II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 174

18. Der einsane Neg box 23/1
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Berliner Theakerkunst.
Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte? Haben wir je gezögert, anständige
Menschen zu betrügen oder zu belügen, wenn wir dadurch um eine Stunde
des Glücks oder der Lust reicher werden konnten? Haben wir je unsere
Ruhe oder unser Leben aufs Spiel gesetzt, nicht aus Laune oder Leichtsinn,
nein, um das Wohlergehen eines Wesens zu fördern, das sich uns gegeben
hatte? And glauben Sie, daß wir von einem Menschen irgend etwas zurück¬
fordern dürfen, ein Stück von unserem Wesen, das wir wirklich an ihn
verloren hätten, ohne uns gleich dafür bezahlt zu machen? Wir haben die
Türen offen stehen und unsere Schätze sehen lassen — aber Verschwender
sind wir nicht gewesen. Ich bin etwas weniger wehleidig als Sie, das ist
der ganze Unterschied. In unserer tiefsten Seele wußten wir immer, woran
wir mit uns waren.“
Der alternde Wegrath ist der Altruist in der Gedankendichtung. Er hat
von den treibenden Kräften in den Mitgliedern seines Hauses so gut wie
nichts gewußt, er ging seinen Weg der redlichen, aber philiströsen Pflicht¬
erfüllung. So brechen die Scheinstützen seines häuslichen Glückes ihm jäh¬
lings zusammen. Doch bei aller Hilflosigkeit den Verflechtungen des Lebens
gegenüber hat sein Herz ohne Arg den Seinen und den Menschen gehört;
so erwächst ihm auf dem Grabe seiner stolzesten Hoffnungen der Freund in
dem, den er fälschlich für seinen Sohn hielt: Felix tritt verstehend an seine
Seite, und wie Balsam legt sich die verehrende Liebe des jungen Mannes
ihm auf die Wunde; „müssen solche Dinge geschehen, daß mir dieses
Wort Vater! klingt, als hört ichs zum erstenmal?“
Die sorgsam vorbereitete Aufführung des Deutschen Theaters hatte
ihren Höhepunkt in den Leistungen von Bassermann als Sala und in der
Episodenrolle von Else Lehmann als Irene Herms.
Maeterlinck ist der Poet der Träume und der Stimmungen, wie er
der Philosoph des Schweigens ist. In dem Singspiel Schwester Beatrix
hat der vlämische Dichter einen sinnigen Legendenstoff des Mittelalters in
drei dramatische Bilder zusammenzufassen versucht, deren Inhalt bekannt ist
aus Gottfried Kellers in heiteres Verstehen getauchter Novelle von der
Nonne, ihrem kräftigen Ritter Wunnebald und der gnadenreichen Gottes¬
mutter, die den Schaden heilt. Bei Maeterlinck ist es ein Prinz Bellidor,
der die Geliebte bei Nacht aus ihrer Zelle entführt auf feurigen Rossen in
den Glanz des freien Lebens. Vergeblich ringt Beatrix an gegen den
Sturm in ihrer Seele, bis sie der Mutter Gottes, der sie ihr heißes Gebet
ausschüttet, Mantel und Schleier, Rosenkranz und Geißel auf das Gitter
ihrer Statue breitet mit dem Seufzer: „Heilige Frau, du weißt alles und
ich weiß nichts. Steht es dort oben geschrieben, daß nichts verziehen wird
daß die Liebe verdammt ist und daß man sie nicht büßen kann? Ich bin
nicht verloren, wenn du nicht willst.“
Maria steigt huldreich vom Sockel und dient im Kloster als Schwester
Beatrir, den Armen Gutes erweisend im Namen dessen, der „das Böse
nicht ansieht, das ohne Haß geschieht“. Doch die Nonnen meinen es anders:
wie das Madonnenbild, des Klosters Heiligkum, am Morgen vermißt wird,
zieht die Abtissin die vermeintliche Beatrix zur Rechenschaft, und da unter
der grauen Klostertracht Mariens seidene Gewänder und die kostbaren Ju¬
welen am Goldgürtel hervorleuchten, mit denen nach spanischem Muster die
fromme Andacht des 13. Jahrhunderts die Madonnenstatue bekleidet, so ver¬