II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 272

box 23/2
18. Der einsane Neg
ist zu spät für ihn. Er ist schon ein totsiecher Mann. Er kann das
ihm angebotene Glück nicht mehr vergelten. Und das fühlt
Johanna. Sie geht, weil sie den, den sie liebt, nicht bemitleiden
will, in den Tod. Er aber folgt ihr nach, ehe ein Mächtigerer ihn
bezwingt und schlägt damit auch den Weg ein, von dem er sagt
„und wenn uns ein Zug von Bacchanten begleitet, den Weg gehen
wir alle allein, wir, die wir selbst niemandem gehört haben.“ —
Eine dritte Gruppe im Schauspiel wird dann gebildet von einer
alternden Schauspielerin, Irene Herms, in deren Wesen sich Ober¬
flächlichkeit mit tieferen Gefühlen kreuzt und von einem Arzt, der
Der einsame Weg.
Dn aurr
um betrogener Liebe willen verbittert ein Schurke sein möchte und
Schauspiel in 5 Akten von Artur Schnitzler.
doch ein anständiger Mensch sein muß. Jene ist auch ein Opfer
Erstaufführung im Leipziger Schauspielhaus am Sonnabend den 17. Dezember.
Fichtners, der er aber kein Kind von ihm „gegönnt“ und die sich
Wie ein elegisches Gedicht, aber nicht wie ein Drama, mutet
doch nach einem Kinde so sehnt. Und dieser spielt den düsteren
Schnitzlers „Einsamer Weg“ an, der am heutigen Abend seine
Schicksalsgeist, der das kommende Unheil in der Familie ver¬
Erstaufführung im Schauspielhause mit nur mäßigem Beifall er¬
kündet. — Die Einzigen, deren Weg nicht einsam wird, sind der
lebte. Es fehlt diesem Schauspiel ganz und gar die Kraft eines
Professor Wegrath, der zu lieben weiß, das heißt, der sich einem
Dramatikers, die Dinge unerbittlich durchzudenken und durchzu¬
anderen geben kann, ohne den Gedanken an Vorteil! Und dann
gestalten. Und darum freut man sich wohl über das Zarte und
der junge Offizier Felix, der so selbstverständlich den Weg der
Feine, das Schnitzler über Irren und Sichnichtverstehen, über
Pflicht und der Liebe geht.
Leben und Sterben, Schuld und Sühne sagt. Aber wie die Haupt¬
Er ist gegenüber jenen, die in Selbstsucht ihr Leben vergeudet
handlung des Stückes von Parallelhandtungen nicht nur be¬
haben, wenn auch im Genuß künstlerischer Lebensfreuden, der
gleitet, sondern auch durchkrenzt und verdeckt wird und darüber
Träger einer besseren Zukunft, die, wie der Dichter mehr resigniert
ihre Einheitlichkeit verliert, so leidet auch die Eindruckskraft der
als hoffend ersehnt, ein Menschengeschlecht ihr eigen nennen
handelnden Personen darunter, daß sie weniger lebensvoll charak¬
wird, mit vielleicht weniger Geist, aber „mehr Haltung“. Geben
terisiert werden, als daß sie nur als Objekte einer feinen Psycho¬
all diese Gestalten so die Nüancen der Selbstsucht auf der einen
logie erscheinen, die nicht das Einfache, sondern das Mannig¬
und der opferfreudigen Liebe auf der anderen Seite wieder, nur
faltige in den Vordergrund treten läßt. Daraus erklären sich all
zu wenig von individueller dramatischer Kraft erfüllt, als daß sie
die vielen Mängel, die das Drama als Drama belasten und es
auf der Bühne eindrucksvoll wirken könnten, so sind ihre Reden
dramatisch unwirksam machen, während man seine stille Freude
doch reich durchzogen von Zartheit der Empfindung und Schärfe
haben kann an den inneren Schönheiten der Dichtung, die nicht
des Geistes, so daß sie das Thema von der Selbstsucht und der
alltägliche Lebensperspektiven eröffnet.
Liebe in den reinen Tönen einer feinen Melodie ausklingen lassen,
In der Haupthandlung tritt uns ein Maler und Akademie¬
die auf Schnitzlers reiche dichterische Begabung hinweist, mag auch
direktor Professor Wegrath entgegen, der, als er seine Frau
der Dramatiker in ihm mehr denn je seine Schwäche gezeigt haben.
Gabriele heimführte, keine Ahnung davon hatte, daß sie kurz
Das Ueberwiegen des Stimmungsvollen im Drama stellt an
vor der Hochzeit von seinem genialen Freunde, dem Maler Julian
die Aufführung ganz besondere Anforderungen, denen die Dar¬
Fichtner, betört worden ist. Er weiß und erfährt auch nichts davon,
steller nur zum Teil gewachsen waren. Am vollkommensten fast
daß sein erstes Kind, der spätere Offizier Felix, die Frucht jenes
Hedwig Reicher, die sich hier recht unmittelbar auslebte. Auch
Verhältnisses ist. Erst als Gabiele gestorben ist und Fichtner vor
Marie Immisch zeichnete die Eigenart der Schauspielerin
dem nahenden Alter sich vereinsamt fühlt, macht dieser seine Vater¬
Irene Herms in den halb burschikos anklingenden Seiten, wie in
rechte auf den illegitimen Sohn geltend. Er hofft, daß Felix ihm
der tiefen weiblichen Sehnsucht nach Mutterglück recht lebenswahr.
nun sein Herz schenken wird. Aber das Gegenteil tritt ein. Die
Artur Eggeling gab den Professor in feiner psychologischer
Tatsache, daß Fichtner sein Vater ist, ist für Felix eine Wahrheit
Charakterisierung seines nüchternen, von genialen Anwandlungen
ohne Kraft. Und als er erkennt, wie selbstlos gerade der Mann
freien Wesens, das sich mit so charaktervollen Selbstlosigkeit paart.
gesinnt ist, in dessen Haus er als Kind aufwuchs und der seine
Lothar Mehnerts Stephan von Sala war uns in der Maske
Mutter bis in den Tod geliebt hat, während Fichtner um der
zu mephistophelisch, so trefflich sonst der Sarkasmus des über¬
Freiheit seines Künstlerdaseins willen dieses Frauenschicksal auf
sättigten Lebensmannes und am Schluß die mannhafte Resignation
das Spiel setzte, schließt er sich erst recht innig an Wegrath an, und
auf das Glück hervortreten. Gut wurden die Rollen der Gabriele
Fichtner muß einsam seinen Lebensweg zu Ende gehen, auf dem
von Amalie Cramer und des Arztes Dr. Renmann von
er nur der Freude und dem Genuß gelebt hat. — Ein ähnliches
Ernst Bornstedt gegeben. Dagegen ließen der Julian
Schicksal hat auch der Freund Fichtners, Stephan von Sala, ein
Fichtner Hans Mühlhofers und der Felix Kurt
skeptischer Schöngeist, nur daß er dieses Schicksal als eine Herren¬
Boettchers recht viel zu wünschen übrig. Ihre Darstellung
natur erträgt. Nach einem an wahrer Liebe leeren Leben findet
blieb in unzulänglichen schauspielerischen Versuchen stecken, die sich
er diese Liebe noch in Wegraths Tochter Johanna, einem ihrer
zu keiner freien Entfaltung einer natürlichen Charakteristik ent¬
Mutter
gearteten Mädchen, das sich ihm hingibt. Aber es falteten. — Das Gesamtspiel endlich litt unter dem Versuch, der