II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 175

18. Der einsane Neg box 23/1
Kunstberichte.
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hängt der zuständige Driester über die gottlose Frevlerin die Disziplinar¬
strafe grausamer Züchtigung. Die Schwestern schleppen die Tempel¬
schänderin vor den Altar zum frommen Drügelschmaus da begibt sich
das Rosenwunder, nach dem sich vor Jahresfrist das Berliner Blumen¬
medium für ihre Gerichtsverhandlung gewiß schmerzlich gesehnt hat: Engel¬
stimmen singen das Ave, die Kirche glüht auf in magischem Licht, aus
Wunderblumen brechen Lichtbüschel, von den Wölbungen rieseln Blüten.
Die Dippoldischen Schergen aber berichten: Palmen flammten an den
Riemen, Lilien sproßten an den Ruten, lebendige Rosengewinde befreiten
sie, Beatrix ist heilig, der Himmel hat gesprochen. — Das Schlußbild zeigt
Maria am alten Platz, als Statue. Ein Wintermorgen dämmert. Die
einst entflohene Nonne schleppt sich an den Fuß des Bildes, gebrochen,
besudelt, versunken in Schande und Elend; eine Sterbende. „Liebe und
Sünde und alles was die Menschen Glück nennen,“ haben sie in den fünf¬
undzwanzig Jahren so zugerichtet. „Ich bin allem preisgegeben,“ beichtet
sie verzweifelt den Schwestern, „denn sie haben alles gebrochen in meinem
Körper und in meiner Seele. Alle Männer nacheinander entweihten diesen
Leib, der seinem Gott abtrünnig worden.. Ich habe meine Kinder
nicht mehr; die drei schönsten starben, als ich nicht mehr schön war.
Und das letzte habe ich eines Nachts getötet, als der Wahn mich er¬
faßte, daß es nicht mehr leiden sollte. And andere, die geboren werden
sollten, sind nicht zur Welt gekommen. And die Sonne schien weiter, die
Sterne schienen wieder, die Gerechtigkeit schlief“. Man tröstet die Heilige,
in deren wirren Reden man teuflische Anfechtungen vor dem Sterben erblickt
— hat doch ihr segenspendender Diene seit dem Wundertage das Kloster
nicht verlassen; in seligen Todesschlaf sinlend, haucht die reuige Dirne: „Ich
lebte in einer Welt, wo ich nicht wußte, was Haß und Bosheit wollten,
und ich sterbe in einer andern, in der ich nicht fasse, wo Güte und Liebe
hinauswollen.“ Mariens Pfalm schwebt über ihrem Grabe:
Alle Schuld wird zunichte
Vor der Liebe Gebet;
Keine Seele kann sterben,
Die weinend gefleht.
Verirrt sich die Liebe
Im irdischen Geheg,
So finden die Tränen
Zu mir ihren Weg.
Das Neue Theater, das unter Max Reinhardts mustergültiger
Leitung mit dem ihm verbundenen Kleinen Theater jetzt unbestritten an der
Spitze aller Berliner Bühnen marschiert, kam den sublimen Intentionen des
Dichters mit feinstem Verständnis entgegen und schuf einen vieltönigen,
durchaus harmonischen Kunstgenuß. Neuis Corinth sorgte für die malerische,
Max Marschalk für die musikalische Ausstattung, und Agnes Sorma fand
sich an der Doppelrolle der Madonna und der Nonne zu der hohen schlichten
Kunst ihrer früheren Tage zurück, ehe sie sich durch nervenmörderische Gast¬
spielreisen schwer gefährdete. Das liebende Mädchen, die göttliche Dienerin,
die sterbende Sünderin waren vor uns lebendig, gefüllt mit Wahrheit und
übergoldet von himmlischer Leuchtkraft. Zumal der mittlere Akt bleibt ein
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Berliner Theaterkunst.
Fest in der Erinnerung. Man kann einwenden gegen Maeterlinck: sieh' auf
Gottfr. Keller; dort knieen acht wehrhafte Männer vor der Madonna, ihren
Segen zu erbitten zum heiligen Krieg, zu dem sie gerüftet sind, die Frucht
des Irrganges der Nonne mit dem Ritter und der leibhafte Erweis, daß
Maria hier nicht umsonst die Vakanz ausgefüllt — Gottesstreiter, das
Kreuz zu schützen! Was hilft bei dir Mariens Dienst? Maeterlinck würde
antworten: Die Poesie hat die einzige Aufgabe, die Zugänge offen zu halten,
die vom Sichtbaren ins Ansichtbare hinüberführen, sie ist die zum Weiter¬
führen des Lebens verleitende Macht. Was ist klein, was groß? Das
Unscheinbare ist das Gewichtige, die Seele ist mehr als der Leib, und in
allem, das geschieht, ist Licht ...
Otto Julius Bierbaum, der reimfrohe Poet des Klingklangglori¬
busch, hat ein vieraktiges Schauspiel: Stella und Antonie im Berliner
Teater herausgebracht, das, falls es überhaupt etwas meint, die These
versicht: Die Natur eines Menschen bricht immer wieder durch alle Be¬
mühungen der sogenannten Kultur # ndurch; umsonst, ihr eine seine Livree
anzulegen; kommt ihre Stunde, so läuft sie hemdsärmlich aus dem Schloß
auf die Straße bei tollstem Anwetter; übrigens gibt es Zigennerblut nicht
nur im niederen Volke, es rollt auch gräflich durch die Adern, da wo man
Seide und Spitzen trägt. Diese durch ihre Neuheit nicht gerade überraschende
Weisheit ist in ein romantisches Komödiantenabenteuer gesteckt worden.
Bei einem gräflichen Verlobungsfest in Schlesien — Anfang des 18. Jahr¬
hunderts — spielt eine wandernde Schauspielertruppe. Ihr Direktor Johann
Cyristian, dem soeben sein ungetreues Weib Stella mit dem Souffleur durch¬
gegangen ist, soll das Begrüßungscarmen sprechen; in ihm ist alles im Auf¬
ruhr. Wie ihn dann noch die Komtesse Antonie durch ungezogene Zwischen¬
rufe bei seinem Vortrag stört, verliert er vollends die klare Besinnung; die
gräfliche Braut erscheint ihm als seine treulose Frau, ihr wirft er seinen
Haß in einer glühenden Improvisation ins Gesicht, ja er springt ihr an die
Kehle. Der andere Morgen: Vor den Fenstern der Beleidigten soll der
Missetäter ausgepeitscht werden, ehe er ins Gefängnis wandert. Schon
pfeift der Ochsenziemer durch die Luft, da läßt Antonie den Schelm los¬
binden und zu sich führen. Ihr standesgemäßer Bräutigam, dem sie seit
zehn Jahren zugedacht ist, ist ein fader Tropf, der sie „fatiquiert“; da sie
von einer ziemlich entwickelten Edelfäule ist und klug dazu, will sie zum
Ersatz den wilden Naturburschen sich zähmen. Der der Rechtswissenschaft
aus Liebe zur Natur und zum Spiel entlaufene Komödiant läßt sich von
der blaublütigen Komödiantin einfangen; sie vergnügt sich mit ihm in den
verschwiegenen Gängen ihres Parks, während er als ihr Kammerdiener im
Salon den. Herrschaften mit Kaffee und Stachelversen von Hoffmannswaldau
aufwartet. Bis eines Tags Stella auf der Bildfläche erscheint und sich mit
ihren Liedern, die Johann ihr einst gedichtet, ihm wieder in die Arme singt
und tanzt. Er wirft den Zwang von sich und trägt seine wilde Katze jubelnd
in die Freiheit. Trübselig endigt die Geschichte: Der vielseitige Johann ist
wieder bei seiner Truppe, er säuft und Stella keift. Der Feuerkopf ist
eine Ruine. Antonie, die ihren vertrottelten Grafen richtig geheiratet hat,
kommt auf der Hochzeitsreise durch das Dorf, in dem die Truppe zur Kirmes
aufspielt. Stella schnurrt die einstige Nebenbuhlerin an, Johann winselt vor
ihr, sie geht mit kaltem Lächeln an der Gruppe vorbei. Johann Christian ersticht