18. Der einsane Nag box 23/1
Dr. Max Goldschmidt
Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.
—
Ausschnitt aus
6 saed Gu
Z
—
Cba
1# T. —.
von Berliner Theatern.
(Nachdruck verboten.)
Arthur Schnitzier zählt viele Freunde in
Berlin Feie gesstreiche, weltkundig zynische und
dabei bei Gelegenheit wieder wienerisch weiche
Persönlichkeit, die oft mit spielender Intelligenz
produzierte, gab so manche neue Sentiments
und blieb, selbst in verfehlten Versuchen, stets
Iso einst zu nehmend und apart, daß sein Name
genügte, einer Premiere den Stempel des
wichtigen literarischen Ereignisses zu geben,
der das Publikum unserer Bühnen nun einmal
so sehr lockt. Sein neues Schauspiel „Der
einsame Weg“, eine leider recht lang, zu lang
geratene Arbeit, erfuhr indessen eine, der dem
Autor entgegen zu bringenden Achtung ent¬
sprechende leise Ablehnung. Wer aufmerksam
gewesen war, hatte das voraussehen können.
dem
Schon in seinem letzten Stück
„Schleier der Beatrice“ zeigte Schnitzler
das Bestreben, psychologische Finessen auf¬
zuspüren, denen seine aus helle Licht des
Alltags gewöhnte und für landläufige Möglich¬
keiten geeignete Begabung nicht gewachsen war;
persönlich, das fühlte man, kam er ihnen ja
nahe, als Schriftsteller aber war er zu sehr
Empfinder, um bei der Ausgestaltung so ver¬
wickelter Momente nicht aus dem dramatischen
Konzept zu fallen und sich völlig in die Breite
zu verlieren. Beim „Schleier der Beatrice“
entschädigte immerhin noch das geschmackvoll
behandelte Milien der Renaissancekultur, dem
„Einsamen Weg“ aber fehlt auch diese captatio
benevolentiae und so ist es ein langweiliger Weg.
Den Zersetzungsprozeß, der eine Familie
auseinandertreibt, das notwendige Auseinander¬
gehen zueinander gehörender Menschen zeigt
uns das Stück. Die motivierenden Vorgänge
liegen zwanzig Jahre vor dem Einsetzen der
Handlung. Ein Mädchen wird von zwei
Männern begehrt; als sie der eine, der egoistische
Tempelamentsmensch, verlassen hat, nimmt sie!
den andern, — die alte Geschichte. Nicht der
ältere Sohn, die jüngere Tochter erst, die sie
ihw schenkt ist sein Lu#d
Beide Manner sind Kunstter, Malet. Der
Verheiratete wird ein braver Akademiedirektor
und lebt ein schlichtes und gerechtes Alltags¬
leben, froh in seinem konventionellen Familien¬
glück. Und doch ruht dieses Glück nur auf
der Lüge einer Frau, die ihre einstige Schuld
nicht verraten will. Auf ihrem Sterbebett
Lkommen ihr Gewissensbisse. Damit Schnitzler
seine Meinung dazu äußern kann, läßt er einen
Arzt zu der Kranken kommen und das Näsonne¬
ment abgeben: „Eine Lüge, die sich so stark er¬
wiesen hat, daß sie den Frieden eines Hauses
trägt, ist mindestens so verehrungswürdig wie
eine Wahrheit, die nur schädlich wirken könnte.“
Leider ist es nach dem Tode der Frau mit
der Lüge und damit auch mit dem Frieden aus.
1 Der einstige „Andere“ kommt wieder zu seinem
betrogenen Freunde, dem Professor Wegrath,
zurück. Ein gebrochener Lebensstürmer, ent¬
täuscht als Künstler, als Mensch noch ausge¬
seinen
bildeterer Egoist, denn einst in
Liebestagen, sucht er nun für sein Alter
einen schirmenden Begleiter auf dem Rest
des Lebensweges. Er umwirbt sein Kind,
den Pfeudosohn seines betrogenen Freundes.
Die Auseinandersetzung zwischen Vater und
Sohn ist nicht gerade sehr erquicklich, hätte sich
aber, bei den einmal vorliegenden Voraus¬
setzungen, kaum mit diskreteren künstlerischen
1Mitteln durchführen lassen. Der junge Mensch
ist ein Charakter und kehrt dem alten Maune, in
dem er nur den Verräter an seiner Mutter sieht,
den Rücken. Dem aber bleibt nun nichts ührig,
als seinen einsamen Weg weiterzuwandeln.
Ohne zwingende Gründe gibt Schnizler
hierzu noch ein Gegenspiel zwischen Wegraths:
traumseliger Tochter Johanna und einem zweiten
Ichmenschen, der noch stärker in seinem Egois¬
mus ist, weil ihm das Temperament des
Künstlers abgeht. Das hysterische Mädchen
geht in den Tod, und der alternde Roue kürzt
den einsamen Weg, den er nun vor sich
sieht, gleichsalls ab. Zurück bleibt Weg¬
rath, der gute, zum Betrogenwerden ge
schaffene Alte, der vielleicht den Satz illustrieren
soll, daß die Harmlosen und Kurzsichtigen in
Leben wenigstens das wohlige Glück der Be¬
haglichkeit genießen, das den andern versagt ist.
Es sind trübselige Resümees und Verneinungen,
die Schnitzler diesmal aus seinem Werke zieht.
Und das paßt schlecht zu der gewohnten Liebe
zum Hellen, die der Wiener uns früher gezeigt hat.
Erich Petersson.
Dr. Max Goldschmidt
Bureau für
Zeitungsausschnitte
verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
eigene Korrespondenten.
Telephon: III, 3051.
Berlin N. 24.
—
Ausschnitt aus
6 saed Gu
Z
—
Cba
1# T. —.
von Berliner Theatern.
(Nachdruck verboten.)
Arthur Schnitzier zählt viele Freunde in
Berlin Feie gesstreiche, weltkundig zynische und
dabei bei Gelegenheit wieder wienerisch weiche
Persönlichkeit, die oft mit spielender Intelligenz
produzierte, gab so manche neue Sentiments
und blieb, selbst in verfehlten Versuchen, stets
Iso einst zu nehmend und apart, daß sein Name
genügte, einer Premiere den Stempel des
wichtigen literarischen Ereignisses zu geben,
der das Publikum unserer Bühnen nun einmal
so sehr lockt. Sein neues Schauspiel „Der
einsame Weg“, eine leider recht lang, zu lang
geratene Arbeit, erfuhr indessen eine, der dem
Autor entgegen zu bringenden Achtung ent¬
sprechende leise Ablehnung. Wer aufmerksam
gewesen war, hatte das voraussehen können.
dem
Schon in seinem letzten Stück
„Schleier der Beatrice“ zeigte Schnitzler
das Bestreben, psychologische Finessen auf¬
zuspüren, denen seine aus helle Licht des
Alltags gewöhnte und für landläufige Möglich¬
keiten geeignete Begabung nicht gewachsen war;
persönlich, das fühlte man, kam er ihnen ja
nahe, als Schriftsteller aber war er zu sehr
Empfinder, um bei der Ausgestaltung so ver¬
wickelter Momente nicht aus dem dramatischen
Konzept zu fallen und sich völlig in die Breite
zu verlieren. Beim „Schleier der Beatrice“
entschädigte immerhin noch das geschmackvoll
behandelte Milien der Renaissancekultur, dem
„Einsamen Weg“ aber fehlt auch diese captatio
benevolentiae und so ist es ein langweiliger Weg.
Den Zersetzungsprozeß, der eine Familie
auseinandertreibt, das notwendige Auseinander¬
gehen zueinander gehörender Menschen zeigt
uns das Stück. Die motivierenden Vorgänge
liegen zwanzig Jahre vor dem Einsetzen der
Handlung. Ein Mädchen wird von zwei
Männern begehrt; als sie der eine, der egoistische
Tempelamentsmensch, verlassen hat, nimmt sie!
den andern, — die alte Geschichte. Nicht der
ältere Sohn, die jüngere Tochter erst, die sie
ihw schenkt ist sein Lu#d
Beide Manner sind Kunstter, Malet. Der
Verheiratete wird ein braver Akademiedirektor
und lebt ein schlichtes und gerechtes Alltags¬
leben, froh in seinem konventionellen Familien¬
glück. Und doch ruht dieses Glück nur auf
der Lüge einer Frau, die ihre einstige Schuld
nicht verraten will. Auf ihrem Sterbebett
Lkommen ihr Gewissensbisse. Damit Schnitzler
seine Meinung dazu äußern kann, läßt er einen
Arzt zu der Kranken kommen und das Näsonne¬
ment abgeben: „Eine Lüge, die sich so stark er¬
wiesen hat, daß sie den Frieden eines Hauses
trägt, ist mindestens so verehrungswürdig wie
eine Wahrheit, die nur schädlich wirken könnte.“
Leider ist es nach dem Tode der Frau mit
der Lüge und damit auch mit dem Frieden aus.
1 Der einstige „Andere“ kommt wieder zu seinem
betrogenen Freunde, dem Professor Wegrath,
zurück. Ein gebrochener Lebensstürmer, ent¬
täuscht als Künstler, als Mensch noch ausge¬
seinen
bildeterer Egoist, denn einst in
Liebestagen, sucht er nun für sein Alter
einen schirmenden Begleiter auf dem Rest
des Lebensweges. Er umwirbt sein Kind,
den Pfeudosohn seines betrogenen Freundes.
Die Auseinandersetzung zwischen Vater und
Sohn ist nicht gerade sehr erquicklich, hätte sich
aber, bei den einmal vorliegenden Voraus¬
setzungen, kaum mit diskreteren künstlerischen
1Mitteln durchführen lassen. Der junge Mensch
ist ein Charakter und kehrt dem alten Maune, in
dem er nur den Verräter an seiner Mutter sieht,
den Rücken. Dem aber bleibt nun nichts ührig,
als seinen einsamen Weg weiterzuwandeln.
Ohne zwingende Gründe gibt Schnizler
hierzu noch ein Gegenspiel zwischen Wegraths:
traumseliger Tochter Johanna und einem zweiten
Ichmenschen, der noch stärker in seinem Egois¬
mus ist, weil ihm das Temperament des
Künstlers abgeht. Das hysterische Mädchen
geht in den Tod, und der alternde Roue kürzt
den einsamen Weg, den er nun vor sich
sieht, gleichsalls ab. Zurück bleibt Weg¬
rath, der gute, zum Betrogenwerden ge
schaffene Alte, der vielleicht den Satz illustrieren
soll, daß die Harmlosen und Kurzsichtigen in
Leben wenigstens das wohlige Glück der Be¬
haglichkeit genießen, das den andern versagt ist.
Es sind trübselige Resümees und Verneinungen,
die Schnitzler diesmal aus seinem Werke zieht.
Und das paßt schlecht zu der gewohnten Liebe
zum Hellen, die der Wiener uns früher gezeigt hat.
Erich Petersson.