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nlanges glückliches Dasem führte. Erst, als sie tot ist, unternimmt es
Fichtner, seinen in der Ehe des Anderen geborenen Sohn als sein Kind in
Beschlag zu nehmen. Der wilde Don Juan von dazumal ist alt und
müde geworden und er
scheut
sich vor der Einsam¬
Nun
keit des ihm noch bevorstehenden Lebensweges.
möchte er ernten, wo er nicht gesät hat, die Liebe des
Sohnes gewinnen, den er vor der Geburt verstoßen hat. Aber die
Stimme des Blutes schweigt. Vater ist dem aufrechten Jüngling der
Mann, der sein „Vater“ war; ihm fühlt er sich nur noch inniger vereint
durch den späten Anspruch des „Fremden“. Der hier kurz in Anlage
und Lösung geschilderte Konflikt ist für das Drama nicht sehr ergiebig,
besonders nicht in der fast schüchtern diskreten Art der Schnitzlerschen
#Ausführung, aber doch einfach und menschlich wahr. Schlimmer stehr
ges um die zweite Situation des Stückes, die nicht aus der Vergangenheit
semporwächst, sondern lediglich der Gegenwart entspringt. Sie wird
sam stärksten geschädigt durch die Stizzenhaftigkeit der weiblichen Haupt¬
figur, deren hysterische Absonderlichkeiten eine breitere Ausführung der
Gestalt notwendig gemacht hätten, und durch die Seltsamkeit, daß Held
[Nummer zwei dem Helden Nummer eins verblüffend ähnlich sieht.
Diesmal ists freilich ein Dichter, kein Maler, ein Witwer, kein Jung¬
geselle. Aber die müde Blasiertheit, die stumpfe Resignation nach einem
allzureichlich genossenen Lebensmahle, den brutalen Egoismus und die
Lust an der selbstgefällig tönenden Phrase hat Herr von Sala mit Julian
Fichtner gemein. Schnitzler ist doch nicht Schöpfer genug, um diese
zwei ganz ähnlich angelegten Gestalten individuell verschieden auszu¬
bauen. So üben die Zwiegespräche der beiden gleichgestimmten Seelen,
trotzdem gerade hier der Dichter seine feinsten Philosopheme wie ein
Krösus des Geistes ausstreut, eine monotone Wirkung. Die Affäre des
Herrn von Sala, bei der wiederum ein junges Mädchen, eben unsere
kleine hysterische Seelenwanderungsgläubige und Mondscheintänzerin,
leiblichen Schaden nimmt, wird durch den Selbstmord der jungen
Dame beschlossen. Er findet nirgends eine Motivierung, sicherlich
nicht in dem Heiratsantrag, den ihr der Geliebte kurz zuvor gemacht hat.
Wir müssen den Gang ins Wasser hinnehmen als eine letzte Kaptize des
allzu kapriziösen Frauleins. Denn wenn auch der geliebte, ältere
Herr krank ist, so liegt ducy kein Grund für die romantische,
blutjunge Dame vor, das Leben freiwillig zu enden,
Ilange bevor jener es unfreiwillig enden muß. Dieser interessante
mit allen Reizen eines Romanhelden ausgestattete Herr von Sala ist
essicherlich der feinere, konsequentere Don Juan=Typus von den beiden
Genußmenschen des Stückes. Er präzisiert die Theorien des Einsam¬
keitsgefühles und Einsamkeitszwanges am klarsten und schärfsten. Er
ikennt auch keine gelegentlichen Rückfälle ins Sentimentale, wie Fichtner.
Er spricht prachtvoll — lauter Schnitzler=Gedanken — nur ist er leider
ein wenig Poseur, eine männliche Kokette des Weltschmerzes. Er sagt
seinmal zu Fichtner: „Er hat sich gut benommen, Ihr Sohn. „Wir werden
Unicht unter einem Zelte schlafen. Nicht übel! Das hätte mir ein¬
fallen können. Solch eine kleine Selbstbeweihräucherung in einer weh¬
Umütigen Stunde, da die letzten Schleier fallen, klingt doch recht fatal.
Alle diese Menschen mit ihren konstruierten Sensibilitäten, Theorien,
Hysterien und Philosophien haben zudem etwas ganz Unpersönliches,
stund sie würden dem Schauspiel den Stempel des Unerlebten aufdrücken,
wären nicht auch ein paar Leute da, vor deren gesunder Art die Atmo¬
sphäre krankhafter Dekadenz auf — leider nur zu kurze — Augenblicke
sentweicht. Da ist der Professor Wegrath, jener Brackenburg aus
Fichtners wilder Jugend, ein anständiger, tüchtiger, bescheidener „Kunst¬
beamter", ohne besondere Züge, aber gerade darum erfreulich schlicht
in dieser Umgebung barocker Gestalten, da ist Irene Herms, eine Schau¬
Ispielerin a. D., die sich mit der Liebe und dem Leben nach ihrer Art
tapfer abzufinden weiß. Sie erscheint mir wie eine veredelte Geistes¬
lverwandte des Schlager=Mizzi aus der „Liebelei", in der Schnitzler
noch nicht so ibsenisch kompliziert, wie heute, dafür aber so schnitzlerisch
liebenswürdig war. Sein jüngstes Drama wird mit seiner feingeistigen,
nervösen Art die achtungsvolle Anerkenung der Litteraten erzwingen,
aber das Publikum wird em Dichter auf seinen „Einsamen Weg“
Inicht folgen wollen. Und man darf es dafür nicht einmal tadeln.
Die Schauspieler haben es nicht leicht bei dem jüngsten Schnitzler.
Nur Frl. Maria Mayer traf in der Irchne Herms eine Rolle, so
kräftig und lebendig, wie er sie früher zu formen pflegte. In dieser
kurzen, in dem trüben Grau des Stückes förmlich leuchtenden Evisode
vermochte Frl. Mayer zu zeigen, welch feine der heterogensten
Stimmungen mächtige Kunstlerin sie ist. Selbst daß sie um mindestens
ein Jahrzehnt zu jung und zu geschmeidig erschien für die Frau zwischen
zwei Altern, die so sehr ihre Schlafröcke liebt, vermochte den famosen
Eindruck ihres Auftritts nicht zu mindern. Um so ungünstiger war
Frl. Santen daran. Ihr fiel das rätselhafte Mädchen zu, das eines
schönen Abends aus dem Leben geht, in dem sie sich doch so resolut
zu vergnügen wußte. Frl. Santen tat das Möglichste für diese ekstatische
Johanna, aber das blutlose Geschöpf des Dichters zu beleben, vermochte
auch sie nicht. Die Anderen brachten zumeist Wesenszüge in ihre Rollen,
die nicht darin enthalten sind. Herr Botz, in Maske und Haltung
sehr geschickt, gab dem reuigen Don Juan eine milde Abgeklärtheit, die
Julian Fichtner noch nicht erreicht hat, Herr Vernau dem jungen
Offizier eine Sentimentalität, die seiner Charakterisierung durch Sala
geradezu widerspricht, Herr Stange dem Wegrath einen sanften
Predigerton, der mehr zu einem Pastor, als zu einem „Kunstbeamten“
spaßt. Den verliebten Dr. Reumann denke ich mir jünger und tempera¬
mentvoller, als er in der Verkörperung des Herrn Johow erschien
und die Frau Wegrath anders, aber auch ganz anders, als die in
pathetischer Wehmut zerfließende Frau Gustine. Am weitesten war
Herr Wendt von seiner Aufgabe, dem kühlen, sarkastischen, geniali¬
schen Weltmann von Sala entfernt. Mehr als den nüchternen Ton und
die nüchterne Erscheinung des Durchschnitts=Bonvirant hatte Herr Wendt
für diesen groß gedachten Weltverächter nicht aufzubieten.
Trotz dieser nicht durchweg glücklichen, noch durch endlose Pausen viel
zu breit gedehnten Aufführung war die Aufnahme des „Einsamen Weg“
lhier entschieden günstiger, als im vorigen Winter zu Berlin. Nur nach
dem vierten und fünften Akt erregte der Uebereifer einiger Enthusiasten
eine gelinde Opposition. Arthur Schnitzler, dessen Anwesenheit das
Theaterbureau immer und immer wieder versprochen hatte, war übrigens
nicht erschienen.
*) Buchausgabe bei S. Fischer, Berlin W.: