II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 200


18. Der einsane Jeg box 23/2
aber im wesentlichen nur ein Verhältnis, im Stücke selber spielen mehrere
und unter sich verschiedene Entwicklungen durch= und miteinander — wer
das Stück liest, wird auch nach Kenntnis unsrer Proben noch viel Neues
in ihm finden. Wir empfehlen's als eine besonders feine „Reiselektüre“.
Julian, Sala.
Sala: Haben Sie denn noch niemanden gesehen?
Julian: Niemanden. Ich hab' auch nur Ihnen geschrieben, daß ich
da bin.
Sala: Also Sie waren noch nicht bei Wegraths?
Julian: Nein. Ich zögre sogar hinzugehen.
Sala: Wie?
Julian: Man sollte eigentlich in gewissen Jahren die Orte gar
nicht mehr betreten, in denen man jüngere Tage verbracht hat. Man findet
die Dinge und Menschen selten so wieder, wie man sie verlassen. Nicht
wahr? — Frau Gabriele soll sich ja im Laufe ihrer Krankheit recht sehr
verändert haben. Felix sprach mir wenigstens davon. Ich möchte es am
liebsten vermeiden, sie wiederzusehen. Das müssen Sie doch verstehen, Sala.
Sala (etwas befremdet): Natürlich versteh' ich das. Wie lang haben
Sie denn keine Nachricht aus Wien gehabt?
Julian: Ich bin meinen Briefen immer vorausgereist. Seit vier¬
zehn Tagen hat mich keiner eingeholt. (Betreten.) Was gibt's denn?
Sala: Frau Gabriele ist vor etwa acht Tagen gestorben.
Julian: Ol (Er ist sehr bewegt, geht im Zimmer hin und her, dann
setzt er sich nieder und sagt nach einer Pause:) Man mußte wohl darauf
gefaßt sein, und doch ...
Sala: Sie starb einen sanften Tod, — wie die andern Leute ja
immer so bestimmt wissen. Immerhin, sie ist eines Abends ruhig ent¬
schlummert und nicht wieder erwacht.
Julian (sehr leise): Arme Gabriele! — Haben Sie sie in der letzten
Zeit gesehen?
Sala: Ja. Ich kam beinahe täglich hin.
Julian: So?
Sala: Johanna hat mich darum gebeten. Sie hat sich nämlich ge¬
radezu gefürchtet, mit ihrer Mutter allein zu sein.
Julian: Gefürchtet?
Sala: Sie hatte eine Art Grauen vor der kranken Frau. Jetzt ist
sie eher ruhiger.
Julian: Seltsames Geschöpf . .. — Und unser Freund, der Pro¬
fessor, wie trägt er den Verlust? Gottergeben, nicht wahr?
Sala: Lieber Julian, der Mann hat einen Beruf. Ich glaube, wir
können das gar nicht fassen, die wir von Gnaden des Augenblicks Götter
— und zuweilen etwas weniger als Menschen sind.
Julian: Felix ist natürlich noch hier?
Sala: Ich sprach ihn erst vor einer Stunde und teilte ihm mit, daß
Sie da wären. Er hat sich sehr gefreut, daß Sie ihn in Salzburg besucht
haben.
Julian: Das schien mir so. Und es hat mir sehr wohl getan. Ich
trage mich übrigens mit der Idee, in Salzburg Aufenthalt zu nehmen.
Sala: Für immer?
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2. Juliheft 1904