II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 271

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18. DNeg
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Der einsame Weg.
Schauspiel in fünf Akten von Arthur Schnitzler.
(Erstaufführung im Leipziger Schauspielhause.
Sonnabend den 17. Dezember.)
Wenn der Verfasser die Absicht gehabt hat, in seinen Zuhörern die!
Empfindung wach zu rufen, als hingen sich Bleigewichte an ihre Füße,
so hat er zweifellos seinen Zweck erreicht. Noch im letzten Akte ist er
mit der Exposition noch nicht fertig, sie sängt fünfmal hintereinander
von vorn an, und wenn das Stück sechs Akte hätte, die es übrigens
auch zufällig haben könnte, so hörten wir zum sechsten Male das, was
einmal vor vierundzwanzig Jahren gewesen ist. Selbst im Roman ist
das heute nicht mehr verzeihlich, wieviel weniger im Drama. Schnitzler
hat auf diesem „einsamen Wege“ ein schlechtes Theaterstück geschrieben,
und es steht unter seinen Werken nicht vereinzelt da
den
„Schleier der Beatrice“, das verfehlte Renaissance=Stück, rechnen wir
auch dazu —, aber er hat uns auch manches Gute beschert und der Bühne
viele Anregungen gegeben, und deshalb ist auch der Fehlgriff noch immer

sagen wir wissenswert.
Den einsamen Weg geht der genußflichtige Egoist. Das Stück hat
zwei dergleichen, und im vierten Akte rechnet der eine, der skeptisch genug
ist, es sich einzugestehen, mit dem andern ab. Der alte Genußmensch
Stephan von Sala hält einem genialen Irrfahrer, dem Maler Julian
Fichtner eine Vorlesung darüber. In ihrem Leben sei wohl etwas ge¬
wesen, das sich als Lieve ausgegeben habe, aber Liebe gewesen sei es
nicht. „Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere
Sinnlichkeit oder unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte? .....
Haben wir je unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel gesetzt.=
Haben wir je auf ein Glück verzichtet, wenn dieser Verzicht nicht
wenigstens zu unserer Bequemlichkeit beigetragen hätte?“ usw., usw.
Es ist eine lange Reihe von Fragen, die unter ehrlichen Junggesellen
und Witwern wohl schon oft gestellt worden sind, aber die Art, wie es
der Dichter begründet, hat noch etwas Besonderes für sich, und es sind
doch Menschen, die ganz so, mit aller dieser Poesie nicht gerade oft vor
uns gestanden haben, selbst auf der Bühne nicht. Die Sehnsucht Ficht¬
ners nach seinem natürlichen Sohne, der vor der Welt und dem Gesetze
das eheliche Kind seines Studiengenossen, des Akademie=Direktors Weg¬
rath, ist, macht den Eindruck ehrlicher Empfindung, und wenn vor
Stephan v. Sala alte Erinnerungen wieder aufsteigen und er sich wieder
als Kind sieht, wie er auf dem Pony übers Feld reitet und seine Mutter
am Fenster steht,
oist das auch wirklich poetisch empfunden. Ja
selbst eine Ibsensche Figur hat der Dichter in seinem Stücke, Johanna
Wegrath. Sie spricht Ibsen, sie hat die Menschen so gern, „die immer
von weit her kommen“, und sie handelt auch nach Ibsen. Sie will fort¬
gehen, um später einmal vor sich selbst erschauern zu müssen, so tief er¬
schauern, „wie man es nur kann, wenn einem nichts fremd geblieben ist“
— und sie nimmt sich gleich darauf das Leben. Und der Dichter hat auch
einen ehrlichen, braven Menschen in seinem Stücke und noch so vieles
mehr, und es ist ganz eigenartig, wie der junge Felix Wegrath förmlich
fühlt, wer eigentlich sein Vater ist, und geistreiche Wendungen hat das
Stück auch — in der Hinsicht ein echter Schnitzler! — aber es ist in
einem Durcheinander, in seiner Zerfahrenheit doch ein schlechtes Stück.
Es gleicht einem Wagen, der den Berg hinauf soll, aber in der Mitte des
Weges sich vom Pferde trennt und wieder rückwärts fährt, um schließlich
umzukippen. Stückweise gelesen, mögen die Einzelheiten noch einen Genuß
bieten, das Ganze macht einen lähmenden Eindruck.
Die Aufführung verdient Anerkennung, ja sie hatte etwas, das blei¬
bend sein wird in unserem Gedächtnisse — die Erscheinung der Johanna,
die Hedwig Reicher gab. Tagegen konnte selbst Herr Meh¬
nert (v. Sala) mit aller seiner pointenreichen, wohlabgemessenen De¬
klamation nicht ankämpfen. Mitunter wirkt doch das Bild intensiver als
alle schönen Worte. Herr Mühlhofer war nur im Anfang ein
ganzer Fichtner, in den letzten Akten ließ er merklich nach. Sehr sym¬
pathisch war Herr Böttcher als Felix Wegrath, und auch im übrigen
gab es solide Leistungen. Das Publikum spendete Beifall, aber nicht
gerade mit besonderer Hingebung, und an Zischern fehlte es auch nicht.
Arthur Gadebusch.
Oetur: