstens den Sinn
erhaben,
so
geschlagen, auf der Ibsen gewandelt ist. Schon dem Buche,
des Folgenden auslegen zu müssen —, faßt jedoch das Angebot
das im Verlag von S. Fischer, Berlin, gleichzeitig heraus¬
dahin auf, daß sie den Geliebten nun in den Tod geleiten
kam, ließ sich entnehmen, daß auch den Kräften des Deutschen
solle. Aber hiervon wird beileibe dem Auditorium nichts ver¬
Theaters die Aufgabe keineswegs leicht gemacht war. Sie
raten, so daß nachher, als eine sehr rührend und ernst ge¬
haben aber, wie gleich bemerkt sei, wenn nicht ihr Bestes, so
meinte stumme Szene der Nachts wiederkehrenden Johanna
doch Hervorragendes bei der Erstaufführung geboten, die in¬
den Akt schließt, sich über die unverständlichen Gesten sogar
dessen keinen wirklichen Erfolg gebracht hat und ihn auch nicht
ein Lachen erhob. Die eingeweihte Partei der Mitdenker
bringen konnte. Schnitzlers Versuch geht auf die erkennbare
schien lediglich darüber empört, obgleich ihr der Umstand erst
Absicht aus, Ibsen womöglich noch zu übertreffen. Das ist
recht zu denken geben konnte. Mittlerweile haben sich Fichtner
dem Autor gelungen; aus dem psychologischen Problem,
und auch Felix eingefunden. Der natürliche Sohn be¬
dessen Entwicklung zu folgen Ibsens Publikum erst langsam
handelt seinen Vater als unnatürlich; der ganz ge¬
und zögernd gelernt hatte, ist bei Schnitzler jetzt eine Samm¬
welcher in
Felix irgendwie die
Julian
brochene
lung von einzelnen Rätseln geworden, die aber, soweit sie
bekommt von
seines Alters zu finden hoffte,
Stütze
überhaupt zur Lösung kommen, dem Zuschauer zum Schlusse
Freund Sala dieserhalb einen Kursus über praktische
um so weniger sagen, als kein innerer Zusammenhang der
Ethik in skeptischer Beleuchtung zu hören. Im er¬
Dinge, dessen endliches Aufblitzen man fünf Akte hindurch fast
sehnten Schlußakt wird dann unter den unglaublichsten
peinvoll erwartet, zu stande kommen will. Dieser Einsame
Schwierigkeiten festgestellt, daß Johanna sich nach dem Fallen
Weg, mit einer Fülle von höherer Lebensweisheit in Aphorismen¬
des Vorhangs im Parkteich ertränkt hat. Sala aber geht, um
form und von dunklen Seelenregungen ausgestattet, die zu
sich noch jetzt zu töten, Felix küßt Wegrath die Hand und
häufig des Wortschatzes spotten, ist ungangbar und wird
nennt ihn so ausdrücklich seinen Vater, daß es den alten Herrn,
hoffentlich so bleiben. Wäre es geglückt, der ohnehin schon für
obwohl er nichts ahnt, doch wundert. Julian aber wendet
psychologische Zwielichtkunst mehr als reichlich disponierten
sich schweigend seines vermutlich einsamen Weges. Gegen den
Zuhörerschaft auch den Einsamen Weg annehmbar zu
„nicht endenwollenden Beifall“, der nun ohne Rücksicht auf die
daß
mußten wir uns gefaßt halten,
machen,
Situation seinen Anfang zu nehmen wagte, erhob sich aber
künftig die moderne Schaubühne noch mehr, als bereits
sogleich das Zischen der Mehrheit, die nicht ganz mit Unrecht der
der Fall ist, sich vom dramatischen Empfinden ab¬
Meinung zu sein schien, daß sie gefoppt werde. — Das Schnitzler¬
wendet und uns den immer kurzen Weg durch eine
sche Rätselspiel war mit großer Sorgfalt einstudiert und bot
unfaßbar gewordene Ueberfeinerung zur Plattheit führt. —
wieder vorzüglische schauspielerische Leistungen. Der Julian Rudolf
Der Einsame Weg wird im ersten Akte als solcher noch nicht
Rittners packte mehrmals durch seine guten Nuancen,
erkennbar. Frau Gabriele, Gattin des Akademiedikektors
während Herr Stieler die Rolle des Felix erst in den
Wegrath, ist todkrank, und die Gewißheit ihres baldigen Endes
späteren Akten zur vollen Geltung brachte. Im zweiten ver¬
ist ihrer hellseherisch=phantastisch veranlagten Tochter Johanna
griff sich der Darsteller erheblich, wobei allerdings der innerlich
aufgegangen. Der etwas ältere Sohn Felix, Ulanenöffiziec,
unglaubwürdige Dialog mildernd in Rechnung kam. Fräulein
erzählt von einem alten Bekannten des Vaters, dem Maler
Triesch hatte als Johanna die Aufgabe, aus einer für die
Julian Fichtner; — es ergibt sich bald, daß Frau Gabriele
Bühne kaum möglichen Gestalt etwas zu machen. Ihrer Be¬
ihrem Arzt, Dr. Reumann, das Geheimnis anvertraut hat,
gabung gelang das in der Tat: diese Johanna, die im Text
der 23jährige Felix sei in Wirklichkeit Fichtners Sohn. Wer
nicht drei Sätze zu sprechen bekam, in denen ein Sinn für
ganz genau acht gibt, erfährt auch, daß Dr. Reumann Jo¬
sich liegt, wurde dafür vom Geist der Künstlerin belebt und
hanna schmachtend liebt. Ein Bekannter des Hauses, Herr
fesselte nun sichtlich das Interesse. Hans Godeck als Arzt
v. Sala, zugleich Fichtners Freund, wird aber, was sehr viel
und Oskar Sauer als Professor Wegrath hielten sich in
deutlicher herauskommt, vielmehr von Johanna geliebt. Er
diskretem Rahmen. Herr Bassermann (Stephan von Sala)
ist ein älterer Mann, alleinstehend, sehr welterfahren und
war den tiefen Intentionen des Dichters so überaus weit ent¬
klug, versorgt das Stück mit Sentenzen im buntesten
gegengekommen, daß er durch Maske und Spiel die Wunder¬
Gewimmel, merkt aber nichts. Oder er will noch nicht, denn
lichkeiten des Abends noch mehrte. Dieser Sala, dessen Air dem
Schnitzler hat dafür gesorgt, daß v. Sala nicht nur die Per¬
Goetheschen Faust des zweiten Teils nicht unähnlich zu ssein
sonen des Schauspiels, sondern auch das Verständnis des
brauchte, gab sich in Aussehen, Sprache und Manieren stwa.
Publikums in gemessener Entfernung von sich hält. Im
wie ein pensionierter Kriminalschutzmann, nur daß ftlche
zweiten Akt, der zwei Wochen später bei dem eben in Wien
Männer gewöhnlich aus ihrer Kenntnis der Nachtseiten messch¬
eingetroffenen Fichtner spielt, wird durch ein Gespräch von
lichen Daseins gesundere Lehren ziehen. Daß die Ablehn#gg
Salas mit ihm enthüllt, wie Felix Wegrath Fichtners Sohn
des Stückes eine Weile hinausgeschoben wurde, war lediglich
werden konnte. Gabriele (die inzwischen gestorben ist) stand
der sprudelnd=gutherzigen Irene Herms (Else Lehmann) zu
Fichtner
vor der Hochzeit mit Wegrath, als sie sich vergaß.
danken. Hier trat die Verkränkelung, an der alle handelnden
mit ihr
wollte heimlich am Morgen des Trauungstages
Personen leiden, so knapp wie möglich zur Schau, wogegen
fliehen, aber sein „reueloser“ Egoismus machte ihn abtrünnig
der Humor wenigstens dies eine Mal zu seinem Rechte kam.
— und er
daher wohl der Vorname Julian
Als bühnenkundiger Dichter wird es Schnitzler ohne
floh allein, um frei und schaffensmächtig zu bleiben.
Zweifel an diesem Versuche, Ibsen zu überklügeln, bewenden
Jetzt aber will er Felix in das Geheimnis ein¬
lassen. Er hat das weder nötig, noch beherrscht er die Ge¬
weihen, was, nach einer sehr hübschen und lebendigen Szene
fahren des einsamen Weges, den der Norweger gegangen ist¬
Julians mit der alten Freundin und früheren Geliebten Irene
Herms, auch geschieht. Aber Felix, der weise wie ein Siebziger“
und empfindsam wie ein Stiftsfraulein mittlerer Jahre ist, er#
bittet sich sozusagen Bedenkzeit. Als der Vorhang sank, er
Annlang uim hen Nerfaffer ei
DL