II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 106

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HSG
18. Deres
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.—
Berlin N. 24.

Ausschnitt aus
Vorwärts, Berlin
16. 2. 04
Theater.
Deutsches Theater. „Der einsame Weg“. Schau¬
spiel in fünf Akten von Arthux, Schnitle Wie berichtet
wird, hat das Drama des feinsinnigen Wiener Poeten in der Sonn¬
abend=Premiere keinen rechten Erfolg gehabt. Bei der Wieder¬
holung am Sonntag, der ich beiwohnte, war das nicht anders. Nach
dem zweiten und dritten Aufzug wurde der Dichter gerufen, aber
die beiden Schlußakte enttäuschten augenscheinlich. Allzu langsam
rückt die Handlung vorwärts, und verworren laufen am Ende die
Fäden durcheinander. Es ist ein Reichtum sinnvoll nachdenk¬
licher Andeutungen und ein stiller Stimmungszauber in dem Stück,
überall stößt man auf eigenartig Geprägtes, aber die vielerlei An¬
regungen verdichten sich zu keinem zwingendem Eindruck. Dazu fehlt
die große energisch schwungvoll aufsteigende Linie, von der zuletzt
alle dramatische Spannung abhängt.
Die Form, der Schnitzlers Talent am meisten entsprechen möchte,
scheint die knapp zusammendrängende, scharf pointierte dramatische
Skizze, der — Einakter. Die „Liebelei“ in ihrer einfachen Struktur
deutet bereits auf einen solchen Typus hin. „Der grüne Kakadu“
ist geradezu ein Meisterstück, das beste, was überhaupt in dem Geure
geschaffen worden. Und, wenngleich selbstverständlich auch hinter
diesem kühnsten Wurfe weit zurückstehend, welche Fülle origineller
Kraft offenbarte der Cyklus der „lebendigen Stunden“
Umgekehrt, in negativer Weise bezeugt auch „Der einsame Weg“
mit seinen fünf Akten jene ursprüngliche Tendenz von Schnitzlers
Beanlagung. Das lang ausgesponnene Schauspiel setzt sich aus
einzelnen Situationskomplexen zusammen, die abgetrennt von
einander, verselbstständigt in Dramolettform eine unvergleichlich
stärkere Wirkung hätten ausüben können. Das Verhältnis das alten
das Kern¬
Künstlers und Ronés Fichtner zu seinem Sohn,
unmittelbar
problem des Stückes, läßt sich in wenigen
darstellen.
sich folgenden Seenen mit völliger Prägnanz
Nicht einmal eine weiter greifende Umbildung wäre dazu
notwendig, man hätte nur das im Stück Zerstreute konzentrierend
aneinander zu reihen. Und auch die Begegnung Fichtners mit seiner
früheren Liebe, der Schauspielerin Herms, dem leichtlebigen, an¬
scheinend so oberflächlichen Geschöpf, das sich nun im verzehrenden
Mutterinstinkt nach einem Kinde sehnt, ist ein Einakter im Keime,
ebenso die allerdings recht dunkle Liebesepisode zwischen der mystisch
schwärmenden Johanna und Stephan v. Sala, dem eisig kalten
Egoisten. Die Verbindung zu einem Schauspiel hebt bei Schnitzler
nicht das Einzelne, sie hemmt es nur in seiner freien Entfaltung;
die Teile drücken, pressen und beengen sich. Der Einheit gebende Ge¬
danke aber, daß der Weg der Genußsüchtigen und Pflichtenlosen, wenn
die Lebenshöhe überschritten, ein einsamer Weg ist voller Furcht
und Traurigkeit, blieb durch die Loslösung der Glieder von einander,
durch die Verwandlung des Dramas in eine Einakterreihe, un¬
berührt.
Der Maler Fichtner hat die Braut des Freundes verführt und
ist dann, als sie bereit war, ihm zu folgen, heimlich entflohen. Seine¬
Freiheit zu wahren, schien ihm kein Opfer fremden Menschenglücks zus
Mehr als zwanzig Jahre gingen seitdem ins Land.

groß.
Das Genie des einst Gefeierten ist in einem wilden, un¬
stäten Leben fruchtlos verzettelt, und nun leer, gebrochen,
hungernd nach Liebe, kehrt er nach Wien zurück. Der Sohn,
den Gabriele in der Ehe ihrem wackeren Gatten geboren, ist sein,
des Malers Fleisch und Blut. Fichtner, der sich um Felir früher¬
nicht gekümmert, meint, ernten zu können, wo er nicht gesät. In
der Angst der Einsamkeit soll ihm Felix ein Schutz und Schirm sein,
an dem jungen frischen Herzen will er sein erkaltendes wärmen. Ob¬
er ein Recht hat, nach allem, was geschehen, den Frieden des
Wegrathschen Hauses zu stören und, kurz nach der Mutter Tod, Felix
das Geheimnis seiner Geburt zu verraten, die Frage kommt ihm
gar nicht in den Sinn. Was er zu brauchen meinte,
war er immer mit brutaler Hand zu nehmen gewöhnt.
er
nicht. Felix empfindet zu weich,
Diesmal gelingt es
sehr gezähmt, um, als er von Fichtner die Ge¬
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schichte seiner Mutier hört, sich voll Empörung auf den Mann zu
werfen, der sie verführt und dann so feige verlassen hat. Er mag
nicht richten. Doch er fühlt, daß es aus ist auf immer zwischen
ihm und diesem Menschen. Dem, den er von Kind auf seinen
Vater nannte, dem armen Betrogenen, der in sorgender Liebe ihn,
die Schwester und die Mutter behütete, gehört sein Herz, kein Stück
davon dem Fremden. Klagend trägt Fichtner, trotzig still, mit
Stephan
sein konsequenterer Freund
eleganter Nonchalance
ruft
denn,
Haben wir
v. Sala
die Einsamkeit.