II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 122

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18. Der einsane Nag


Ausschnit aus
Aligereine Zeitung für Chemniz und das Erzgebirge
17.2.54
der Sohn seines Freundes Julian ist, der ihm einst und dadurch bekommt in der Tat das Stück an
Kunft und Wilfenschaft.
vielen Stellen durchaus ein novellistisches Gepräge.
die Braut kurz vor der Hochzeit verführt hat.
(Fortsetzung aus der 2. Beilage.)
Julian kehrte also müde vom Genuß des Lebens Ueberdies können wir die Wahrheit solcher Er¬
zählungen gar nicht selbst prüfen, sondern müssen
Berliner Theater.
heim und wiegt sich in der Hoffnung, er werde,
sie von den erzählenden Personen auf Treu und
zumal, da die Mutter seines Sohnes inzwischen
(Eigenbericht der „Allgemeinen Zeitung“.)
Glauben hinnehmen. Die Hauptsache zum Beispiel,
gestorben. in diesem den Freund seines Alters ge¬
Berlin, 14. Februar.
jenes verräterische Liebesverhältnis einer Brauts
winnen den Begleiter auf seinem einsamen Wege.
mit dem Freunde des Bräutigams, müssen wir eins
Wie sich doch Anschauungen und Geschmacks¬
Deutsches Theater: „Der einsame Weg“,
sach glauben, denn es spielt sich nicht vor unseren
Schauspiel in 5 Aufzügen von Axthur Schnitzeneigungen ändern! Bis zur Mitte des 19. Jahr¬
Augen ab, sondern wird uns von der Bühn
hunderts wurde dieser Stoff stets so behandelt,
ler. Ein Erfolg war's nicht, ganz sichernicht denn
herunter erzählt, wie wenn jemand eine Geschichte
daß in einer rührenden Erkennungsszene zwischen
nachd####ierten und fünften Akt wurde mit Kraft
bei der Lampe am Familientisch vorlieft.
Vater und Sohn die sogenannte Stimme des Blutes
und Ueberzeugung gezischt, und erst als Gegen¬
Außerdem störte in hohem Grade eine in den
vernehmlich wird, Erzenger und Erzeugter tränen¬
äußerung wurde einiger Beifall laut. Ja sogar
letzten Jahren bei Arthur Schnitzler sich immer
überströmt einander in die Arme stürzen und alle
nach dem vierten Akt trat eine Art von Theater¬
unangenehmer bemerklich machende Art der abe
Schuld vergeben, eine neues Leben beginnen und
flucht ein: Man sah eine Anzahl von „Premieren¬
nungsvollen Geheimniskrämerei. Die Personen
alle Beteiligten hochbeglückt den Vorhang fallen
tigern“ in heller Verzweiflung den Saal verlassen.
auf der Bühne ahnen in ganz unbegreiflicher Weise
sehen. Dies geht heute offenbar nicht mehr an.
War's aber nicht trotzdem wenigstens etwas künst¬
auch solche ihnen ganz verborgenen Geheimnisse
Schon bei den Franzosen wird eine solche Erken¬
lerisch Wertvolles? Unmöglich ware das nicht, denn
die wir Zuhörer wissen, weil sie uns von einer
nungsszene meist so behandelt, daß der Sohn dem
es kann sich wohl ereignen, ja es hat sich schon mehr
wissenden Person mitgeteilt wurden, die aber die
seine
plötzlich auftauchenden Vater gründlich
als einmal ereignet, daß der Durchfallende an
andern Personen auf der Bühne ohne übernatür¬
Meinung sagt und ihm erklärt, er denke gar nicht
einem Premierenabend keineswegs das Stück, son¬
liche Kräfte keineswegs ahnen können. Ich fürchte,
daran, die Stütze seines Alters zu werden. Bei
dern das Bublikum war, dem die künstlerische Be¬
hierin macht sich ein unheilvoller Einfluß Ibsens
Schnitzler vollzieht sich die Abrechnung zwischen
deutung eines feinen Dichterwerkes auf den ersten
auf den in Wahrheit doch so ganz anders ange¬
Vater und Sohn feiner ohne alle Heftigkeit, ge¬
Hieb nicht aufgegangen war. Bei Erstaufführungen
legten Arthur Schnitzler geltend: Dieser will gleich
halten und ernst, und diese Szene war es denn auch,
am Sonnabend — früher in Berlin die Regel,
Ibsen uns ahnungsvoll kommen; weil aber dieser
die den stärksten Beifall hervorrief.
jetzt leider die Ausnahme— kann sich der Kritiker
Zug nicht aus seinem wahren Wesen hervorgeht, son¬
Daneben läuft nun aber ein ganz anderer
die Sache wenigstens beschlafen und ein ruhiges
dern äußerlich hinzugefugt ist, wirkt er hin und
Stoff, der zwar auch auf den einsamen Weg hin¬
Urteil abgeben, als unter dem unmittelbaren Ein¬
wieder nahezu komisch.
deutet, aber auf den eines andern, eines Freun¬
druck des Kampfgetöses zwischen den Zischern und
zu
Von der Aufführung ist fast nur Gutes
des Julians, eines gleich ihm selbstsüchtigen Ge¬
den Klatschern. Dieses beschlafene Urteil hat etwa
melden. Irene Triesch war eine künstlerisch
nußmenschen, der sich von ihm nur durch den Zu¬
dahin zu lauten: Arthur Schnitzler hat einen
wirkende Erscheinung, wenn man auch den durch sie
satz eines gewissen herben Lebensspottes unter¬
großen Lebensstoff aufgegriffen, und schon das ver¬
verkörperten Menschen nicht ganz verstand.
scheidet. Wozu dieses doppelte Beispiel für den¬
dient Anerkennung. Er der noch so junge Dichter,
Bassermann — meisterhaft wie ja fast immer;
selben, grundeinfachen Gedanken? Dabei ist es gar
hat die Tragödie des Altwerdens schreiben wollen;
Else Lehmann in einer hübschen Nebenrolle köst¬
nicht einmal wahr, daß dieser zweite Selbst¬
denn der einsame Weg bedeutet den letzten Lebens¬
lich wohl die wirkungsvollste Gestalt des ganzen
süchtling die letzte Strecke seines Lebensweges ein¬
abschnitt derer, die aus Eigensucht, aus rücksichts¬
Stückes, aber doch eben nur eine Rolle, die ohne
sam zurücklegen müßte. Im Gegenteil, ihm drängt
loser Genußwut, aus Mangel an Selbstopferung
Schaden für den dramtischen Gehalt des Schau¬
sich das schöne junge Leben eines Mädchens, der
ihren Weg einsam bis ans Ende wandern müssen,
spiels ganz gestrichen werden könnte. Herr Ritt¬
Schwester des Leutnants Felix, die beiläufig den
ohne liebende Freunde, ohne Weib und Kind um
ner in den ersten Akten überzeugend, später etwas
Jahren nach seine Tochter sein könnte, aus uns ver¬
sich. Zweifellos ist dies ein Stoff, der mit voller
zu jung im Ton für die gealterte Person, die er
borgen bleibenden Herzensgründen förmlich mit
Kraft angepackt und dramatisch lebendig auf der
Begeisterung als Gefährtin seines sonst der Einsam¬
darstellen sollte.
Bühne verkörpert, eine Zuschauermenge der ver¬
Prof. Dr. Eduard Engel.
keit geweihten Weges auf. Ihm ist also ohne sein
schiedensten Lebensalter ergreifen müßte. Leider,
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Zutun trotz aller Selbstsucht, trotz aller Rücksichts¬
leider hat Arthur Schnitzler sich selbst durch einen
losigkeit im Genießen, schließlich doch geworden,
Mangel an künstlerischer Beschränkung um die in
was so vielen edleren Naturen versagt bleibt: ein
dem Stoff allein schon liegende Wirkung gebracht,
wertvolles junges Menschenleben für sich zu ge¬
indem er ohne jeden Grund und zum größten
winnen. Der Dichter aber in der Willkür seiner
Schaden seines Stückes noch eine zweite Handlung
Erfinderlaune läßt diese Parallelgestalt neben dem
hineinzuverweben suchte, in Wahrheit aber fast
eigentlichen Helden Julian an einer tödlichen Herz¬
gleichwertig danebenstellte. Also ein Stück mit zwei
krankheit leiden was doch ein reiner Zufall ist und
Stoffen, mit zwei Handlungen, mit Hauptpersonen
er läßt das liebende Mädchen in den freiwilligen
nebeneinander, die zwei gar nichts miteinander
Tod gehen, weil sie den Tod des geliebten Mannes
gemeinsam habende Gruppen bilden. Dadurch aber
voraussieht Ueberzeugend wirkt der Schluß dieser
eine Zerspaltung der Teilnahme bei dem Zuhörer,
Nebenhandlung ganz gewiß nicht.
die, je weiter das Stück vorschreitet, desto mehr
Das Stück kranki nicht hioß an dem tödlichen
erlahmt.
Uebel eines Doppelstoffes und einer Doppelhand¬
Die wahre Tragödie des Stückes besteht in
lung; es krankt auch in der Aufführung an unerträg¬
einem sehr einfachen Stoff. der übrigens schon mehr
lichen Längen und Verzögerungen. Dazu kommt,
als einmal lange vor Schnitzler behandelt worden
daß das Stück gewissermaßen nach rückwärts spielt:
ist, am häufigsten von den Franzosen, von diesen
immer wieder wühlen die Menschen in Rück¬
allerdings nicht mit dem Ernst, den der Stoff i.
erinnerungen, und dem Zuhörer wird zugemutet,
des Schnitzlerschen
sich trägt. Im Mittelpuni
sich in die aufs breitesie ausgemalten Seelenstim¬
Stückes steht ein gealterter Maler, der nach einem
mungen von toten und lebendigen Menschen hinein¬
genußreichen Junggesellenleben in die Heimat zu¬
rückkehrt und hier erfährt. daß er einen Sohn hat:zuversetzen, die vor dreiundzwanzig Jahren einmal
Den jetzt 23jährigen Leutnant Felix, der als der empfunden wurden. Dergleichen kann natürlich nur
Sohn des Akademiedirektors gilt, in Wahrheit aber in der Torm der Erzählung vorgetragen werden,