Leo Berg
Das moderne Drama löst sich mehr und mehr in Stimmung
und Bild auf. Es scheint jetzt seine letzten Entwicklungsphasen zu
durchlaufen. Und das ist gut, weil es sich so sehr bald selbst über
wunden haben wird. Es ist nicht unmöglich, daß es im Sterben
noch am schönsten sein wird, wie so viele Dinge, die im Leben unschön
sind und sich erst im Tode verklären. Ja schon ist es eine Etappe
weiter. Es ist gar nicht mehr auf dem Wege zu Bild und Lied, #
zu dem das realistische Zustandsdrama hinstrebt, sondern schon wieder
von Bild und Lied zum Drama. Die Werke von Maeterliuck,
Schnitzler, Withelm Schmidt=Vonn sind für diese Entwicklung gleich
bemerkenswert. Arthur Schnitzlers Schauspiel „Der ein¬
same Weg“ Berlin, S. Fischers Verlag), das im Berliner „Deutschen
Theater“ gespielt wird, ist offenbar durch zwei Bildvisionen konzi¬
viert worden. Und es ist weiter nichts, als daß den Figuren der
zbeiden Bilder (Szene 5 des ersten und Szene 1 des vierten Aktes)
die Worte und Schicksale von den Lippen genommen werden und
zu ihrer Erklärung und Weiterführung andere Szenen hinzugedichtet
werden mußten. Da sitzen am runden Gartentisch unter dem Baume
auf der Mitte der Bühne die Mitglieder der Familie Wegrath und
ihre Freunde; über den einzelnen Gesichtern liegt Herbststimmung,
vergangene Schuld, Lebenssucht und Resignation, Einsamkeit, Schick¬
sal und Tod, ein Bild, wie es Maeterlinck hinzustellen liebt, und
das anfängt, sich selbst zu erklären, erst andeutungsweise, dann sich
mehr und mehr selbst verratend. Bald werden sie einer nach dem
andern abfallen wie die Blätter des Baumes, unter dem sie sitzen.
Keiner wird den andern ganz verstanden, niemand sich völlig aus¬
gesprochen haben, ein letztes Rätsel werden sie vor einander ver¬
sinken. In ihrem Innern beginnt die schmerzliche Melodie ihres
Lebens zu tönen und vertönen, noch ehe es frei herausklingen konnte.
Das ist der kleinliche Zauber dieses Schauspiels: in das leise und
seltsam verschlingende Motiv aus Schnitzler selbst, aus Ibsen¬
Maeterlinck. d'Annunzio und Oskar Wilde anschlagen. Um es zu¬
erklären oder zu analysieren müßte ich eine große Novelle oder Ab¬
handlung schreiben. Ein starker dramatischer Grundakkord fehlt, es¬
ist überhaupt kein Drama, und das theatralisch Unmögliche dieses
verschwiegenen Gedichts ist, daß man jede Szene erst an seiner sehr
entfernten Stelle verstehen kann. Sein Grundmotiv aber ist die
Sehnsucht, jeder hat eine ausgesprochene Sehnsucht nach fernen
Zielen, die er nie erreichen wird, nach einer Sonne, die ihm
nicht scheinen soll. Die Reise des Stephan von Sala nach
Baktrien, die auch durch alle Akte zieht, die Träume Johannes nach
der „weiten Welt" und Liebe und Ruhm, die Hoffnung des Maler
Julian Fichtner (Anatol, der alt geworden) nach einem Sohn, die
Resignation des Professors Wegrath über die Grenzen seines
Könnens, die Trauer seiner Frau über ihre Lebenslage, ihres
Sohnes Felix Verlangen nach großen Erlebnissen, des Arztes Neu¬
mann heimliche Liebe zu Johanna, sie alle ziehen hin, eine stumme.
Elegie durch Stück und Gestalten. Alle müssen sie verzichten, das
Leben zieht immer an ihnen vorüber, „es ist, wie wenn jeden Tag¬
ene Schleier über sie herabsänken" und „das Wort, das eben ver¬
klang", ist schon wieder Erinnerung, der Ton einer Melodie, „ehe
das Lied geendet"; „alles flattert davon“ und keiner hat den andern
gekannt. Auch das große Sehnsuchtsmotiv der ewigen Wiederkunft
klingt mehrfach an. Alter und Einsamkeit, Impotenz und Mangel
an Mut und Rücksichtslosigkeit haben jeglichem von ihnen das Todes¬
zeichen auf die Stirn gedrückt. Aber die fallenden Schleier, die ver¬
ziehenden Melodien geben keine Technik plastischer Darstellung,
dramatischen Lebens, sondern nur die Stimmung nachträglicher
Wirkungen, einer erinnernden und kombinierenden Lyrik. Ich kenne
kaum ein Stück der Modernen, das so weit in Stpff und Mitteln
vom Dramatischen entfernt wäre. Und dennoch ist's ein interessantes
Werk und ein vornehmes Werk, aber Greisenkunst, gewissermaßen
schon das Epigonentum des dramatischen Realismus, das sich zu
Ibsen verhält, etwa wie Fitger zu Schiller. Unter den Hausdichtern
des „Deutschen Theaters“ scheint mir Schnitzler überhaupt der vor¬
nehmste zu sein, der literarisch nie so tief heruntergekommen ist, wie
mancher seiner glücklichen Kollegen und der selbst in seiner dramatischen
Ohnmacht noch zu fesseln vermag. Die größte Schwäche liegt hier
wie in so vielen realistischen Stücken in der Hauptgestalt Julian und
dem dritten Akt; hier auch noch in der Szenenverbindung, aber das
hängt zusammen mit der Entstehung des Dramas aus dem Bilde,
das hier nicht wie bei Ibsen und anderen zunächst Symbol ist,
sondern vielmehr wirklich ein dialogisiertes Gemälde. Die Darstel¬
lung war abgesehen von der Hauptgestalt im ganzen sehr fein und
stimmungsvoll. Albert Bassermann aber als Sala und Oskar
Sauer als Wegrath waren in Spiel und Maske von einer Fein¬
heit und Abgestimmtheit, daß man diese Gestalten fast auf der Bühne
hätte glauben können.
Das moderne Drama löst sich mehr und mehr in Stimmung
und Bild auf. Es scheint jetzt seine letzten Entwicklungsphasen zu
durchlaufen. Und das ist gut, weil es sich so sehr bald selbst über
wunden haben wird. Es ist nicht unmöglich, daß es im Sterben
noch am schönsten sein wird, wie so viele Dinge, die im Leben unschön
sind und sich erst im Tode verklären. Ja schon ist es eine Etappe
weiter. Es ist gar nicht mehr auf dem Wege zu Bild und Lied, #
zu dem das realistische Zustandsdrama hinstrebt, sondern schon wieder
von Bild und Lied zum Drama. Die Werke von Maeterliuck,
Schnitzler, Withelm Schmidt=Vonn sind für diese Entwicklung gleich
bemerkenswert. Arthur Schnitzlers Schauspiel „Der ein¬
same Weg“ Berlin, S. Fischers Verlag), das im Berliner „Deutschen
Theater“ gespielt wird, ist offenbar durch zwei Bildvisionen konzi¬
viert worden. Und es ist weiter nichts, als daß den Figuren der
zbeiden Bilder (Szene 5 des ersten und Szene 1 des vierten Aktes)
die Worte und Schicksale von den Lippen genommen werden und
zu ihrer Erklärung und Weiterführung andere Szenen hinzugedichtet
werden mußten. Da sitzen am runden Gartentisch unter dem Baume
auf der Mitte der Bühne die Mitglieder der Familie Wegrath und
ihre Freunde; über den einzelnen Gesichtern liegt Herbststimmung,
vergangene Schuld, Lebenssucht und Resignation, Einsamkeit, Schick¬
sal und Tod, ein Bild, wie es Maeterlinck hinzustellen liebt, und
das anfängt, sich selbst zu erklären, erst andeutungsweise, dann sich
mehr und mehr selbst verratend. Bald werden sie einer nach dem
andern abfallen wie die Blätter des Baumes, unter dem sie sitzen.
Keiner wird den andern ganz verstanden, niemand sich völlig aus¬
gesprochen haben, ein letztes Rätsel werden sie vor einander ver¬
sinken. In ihrem Innern beginnt die schmerzliche Melodie ihres
Lebens zu tönen und vertönen, noch ehe es frei herausklingen konnte.
Das ist der kleinliche Zauber dieses Schauspiels: in das leise und
seltsam verschlingende Motiv aus Schnitzler selbst, aus Ibsen¬
Maeterlinck. d'Annunzio und Oskar Wilde anschlagen. Um es zu¬
erklären oder zu analysieren müßte ich eine große Novelle oder Ab¬
handlung schreiben. Ein starker dramatischer Grundakkord fehlt, es¬
ist überhaupt kein Drama, und das theatralisch Unmögliche dieses
verschwiegenen Gedichts ist, daß man jede Szene erst an seiner sehr
entfernten Stelle verstehen kann. Sein Grundmotiv aber ist die
Sehnsucht, jeder hat eine ausgesprochene Sehnsucht nach fernen
Zielen, die er nie erreichen wird, nach einer Sonne, die ihm
nicht scheinen soll. Die Reise des Stephan von Sala nach
Baktrien, die auch durch alle Akte zieht, die Träume Johannes nach
der „weiten Welt" und Liebe und Ruhm, die Hoffnung des Maler
Julian Fichtner (Anatol, der alt geworden) nach einem Sohn, die
Resignation des Professors Wegrath über die Grenzen seines
Könnens, die Trauer seiner Frau über ihre Lebenslage, ihres
Sohnes Felix Verlangen nach großen Erlebnissen, des Arztes Neu¬
mann heimliche Liebe zu Johanna, sie alle ziehen hin, eine stumme.
Elegie durch Stück und Gestalten. Alle müssen sie verzichten, das
Leben zieht immer an ihnen vorüber, „es ist, wie wenn jeden Tag¬
ene Schleier über sie herabsänken" und „das Wort, das eben ver¬
klang", ist schon wieder Erinnerung, der Ton einer Melodie, „ehe
das Lied geendet"; „alles flattert davon“ und keiner hat den andern
gekannt. Auch das große Sehnsuchtsmotiv der ewigen Wiederkunft
klingt mehrfach an. Alter und Einsamkeit, Impotenz und Mangel
an Mut und Rücksichtslosigkeit haben jeglichem von ihnen das Todes¬
zeichen auf die Stirn gedrückt. Aber die fallenden Schleier, die ver¬
ziehenden Melodien geben keine Technik plastischer Darstellung,
dramatischen Lebens, sondern nur die Stimmung nachträglicher
Wirkungen, einer erinnernden und kombinierenden Lyrik. Ich kenne
kaum ein Stück der Modernen, das so weit in Stpff und Mitteln
vom Dramatischen entfernt wäre. Und dennoch ist's ein interessantes
Werk und ein vornehmes Werk, aber Greisenkunst, gewissermaßen
schon das Epigonentum des dramatischen Realismus, das sich zu
Ibsen verhält, etwa wie Fitger zu Schiller. Unter den Hausdichtern
des „Deutschen Theaters“ scheint mir Schnitzler überhaupt der vor¬
nehmste zu sein, der literarisch nie so tief heruntergekommen ist, wie
mancher seiner glücklichen Kollegen und der selbst in seiner dramatischen
Ohnmacht noch zu fesseln vermag. Die größte Schwäche liegt hier
wie in so vielen realistischen Stücken in der Hauptgestalt Julian und
dem dritten Akt; hier auch noch in der Szenenverbindung, aber das
hängt zusammen mit der Entstehung des Dramas aus dem Bilde,
das hier nicht wie bei Ibsen und anderen zunächst Symbol ist,
sondern vielmehr wirklich ein dialogisiertes Gemälde. Die Darstel¬
lung war abgesehen von der Hauptgestalt im ganzen sehr fein und
stimmungsvoll. Albert Bassermann aber als Sala und Oskar
Sauer als Wegrath waren in Spiel und Maske von einer Fein¬
heit und Abgestimmtheit, daß man diese Gestalten fast auf der Bühne
hätte glauben können.