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18. Der einsane
deg
Ein Kleeblatt der neuesten Dramen.
538
aber dennoch nicht zu seinem leiblichen Vater stellt, sondern zu dem greisen, guten
Manne, der ihn erzogen hat. Daneben geht einen einsamen Weg des Hauses
Tochter, die mit einer Art zweiten Gesichts behaftet ist; sie verliert ihr Herz an
einen blasierten Egoisten, dessen nahen Tod infolge fortschreitenben Herzleidens
sie voraussieht — und ertränkt sich im Teiche seiner Villa. Es besteht keine
organische Verbindung zwischen den beiden Handlungen, nur eine Art Personal¬
union, weil sich's eben um eine Familie dreht. Der alte gute Professor steht
am Ende ganz allein, seinen einsamen Weg zu gehen. Die anderen Personen
scheiden eine nach der anderen aus; größtenteils durch den erfolgten oder
nahenden Tod; und man fragt sich, ob sie eigentlich einen anderen Zweck
hatten, als den, das sein ausgearbeitete Filigran ihrer sauber gegeneinander ab¬
gestimmten Charaktere zu zeigen. Damit nähert sich das Stück der Richtung
Gerhart Hauptmanns in bedenklicher Weise. Die bei allem Tiefsinn grandiose
dramatische Wucht des Nordländers vermißt man um so schmerzlicher, weil man
sonst an allen Ecken und Enden an ihn erinnert wird.
Bernard Shaw ist ein ganz anderer Kerl. Er teilt sich mit Pinero
in die Pflicht, den Londoner Theatern alljährlich neue Stücke zu liefern, wie
es in Berlin Blumenthal, Schönthan und ähnliche Geschäftsleute besorgen. Wie
diese sich in den letzten Jahren genötigt sahen, historische Anekdoten aufzugreifen
man denke an den wilden Reutlingen, Maria Theresia und ähnliche Kostüm¬
lustspiele — so packt auch der Engländer mit kühner Hand einen Großen der
Weltgeschichte an und bietet eine Komödie in einem Aufzug, „Der Schlachten¬
lenker“s) geheißen. Es ist wirelich eine Komödie im vollsten Sinne. Der
Dichter spielt Komödie mit seinen Gestalten wie mit dem Publikum, und die
Personen unter sich spielen Komödie miteinander. Nur in der Komödie können
sich General und Leutnant gegenseitig so behandeln, wie es hier geschieht, und
die Dame aus Paris, die alle möglichen Verkleidungen bei der Hand zu haben
scheint, ist Komödiantin durch und durch. Als Komödiant wird der Sieger von
Lodi hingestellt, der junge Napoleon; in flachem Komödienspiele ringt er mit
der Dame um seine Depeschen und um die Briefe, die sein Weib in Paris
kompromittieren — hin und wieder blitzt sein Genie auf; aber das Komödien¬
spiel gewinnt immer wieder die Oberhand bis zur Farce. Am Ende wird der
böse Brief verbrannt. „Als er verkohlt, tauchen sie beide gleichzeitig ihre Blicke
ineinander und sehen sich lange verlangend in die Augen. — Der Vorhang
schleicht langsam herab und versteckt sie.“
Auch ein Nachspiel also ist angedeutet. Das Ding hat aber auch das
von der Komödie, daß es lustig ist — und zudem ist Shaw ein Englishman,
der zum erstenmale auf den deutschen Bühnen erscheint — Grund genug für
viele Leute, den Komödienschreiber ernst zu nehmen.
Lieber Himmel — käme doch mal wieder ein Poet, der jeden zwingt,
ihn ernst zu nehmen. Das bringen diese drei sämtlich nicht zustande.
*) Deutsch von Siegfried Trebitsch. Berlin 1904, S. Fischer. 8°. 100 S.
Samarit
Unbewußt, mit sicherem Tritt,
Eilend dahin schritt Samarith,
Glaube und Hoffnung Ihm zugen
Ihm zugestreckt die flehende Hand
Nach Ihm gekehrt das Angesicht,
Jetzt Seiner gewahr und wieder
Ob zitternd auch oft die Kraft ihl
Und verzweifelt an den festen Str
Ihr kühner Werber zurück sie rief
Vom Schwall erfaßt und schon bezwu
Doch wieder mit einem letzten Sch
Und wieder über die Wasser schrit
Mit den schwachen Füßen Samar
Glaube und Hoffnung ihm zugew
and
Ihm zug
Nach
Der
18. Der einsane
deg
Ein Kleeblatt der neuesten Dramen.
538
aber dennoch nicht zu seinem leiblichen Vater stellt, sondern zu dem greisen, guten
Manne, der ihn erzogen hat. Daneben geht einen einsamen Weg des Hauses
Tochter, die mit einer Art zweiten Gesichts behaftet ist; sie verliert ihr Herz an
einen blasierten Egoisten, dessen nahen Tod infolge fortschreitenben Herzleidens
sie voraussieht — und ertränkt sich im Teiche seiner Villa. Es besteht keine
organische Verbindung zwischen den beiden Handlungen, nur eine Art Personal¬
union, weil sich's eben um eine Familie dreht. Der alte gute Professor steht
am Ende ganz allein, seinen einsamen Weg zu gehen. Die anderen Personen
scheiden eine nach der anderen aus; größtenteils durch den erfolgten oder
nahenden Tod; und man fragt sich, ob sie eigentlich einen anderen Zweck
hatten, als den, das sein ausgearbeitete Filigran ihrer sauber gegeneinander ab¬
gestimmten Charaktere zu zeigen. Damit nähert sich das Stück der Richtung
Gerhart Hauptmanns in bedenklicher Weise. Die bei allem Tiefsinn grandiose
dramatische Wucht des Nordländers vermißt man um so schmerzlicher, weil man
sonst an allen Ecken und Enden an ihn erinnert wird.
Bernard Shaw ist ein ganz anderer Kerl. Er teilt sich mit Pinero
in die Pflicht, den Londoner Theatern alljährlich neue Stücke zu liefern, wie
es in Berlin Blumenthal, Schönthan und ähnliche Geschäftsleute besorgen. Wie
diese sich in den letzten Jahren genötigt sahen, historische Anekdoten aufzugreifen
man denke an den wilden Reutlingen, Maria Theresia und ähnliche Kostüm¬
lustspiele — so packt auch der Engländer mit kühner Hand einen Großen der
Weltgeschichte an und bietet eine Komödie in einem Aufzug, „Der Schlachten¬
lenker“s) geheißen. Es ist wirelich eine Komödie im vollsten Sinne. Der
Dichter spielt Komödie mit seinen Gestalten wie mit dem Publikum, und die
Personen unter sich spielen Komödie miteinander. Nur in der Komödie können
sich General und Leutnant gegenseitig so behandeln, wie es hier geschieht, und
die Dame aus Paris, die alle möglichen Verkleidungen bei der Hand zu haben
scheint, ist Komödiantin durch und durch. Als Komödiant wird der Sieger von
Lodi hingestellt, der junge Napoleon; in flachem Komödienspiele ringt er mit
der Dame um seine Depeschen und um die Briefe, die sein Weib in Paris
kompromittieren — hin und wieder blitzt sein Genie auf; aber das Komödien¬
spiel gewinnt immer wieder die Oberhand bis zur Farce. Am Ende wird der
böse Brief verbrannt. „Als er verkohlt, tauchen sie beide gleichzeitig ihre Blicke
ineinander und sehen sich lange verlangend in die Augen. — Der Vorhang
schleicht langsam herab und versteckt sie.“
Auch ein Nachspiel also ist angedeutet. Das Ding hat aber auch das
von der Komödie, daß es lustig ist — und zudem ist Shaw ein Englishman,
der zum erstenmale auf den deutschen Bühnen erscheint — Grund genug für
viele Leute, den Komödienschreiber ernst zu nehmen.
Lieber Himmel — käme doch mal wieder ein Poet, der jeden zwingt,
ihn ernst zu nehmen. Das bringen diese drei sämtlich nicht zustande.
*) Deutsch von Siegfried Trebitsch. Berlin 1904, S. Fischer. 8°. 100 S.
Samarit
Unbewußt, mit sicherem Tritt,
Eilend dahin schritt Samarith,
Glaube und Hoffnung Ihm zugen
Ihm zugestreckt die flehende Hand
Nach Ihm gekehrt das Angesicht,
Jetzt Seiner gewahr und wieder
Ob zitternd auch oft die Kraft ihl
Und verzweifelt an den festen Str
Ihr kühner Werber zurück sie rief
Vom Schwall erfaßt und schon bezwu
Doch wieder mit einem letzten Sch
Und wieder über die Wasser schrit
Mit den schwachen Füßen Samar
Glaube und Hoffnung ihm zugew
and
Ihm zug
Nach
Der