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18. Der einsane Neg box 23/2
S
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Kleines Feuilleton.
Frankfurter Stadttgcarer.
Erstaufführung von Schnitzler's Einsamer
Weg im Schauspielhause.
*Schrecklich, diese „Neuheit“! Der reine dramatische
Friedhof! Fast jeder der sprechenden (nicht handelnden) Per¬
sonen ist eine Art Todtengräber, der in seinen begrabenen Er¬
innerungen wühlt und uns davon erzählt. Und das muß man
fünf geschlagene Akte lang aushalten — manche Besucher sol¬
len nicht die Ausdauer dazu gehabt haben! — während man
vergeblich auf eine dramatische Erlösung hofft. Kranke Men¬
schen, die Eine so krank, daß sie zwischen dem ersten und zweiten
Akt stirbt und verschwindet, hysterische Mädchen, Aerzte, von
denen man nicht weiß, wozu sie wenigstens im Stück da sind
— man soll es freilich auch sonst manchmal nicht wissen —, ein
genial verlumpter Maler, der allerdings das Glück hat, immer
noch so viel Geld zu besitzen, daß er sich sehr anständig kleiden
kann, und unter diesen Allen zwei oder drei normale Mnschen,
eine fesche frühere Schauspielerin, ein bedeutungsloser Lieute¬
nant, ein ergrauter Akademiedirektor: das sind die Personen
des Einsamen Wegs von Schnitzler, der uns bisher eine Reihe
so niedlicher und gehaltvoller Einakter geliefert hat. Haupt¬
fabel des Schauspiels ist, daß der natürliche Sohn des Malers,
der bis zu seinem 23. Jahre als das Kind des Akademiedirek¬
tors geholten hat, sich zum Vater schlägt, der ihn erzogen hat,
nicht zu dem, der ihn gezeugt hat, zumal dieser seine Mutter
einst feige verließ. Aber das ist ein beinahe so selbsiverständ¬
licher und in 23jährigen Einwirkungen so tief begründeter
Vorgang, daß es sich doch nicht lohnt, deshalb ein Stück mit
all' dem unechten Ibsen=Wirrwarr darum zu schreiben. In
einer Novelle für Feinschmecker mochte Schnitzler all' die Reue¬
und die Geyclmnißthuerei sich vom Herzen dichten, die diese
Personen auskramen, weil sie einst gewissen= und ge¬
dankenlos waren und sich nicht um ihre Kinder küm¬
merten. Die Novelle würde vielleicht gelesen werden.
Einige feine Worte in ihr würden vielleicht auch ge¬
schätzt werden, weil sie dann verstanden würden, wah¬
reud sie jetzt bei dem Houchtone, den unsere Künstler
am Samstag Abend offenbar einhalten mußten um dem
Stück das falsche Aussehen einer abgrundtiefen Offenbarung
zu geben, mit der Hälfte des Stückes völlig unverslanden zu
Boden fallen. Wie haben wir unsere Kinstler bedauert!
Frl. Pollner in einer für sie ganz unmöglichen, Herr
Pfeil, Frl. Boch und Herr Fricke in ganz schemenhaften
oder bedeutungslosen Rollen. Die Herren Bolz, Bauer
und Kirch aber, Jeder beladen mit dem Fluch der Aufgabe,
aus fortwährend nur schwatzenden Personen interessante Cha¬
rakterfiguren machen zu sollen, was natürlich wieder nur Herr
Bauer mit einigem Glück fertig brachte. Frl. Lange hatte
neben ihm das beste Loos gezogen und konnte in der einzigen
dramatischen Szene des Stückes, da, wo sie mit dem Maler
ihre alten Liebesabenteuer durchspricht, als flotte ehemalige
Schauspielerin drastisch wirken. Sonst aber Oede und
Grauen! Wie ist es nur möglich, daß sich unser Intendant!
schon wieder so gründlich vergriff? Das Publikum lehnte mit
Recht gründlich ab, theilweise durch direkten Widerspruch,
theilweise durch eisiges Schweigen, welches das bischen Bei¬
fall peinlich dünn erscheinen ließ. Man sollte unsere Theater¬
besucher ferner mit der Wiener Langeweile verschonen. Wenn
man sie aber noch aufführt, dann wenigstens so, daß man das
Aufgeführte wenigstens versteht. Die Akustik des Schauspiel¬
hauses vertrügt diesen leisen Flüsterton, der die Bühnenkon¬
versation unserer Künstler am Samstag beherrschte, nicht. Ist's!
schon Schlimmes, was uns diese „neue Kunst“ bietet, so wollen;
wir doch wenigstens vollständig wissen, was es ist, und nicht!
bei der Hälfte der Sätze nur Mundbewegungen der Künstler
sehen!
18. Der einsane Neg box 23/2
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Kleines Feuilleton.
Frankfurter Stadttgcarer.
Erstaufführung von Schnitzler's Einsamer
Weg im Schauspielhause.
*Schrecklich, diese „Neuheit“! Der reine dramatische
Friedhof! Fast jeder der sprechenden (nicht handelnden) Per¬
sonen ist eine Art Todtengräber, der in seinen begrabenen Er¬
innerungen wühlt und uns davon erzählt. Und das muß man
fünf geschlagene Akte lang aushalten — manche Besucher sol¬
len nicht die Ausdauer dazu gehabt haben! — während man
vergeblich auf eine dramatische Erlösung hofft. Kranke Men¬
schen, die Eine so krank, daß sie zwischen dem ersten und zweiten
Akt stirbt und verschwindet, hysterische Mädchen, Aerzte, von
denen man nicht weiß, wozu sie wenigstens im Stück da sind
— man soll es freilich auch sonst manchmal nicht wissen —, ein
genial verlumpter Maler, der allerdings das Glück hat, immer
noch so viel Geld zu besitzen, daß er sich sehr anständig kleiden
kann, und unter diesen Allen zwei oder drei normale Mnschen,
eine fesche frühere Schauspielerin, ein bedeutungsloser Lieute¬
nant, ein ergrauter Akademiedirektor: das sind die Personen
des Einsamen Wegs von Schnitzler, der uns bisher eine Reihe
so niedlicher und gehaltvoller Einakter geliefert hat. Haupt¬
fabel des Schauspiels ist, daß der natürliche Sohn des Malers,
der bis zu seinem 23. Jahre als das Kind des Akademiedirek¬
tors geholten hat, sich zum Vater schlägt, der ihn erzogen hat,
nicht zu dem, der ihn gezeugt hat, zumal dieser seine Mutter
einst feige verließ. Aber das ist ein beinahe so selbsiverständ¬
licher und in 23jährigen Einwirkungen so tief begründeter
Vorgang, daß es sich doch nicht lohnt, deshalb ein Stück mit
all' dem unechten Ibsen=Wirrwarr darum zu schreiben. In
einer Novelle für Feinschmecker mochte Schnitzler all' die Reue¬
und die Geyclmnißthuerei sich vom Herzen dichten, die diese
Personen auskramen, weil sie einst gewissen= und ge¬
dankenlos waren und sich nicht um ihre Kinder küm¬
merten. Die Novelle würde vielleicht gelesen werden.
Einige feine Worte in ihr würden vielleicht auch ge¬
schätzt werden, weil sie dann verstanden würden, wah¬
reud sie jetzt bei dem Houchtone, den unsere Künstler
am Samstag Abend offenbar einhalten mußten um dem
Stück das falsche Aussehen einer abgrundtiefen Offenbarung
zu geben, mit der Hälfte des Stückes völlig unverslanden zu
Boden fallen. Wie haben wir unsere Kinstler bedauert!
Frl. Pollner in einer für sie ganz unmöglichen, Herr
Pfeil, Frl. Boch und Herr Fricke in ganz schemenhaften
oder bedeutungslosen Rollen. Die Herren Bolz, Bauer
und Kirch aber, Jeder beladen mit dem Fluch der Aufgabe,
aus fortwährend nur schwatzenden Personen interessante Cha¬
rakterfiguren machen zu sollen, was natürlich wieder nur Herr
Bauer mit einigem Glück fertig brachte. Frl. Lange hatte
neben ihm das beste Loos gezogen und konnte in der einzigen
dramatischen Szene des Stückes, da, wo sie mit dem Maler
ihre alten Liebesabenteuer durchspricht, als flotte ehemalige
Schauspielerin drastisch wirken. Sonst aber Oede und
Grauen! Wie ist es nur möglich, daß sich unser Intendant!
schon wieder so gründlich vergriff? Das Publikum lehnte mit
Recht gründlich ab, theilweise durch direkten Widerspruch,
theilweise durch eisiges Schweigen, welches das bischen Bei¬
fall peinlich dünn erscheinen ließ. Man sollte unsere Theater¬
besucher ferner mit der Wiener Langeweile verschonen. Wenn
man sie aber noch aufführt, dann wenigstens so, daß man das
Aufgeführte wenigstens versteht. Die Akustik des Schauspiel¬
hauses vertrügt diesen leisen Flüsterton, der die Bühnenkon¬
versation unserer Künstler am Samstag beherrschte, nicht. Ist's!
schon Schlimmes, was uns diese „neue Kunst“ bietet, so wollen;
wir doch wenigstens vollständig wissen, was es ist, und nicht!
bei der Hälfte der Sätze nur Mundbewegungen der Künstler
sehen!