II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 274

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im Gipsmodell entstanden sind,
den hohen Anforderungen gerecht
nach Florenz über. Hier, in der
werden, die man in literarischer
Hauptstadt der Renaissance, hat
Beziehung an Schnitzler zu stellen
sich in unmittelbarem Anschauen
berechtigt ist. Zwar war auch
der plastischen Schöpfungen Michel¬
dieser „Schnitzler“ von ganz sub¬
angelos, Donatellos sein Formen¬
tiler Feinheit im Dialog, er zeigte
sinn noch verseinert, hier lernte
auch geradezu glänzende Lichtblicke
er vor allem das echte Material
reichster Poesie, aber die „ewige
würdigen und behandeln. Er ging
Stille“, die eigentlich das ganze

frisch an die Arbeit, direkt aus
Stück durchweht, raubt ihm
dem Steine zu hauen und „im
jeden dramatischen Lebensnerv.
Ste ne zu denken“. Adolf Hilde¬

Arthur Schnitzler hat einen No¬
brand hat die Technik der Steinarbeit
vellenstoff für ein Drama zurecht
erst wieder als unbedingte Vor¬
gemacht, der in seiner seinen Aus¬
aussetzung eines streng plastischen
arbeitung gewiß eine sehr inter¬
Stiles gefordert. Diesen strengen,
essante und lesenswerte Lektüre
klaren plastischen Stil hat Rech¬
bildet, aber auf der Bühne
berg in der Marmorausführung
absolut wirkungslos bleibt.
seines „Jünglings von Sais“ und
Der Maler Julian Fichtner
des „Moses“ erreicht. Seinen
hat einst im Jugendübermut die
Moseskopf hat er aus dem Mar¬
Braut seines Freundes, des jetzigen
morblock herausgearbeitet, daß
Akademie=Direktors Wegrath, in
Haar und Bart in schweren, fast
seine Arme gerissen, und dann ist
ungestalteten Massen erscheinen,
er hinaus gestürmt in die Welt,
aus deren Tiefe nur die Gesichts¬
das Leben zu genießen und die
züge in ihrem grüblerischen
Blumen zu brechen, wo sie blühen.
Wesen, in ihren vibrierenden
Sein Kind, sein Sohn ist als Kind
Lebensformen herauswachsen.
des Freundes aufgewachsen, geliebt
Das ist von tiefer Wirkung,
und behütet worden, und die Mutter
deren Vorbild man vielleicht bei
des Kindes hat es sogar vermocht,
Rodin zu suchen hat. Leider
dem einstigen Verfuhrer freund¬
haben wir den Kopf nicht zur Ab¬
schaftlich im eigenen Hause zu be¬
bildung bringen können. Michel¬
gegnen. Da stirbt die Mutter,
angelos Moses ist ein Gottmensch,
und der Sohn, der am Vorabend
ein titanischer Willensmensch, der
ihres Todes mit ihr plaudert,
in großartigem Zorn entbrennt,
liest in ihren Augen und in den
in Rechbergs Moses spricht nicht
seltsamen Erzählungen aus der
der Wille, sondern die grüble¬
Jugendeeit mehr, alsger wissen
rische, schmerzvolle Erkenntnis,
soll. Als er zu Julian Fichtner,
daß es vergeblich ist, hohe, edle
dem Moler, kommt, den er kennt
Gedanken ins Volk zu tragen.
und schätzt, um sich ein Bild der
Der semitische Typus, der im
Mutter aus der Jugendzeit zeigen
Kopfe angedeutet ist, im Prosil,
zu lassen, erkennt er mit Entsetzen,
in den sinnlich=vollen Lippen, ist
daß seine dunklen Ahnungen Wahr¬
durch die Fülle geistigen Lebens
heit geworden, daß sein wirklicher
Vater vor ihm steht. Fichtner will
eeen en en
den Sohn, nach dem er sich sehnt,
arbeiten die Gedanken in den
in seine Arme schließen, aber der
vibrierenden, sich leise bäumenden
Sohn weicht abwehrend zurück. Er
und drängenden Formen ein
verachtet den Mann, der schuld
schwermütiges, kummerreiches
ist, daß an einem Mann, der
Denken und Erkennen. In den
ihm nur Gutes erwiesen hat, ein
tiefen, umschatteten Augenhöhlen
so grausamer Betrug geübt ist.
liegen in trübseligem, unge¬
Julian Fichtner muß einsam seinen
wissem Dämmer die tränenum¬
Lebensweg zu Ende gehen, und
florten Augen. Wie tiefes Leid
Mebucadnezar. Büste von Arnold Rechberg.
inzwischen ist auch Felix Wegraths
dieses ganze Gesicht durch¬
Schwester den einsamsten aller
arbeitet hat, wie sich die geistigen
Wege gegangen, den in den Tod.
Anstrengungen in den fein durchgearbeiteten lebenden Formen der Stirn
Den Weg, auf dem wir immer allein sind, wo uns niemand, selbst die
konzentrieren, wie die Qualen sich über das ganze Antlitz legen, wie der
Treuesten, nicht begleiten. Sie hat den einsamen Weg betreien, weil der
Künstler also alle Formen zum Leben geweckt und durchgeistigt hat, be¬
Mann, den sie liebt — auch ein Lebemann, der das Leben bis auf die
zeugt eine außergewöhnliche plastische Begabung
Neige gekostet —, dem Tode geweiht ist und er ihr nicht mehr das geben
Nach dem Moses entstand die Büste des Nebukadnezar, vorläufig
kann, was ihre stürmische, leidenschaftliche Seele verlangt. Sie geht den
erst im Gipsmodell. Der Künstler hat in diesem Kopfe den Moment
einsamen Weg zuerst, auf dem ihr Stephan von Salm bald folgt.
festgehalten, wo Nebukadnezar, vom üppigen Mahle, von Weingenuß und
Johann Wegrath ist weniger eine Schnitzlersche, als eine Ibsensche Er¬
sinnlichen Leidenschaften umnebelt, aufschauend an der Wand das furcht¬
scheinung. Sie spricht in ungelösten Rätseln. von weiten Fernen. Sie
bare Mene tekel erblickt. Hier ist also wieder eine momentane seelische
erscheint wie eine Sphinx=Natur, ewig sochend, grübelnd, werselnd, „vor
Erregung mit großr Intensität festgehalten. Wie charakteristisch ist der
sich selbst erschauernd“. Für die etwas mystisch angehauchte Erscheinung
geöffnete, vom Genuß erschlaffte und im Genuß unersättliche Mund.
konnte sich der Dichter kaum eine passendere Vertreterin denken, als
Die Augen sind aufgerissen vor Entsetzen über die rätselhafte, unheimliche
Hedwig Reicher. Sie hatie nicht allein die notwendige Poesie,
Mahnung. In der emporgereckten Haltung des Kopfes liegt das plötz¬
sondern gab auch eine scharf geprägte Individualität jener seltsamen
liche Auffahren des Überraschten, in dem Rechberg wieder ein Typus,
sehnsüchtigen Frauen, die seit einiger Zeit die moderne Liieratur
der des Genußmenschen, aus schnet gelungen ist. Alle diese plastischen
geradezu überschwemmt haben. Diese „Sehnsucht“, die m ist ihren
Werke, die noch vervollstän'
#rden durch eine Reihe von Studien zu
Ursprung in „Hysterie“ hat, wußte Hedwig Reicher mit dem ganzen
größeren Arbeiten, mit den der Künstler beschäftigt ist, werden Anfang
eigenen Reiz ihrer Persönlichkeit wiederzugeben, so daß wir unwill¬
des Jahres 1905 im Leipzige. Kunstverein ausgestellt. Diese Ausstellung
kürlich durch Johanna Wegrath gefesselt waren, obwohl der Dichter
wird ohne Zweitel die Aufmerksamkeit in hohem Grade auf den Künstler
diese Frauenzeichnung in psychologischer Hinsicht arg vernachlä sigt
lenken, in dem die Gabe des plastischen Gestaltens fast ungestüm zum
hat und es wirklich ein Kunststück ist, diese Johanna nur halb¬
Durchbruch gekommen ist, der sich in unermüdlicher Arbeit seinen
wegs annehmbar hinzustellen. Der ganze mystische Ton des Stückes
plastischen! Stil erwirbt, und dessen weiterer Entwickelung wir mit
lag überhaupt den mitwirkenden Künstlern nicht, und dem Publikum,
Spannung entgegensehen müssen.
Dr. Paul Kühn.
das sehr unruhig war und blieb, noch weniger.
Lothar Mehnert bemühte sich zwar als Stephan
von Salm
auch eine Ibsensche Figur
Vereiyiste
dem Publikum
noch etwas Interesse durch seine stark aufgetragene Selbstironie
aufzuzwingen, aber es ging nicht, so glücklich auch der Künstler
loeipziger Schauspielbäuser.
die Rolle erfaßte. Herr Mühlhofer als Julian Fichtner
konnte durchaus nicht überzeugen, weder als leichtfertiger Jung¬
Leipziger Schauspielhaus.
geselle noch als liebender Vater und Kurt Böticher glaubte,
Ein neuer Schnitzler, „Der einsame Weg“, der am Leipziger
Kindesliebe, Rechte und Pflichten, die sich ja bei ihm nicht
Schauspielhause erstmalig in Szene ging, konnte leider in keiner Weise
recht ans Licht der Welt wagen durften, so diskret behandeln