box 23/2
18. Der einsane Neg
Morgen=Zeitung.
r. B. Schröder: „Die Veilchensteine des Riesengebirges“. Gäste, sowie
##dig Damen der Mitglieder sind willkommen.
Theater.
Lobetheater. Sonnabend, 19. November. „Der einsame
I[Weg“.
Schauspiel in fünf Akten. Von Arthur Schnitzler.
Bei Arthur Schnitzler scheint sich die umgekehrte Wandlung vollziehen
zu wollen, wie bei Arno Holz. Während dieser mit dem Theater pattiert,
beschreitet jener den einsamen Weg, der zu den Höhen der Kunist führt.
Frägt sich nur, ob Jeder sein Ziel erreicht. Holz, der sich den Abstieg
freilich leicht machte, ist in den Niederungen glücklich angekommen.
Schnitzler sehen wir noch im Aufklimmen begriffen, ringend mit den
Atembeklemmungen, die ihm die dünne Luft der Kunstfirnen verursacht.
„Der einsame Weg“ bedeutet keine Vollendung, eher wohl ein Ver¬
sprechen, auß dem sie dereinst emporblühen kann. Das neue Schauspiel
Schnitzlers hat vor allem mit der Szeme so gut wie nichts zu tun, es
ist eine breite, melancholische Réverie, geträumt von einigen Menschen,
n
auf denen das Leben lastet. Man fragt si.h, ob der Dichter nicht besser
getan hätte, sein nocturno con sordini in einen Roman zu komponieren,
8
zu dessen Wesensart der „Einsame Weg“ auch in seiner Technik bis¬
3
weilen hinneigt. Die wichtigere der beiden neben einander laufenden
Handlungen oder vielmehr Situationen entspringt in ganz romanhafter
Weise aus einer Liebesaffäre, die mehr als zwanzig Jahre zurückliegt
und als Lebensbeichte von dem einen Beteiligten erzählt wird. Damals
a
hat der genialische Maler Julian Fichtner wie ein Schurke an einem
e
ejungen Mädchen gehandelt und sie im letzten ontscheidenden Augenblicke
7
unter erschwerenden Umständen sitzen lassen. So liegt die Sache trotz
aller beschönigenden Redensarten, mit denen sich der Beichtende nach¬
sträglich halbwegs entschuldigen möchte. Das Mädchen heiratete nun
leinen parat stehenden Anderen, einen wackeren Brackenburg, an dessen
Seite sie, ohne ihre „Lebenslüge“ durch ein Geständnis abzuwälzen, ein
langes glückliches Dasein führte. Erst, als sie tot ist, unternimmt es
1
Fichtner, seinen in der Ehe des Anderen geborenen Sohn als sein Kind in
Beschlag zu nehmen. Der wilde Don Juan von dazumal ist alt und
müde geworden und er scheut sich
vor der Einsam¬
keit des ihm
noch bevorstehenden Lebensweges.
Nun
möchte er ernten, wo er nicht gesät hat, die Liebe des
Sohnes gewinnen, den er vor der Geburt verstoßen hat. Aber die
Stimme des Blutes schweigt. Vater ist dem aufrechten Jüngling der
Mann, der sein „Vater“ war; ihm fühlt er sich nur noch inniger vereint
durch den späten Anspruch des „Fremden“. Der hier kurz in Anlage
und Lösung geschilderte Konflikt st für das Drama nicht sehr ergiebig,
besonders nicht in der fast schüchtern diskreten Art der Schnitzlerschen
Ausführung, aber doch einfach und menschlich wahr. Schlimmer stehr
es um die zweite Situation des Stückes, die nicht aus der Vergangenheit
emporwächst, sondern lediglich der Gegenwart entspringt. Sie wird
am stärksten geschädigt durch die Skizzenhaftigkeit der weiblichen Haupt¬
figur, deren hysterische Absonderlichkeiten eine breitere Ausführung der
[Gestalt notwendig gemacht hätten, und durch die Seltsamkeit, daß Held
Nummer zwei dem Helden Nummer eins verblüffend ähnlich sieht.
Diesmal ists freilich ein Dichter, kein Maler, ein Witwer, kein Jung¬
geselle. Aber die müde Blasiertheit, die stumpfe Resignation nach einene
Aallzureichlich genossenen Lebensmahle, den brutalen Egoismus und die
[Lust an der selbstgefällig tönenden Phrase hat Herr von Sala mit Julian
Fichtner gemein. Schnitzler ist doch nicht Schöpfer genug, um diese
zwei ganz ähnlich angelegten Gestalten individuell verschieden auszu¬
rbauen. So üben die Zwiegespräche der beiden gleichgestimmten Seelen,
trotzdem gerade hier der Dichter seine feinsten Philosopheme wie ein
Krösus des Geistes ausstreut, eine monotone Wirkung. Die Affäre des
Herrn von Sala, bei der wiederum ein junges Mäbchen, eben unsere
kleine hysterische Seelenwanderungsgläubige und Mondscheintänzerin,
leiblichen Schaden nimmt, wird durch den Selbstmord der jungen
Dame beschlossen. Er findet nirgends eine Motivierung, sicherlich
nicht in dem Heiratsantrag, den ihr der Geliebte kurz zuvor gemacht hat.
Wir müssen den Gang ins Wasser hinnehmen als eine letzte Kaprize des
allzu kapriziösen Fräuleins. Denn wenn auch der geliebte, ältere
Herr krank ist, so liegt doch kein Grund für die romantische,
eblutjunge Dame vor, das
Leben freiwillig zu enden,
lange bevor jener es unfreiwillig enden muß. Dieser interessante
mit allen Reizen eines Romanhelden ausgestattete Herr von Sala ist
sicherlich der feinere, konsequentere Don Juan=Typus von den beiden
Genußmenschen des Stückes. Er präzisiert die Theorien des Einsam¬
keitsgefühles und Einsamkeitszwanges am klarsten und schärfsten. Er
ikennt auch keine gelegentlichen Rückfälle ins Sentimentale, wie Fichtner.
I(Er spricht prachtvoll — lauter Schnitzler=Gedanken — nur ist er leider
ein wenig Poseur, eine männliche Kokette des Weltschmerzes. Er sagt
leinmal zu Fichtner: „Er hat sich gut benommen, Ihr Sohn. „Wir werden
nicht unter einem Zelte schlafen.“ Nicht übel! Das hätte mir ein¬
fallen können.“ Solch eine kleine Selbstbeweihräucherung in einer weh¬
mütigen Stunde, da die letzten Schleier fallen, klingt doch recht fatal.
[Alle diese Menschen mit ihren konstruierten Sensibilitäten, Theorien,
Hysterien und Philosophien haben zudem etwas ganz Unpersönliches,
jlund sie würden dem Schauspiel den Stempel des Unerlebten aufdrücken,
wären nicht auch ein paar Leute da, vor deren gesunder Art die Atmo¬
18. Der einsane Neg
Morgen=Zeitung.
r. B. Schröder: „Die Veilchensteine des Riesengebirges“. Gäste, sowie
##dig Damen der Mitglieder sind willkommen.
Theater.
Lobetheater. Sonnabend, 19. November. „Der einsame
I[Weg“.
Schauspiel in fünf Akten. Von Arthur Schnitzler.
Bei Arthur Schnitzler scheint sich die umgekehrte Wandlung vollziehen
zu wollen, wie bei Arno Holz. Während dieser mit dem Theater pattiert,
beschreitet jener den einsamen Weg, der zu den Höhen der Kunist führt.
Frägt sich nur, ob Jeder sein Ziel erreicht. Holz, der sich den Abstieg
freilich leicht machte, ist in den Niederungen glücklich angekommen.
Schnitzler sehen wir noch im Aufklimmen begriffen, ringend mit den
Atembeklemmungen, die ihm die dünne Luft der Kunstfirnen verursacht.
„Der einsame Weg“ bedeutet keine Vollendung, eher wohl ein Ver¬
sprechen, auß dem sie dereinst emporblühen kann. Das neue Schauspiel
Schnitzlers hat vor allem mit der Szeme so gut wie nichts zu tun, es
ist eine breite, melancholische Réverie, geträumt von einigen Menschen,
n
auf denen das Leben lastet. Man fragt si.h, ob der Dichter nicht besser
getan hätte, sein nocturno con sordini in einen Roman zu komponieren,
8
zu dessen Wesensart der „Einsame Weg“ auch in seiner Technik bis¬
3
weilen hinneigt. Die wichtigere der beiden neben einander laufenden
Handlungen oder vielmehr Situationen entspringt in ganz romanhafter
Weise aus einer Liebesaffäre, die mehr als zwanzig Jahre zurückliegt
und als Lebensbeichte von dem einen Beteiligten erzählt wird. Damals
a
hat der genialische Maler Julian Fichtner wie ein Schurke an einem
e
ejungen Mädchen gehandelt und sie im letzten ontscheidenden Augenblicke
7
unter erschwerenden Umständen sitzen lassen. So liegt die Sache trotz
aller beschönigenden Redensarten, mit denen sich der Beichtende nach¬
sträglich halbwegs entschuldigen möchte. Das Mädchen heiratete nun
leinen parat stehenden Anderen, einen wackeren Brackenburg, an dessen
Seite sie, ohne ihre „Lebenslüge“ durch ein Geständnis abzuwälzen, ein
langes glückliches Dasein führte. Erst, als sie tot ist, unternimmt es
1
Fichtner, seinen in der Ehe des Anderen geborenen Sohn als sein Kind in
Beschlag zu nehmen. Der wilde Don Juan von dazumal ist alt und
müde geworden und er scheut sich
vor der Einsam¬
keit des ihm
noch bevorstehenden Lebensweges.
Nun
möchte er ernten, wo er nicht gesät hat, die Liebe des
Sohnes gewinnen, den er vor der Geburt verstoßen hat. Aber die
Stimme des Blutes schweigt. Vater ist dem aufrechten Jüngling der
Mann, der sein „Vater“ war; ihm fühlt er sich nur noch inniger vereint
durch den späten Anspruch des „Fremden“. Der hier kurz in Anlage
und Lösung geschilderte Konflikt st für das Drama nicht sehr ergiebig,
besonders nicht in der fast schüchtern diskreten Art der Schnitzlerschen
Ausführung, aber doch einfach und menschlich wahr. Schlimmer stehr
es um die zweite Situation des Stückes, die nicht aus der Vergangenheit
emporwächst, sondern lediglich der Gegenwart entspringt. Sie wird
am stärksten geschädigt durch die Skizzenhaftigkeit der weiblichen Haupt¬
figur, deren hysterische Absonderlichkeiten eine breitere Ausführung der
[Gestalt notwendig gemacht hätten, und durch die Seltsamkeit, daß Held
Nummer zwei dem Helden Nummer eins verblüffend ähnlich sieht.
Diesmal ists freilich ein Dichter, kein Maler, ein Witwer, kein Jung¬
geselle. Aber die müde Blasiertheit, die stumpfe Resignation nach einene
Aallzureichlich genossenen Lebensmahle, den brutalen Egoismus und die
[Lust an der selbstgefällig tönenden Phrase hat Herr von Sala mit Julian
Fichtner gemein. Schnitzler ist doch nicht Schöpfer genug, um diese
zwei ganz ähnlich angelegten Gestalten individuell verschieden auszu¬
rbauen. So üben die Zwiegespräche der beiden gleichgestimmten Seelen,
trotzdem gerade hier der Dichter seine feinsten Philosopheme wie ein
Krösus des Geistes ausstreut, eine monotone Wirkung. Die Affäre des
Herrn von Sala, bei der wiederum ein junges Mäbchen, eben unsere
kleine hysterische Seelenwanderungsgläubige und Mondscheintänzerin,
leiblichen Schaden nimmt, wird durch den Selbstmord der jungen
Dame beschlossen. Er findet nirgends eine Motivierung, sicherlich
nicht in dem Heiratsantrag, den ihr der Geliebte kurz zuvor gemacht hat.
Wir müssen den Gang ins Wasser hinnehmen als eine letzte Kaprize des
allzu kapriziösen Fräuleins. Denn wenn auch der geliebte, ältere
Herr krank ist, so liegt doch kein Grund für die romantische,
eblutjunge Dame vor, das
Leben freiwillig zu enden,
lange bevor jener es unfreiwillig enden muß. Dieser interessante
mit allen Reizen eines Romanhelden ausgestattete Herr von Sala ist
sicherlich der feinere, konsequentere Don Juan=Typus von den beiden
Genußmenschen des Stückes. Er präzisiert die Theorien des Einsam¬
keitsgefühles und Einsamkeitszwanges am klarsten und schärfsten. Er
ikennt auch keine gelegentlichen Rückfälle ins Sentimentale, wie Fichtner.
I(Er spricht prachtvoll — lauter Schnitzler=Gedanken — nur ist er leider
ein wenig Poseur, eine männliche Kokette des Weltschmerzes. Er sagt
leinmal zu Fichtner: „Er hat sich gut benommen, Ihr Sohn. „Wir werden
nicht unter einem Zelte schlafen.“ Nicht übel! Das hätte mir ein¬
fallen können.“ Solch eine kleine Selbstbeweihräucherung in einer weh¬
mütigen Stunde, da die letzten Schleier fallen, klingt doch recht fatal.
[Alle diese Menschen mit ihren konstruierten Sensibilitäten, Theorien,
Hysterien und Philosophien haben zudem etwas ganz Unpersönliches,
jlund sie würden dem Schauspiel den Stempel des Unerlebten aufdrücken,
wären nicht auch ein paar Leute da, vor deren gesunder Art die Atmo¬