II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 207

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Sam
18. Der ein. Neg
und Enkel um Sie lebten, wären Sie es nicht? . .. Und wenn Sie sich
Ihren Reichtum, Ihren Ruhm, Ihr Genie bewahrt hätten, — wären Sie
es nicht? ... Und wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet — den
Weg hinab gehen wir alle allein ... wir, die selbst niemandem gehört
haben. Das Altern ist nun einmal eine einsame Beschäftigung für unser¬
einen, und ein Narr, wer sich nicht beizeiten darauf einrichtet, auf keinen
Menschen angewiesen zu sein.
Julian: Und Sie, Sala, Sie glauben, daß Sie keines Menschen
bedürfen?
Sala: So, wie ich sie gebraucht habe, werden sie mir jederzeit zu
Gebote stehen. Ich bin stets für gemessene Entfernungen gewesen. Daß es
die andern nicht merken, ist nicht meine Schuld.
Julian: Da haben Sie allerdings recht, Sala. Sie haben nie ein
Wesen auf Erden geliebt.
Sala: Möglich. Und Sie? So wenig, Julian, wie ich . .. Lieben
heißt, für jemand andern auf der Welt sein. Ich sage nicht, daß es ein
wünschenswerter Zustand sei, aber jedenfalls, denke ich, wir waren beide
sehr fern davon. Was hat das, was unsereiner in die Welt bringt, mit
Liebe zu tun? Es mag allerlei Lustiges, Verlogenes, Zärtliches, Gemeines,
Leidenschaftliches sein, das sich als Liebe ausgibt, — aber Liebe ist es
doch nicht ... Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere
Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte? ... Haben
wir je gezögert, anständige Menschen zu betrügen oder zu belügen, wenn
wir dadurch um eine Stunde des Glücks oder der Lust reicher werden
konnten?... Haben wir je unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel
gesetzt — nicht aus Laune oder Leichtsinn ... nein, um das Wohlergehen
eines Wesens zu fördern, das sich uns gegeben hatte? ... Haben wir je
auf ein Glück verzichtet, wenn dieser Verzicht nicht wenigstens zu unserer
Bequemlichkeit beigetragen hätte? . .. Und glauben Sie, daß wir von einem
Menschen — Mann oder Weib — irgend etwas zurückfordern dürften, das
wir ihm geschenkt hatten? Ich meine keine Perlenschnur und keine Rente
und keine wohlfeile Weisheit, sondern ein Stück von unserm Wesen —
eine Stunde unseres Daseins, das wir wirklich an sie verloren hätten,
ohne uns gleich dafür bezahlt zu machen, mit welcher Münze immer. Mein
lieber Julian, wir haben die Türen offenstehen und unsere Schätze sehen
lassen — aber Verschwender sind wir nicht gewesen. Sie so wenig wie
ich. Wir können uns ruhig die Hände reichen, Julian. Ich bin etwas
weniger wehleidig als Sie, das ist der ganze Unterschied. — Aber ich
erzähle Ihnen ja da nichts Neues. Sie wissen das alles geradesogut wie ich.
Es gibt ja für uns gar keine Möglichkeit, uns nicht zu kennen; wir geben
uns wohl zuweilen redliche Mühe, uns über uns selbst zu täuschen, aber
es gelingt uns nicht. Andern mögen unsere Torheiten, unsere Niederträchtig¬
keiten verborgen bleiben, — uns selber nie. In unserer tiefsten Seele wissen
wir immer, woran wir mit uns sind. — Es wird kühl, Julian, gehen wir
ins Zimmer.
K