II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 275

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18. Der einsane Neg
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zu müssen, daß das Publikum Mühe hatte, seine zarte, zurückhaltende
rüstet die Tür. Niemals! Da schrieb ich ihm einen Schreibebrief:
Ausdrucksweise richtig zu verstehen. Am lebhaftesten wirkte noch Marie
„Mein Herr, Sie verkennen mich, ich bin ja die Preuschen, jeden
Immisch in der frischen und natürlichen Fröhlichkeit, mit der sie sich
Wahnsinns würdig, für jeden befähigt. Und ich erkläte, daß ich die
als abgetine Geliebte Fichtners in die Verhältnisse fand. Zwar gelang
nächsten Wochen eine jede Ihrer Vorlesungen besuchen werde. Sollten
ihr der Wiener Dialekt nicht sonderlich, aber sie war in der Zeichnung dieser
Sie enger und banausischer sein, als man annehmen kann, lassen Sie
urwüchsigen Künstlerin trotzdem sehr glücklich. Gute Leistungen boten noch
mich einfach durch den Pedell hinauswerfen.“
Amalie Cramer, Artur Eggeling und Ernst Born¬
Klopfenden Herzens kam ich dann, wieder und wieder und ward
stedt, ohne indes mehr zu geben als durchaus notwendig war. Ver¬
immer frecher. — Es ist ein unheimliches Fach, und erst sträubt sich
mutlich haben sich die Künstler auf der Bühne ebenso gelangweilt wie
die Seele vor dieser quasi öffentlichen Bloßstellung geheimsten Menschen¬
das Publikum. Die ewigen Besuche in feierlicher Kleidung, mit denen
jammers, dann wird man abgestumpfter und spricht wie ein Professor
jeder Akt beginnt, hatten trotz ihrer ernsten Zeichnung etwas geradezu
von Paralyse von dem ersten bis letzten Stadium, von Psychose. Mania,
Komisches. „Der einsame Weg“ von Artur Schnitzler wird für das
Paranoia und Melancholia, periodisch und rezid v. Immer aber ver¬
Theaterpublikum wohl immer ein sehr einsamer Weg bleiben, den es
solgen einen den fürchterlichen Bilder des Elends, das man auf dieser
absolut nicht mitgeht. Schade darum, schade um die vielen schönen,
Bühne“ geschaut, der stupor, des wie) im Starrkrampf befindlichen
tiefen und herrlichen Gedanken, die das Stück in Fülle bot, aber
schönen, schwarzhaarigen Weibes, das regungslos in ihren Betten lag,
Dramatiker dürfen so „einsame
beide Hände hoch emporgestreckt,
Wege“ nicht gehen, da stolpern
wie der Professor sie ihr zu Be¬
sie leicht. Schade! Anny Wothe.
ginn der Vorlesung heraufgebogen.
Sie erwacht nur zuweilen, wenn
sie mit der Sauce gefüttert wird,
Im Strudel der Welt.
die sie für eine Schlarge hält,
Von Hermione von
für die sie dann zur „Fütterung“
Preuschen.
Semmeln stiehlt. Dann sieht sie
Heimliches und Unheimliches aus
das Zimmer mit Totenköpfen
der Sperrsechser=Stadt.
bevölkert. Ein sehr seltener Fall,
Wien, im Winter.
sagt der Professor stolz und be¬
Nein, es soll keiner
friedigt. Manche Kranke aber
fürchten, daß ich ihn mit „gebil¬
entsprechen nicht den in sie ge¬
deten“ Beschreibungen ermüde,
setzten Erwartungen.
die er besser in jedem Re sebuch
Der eine sollte einen Anfall
nachschlagen kann — das über¬
kriegen, tat uns aber nicht den
lasse ich — unberufenen Federn!
Gefallen. Alle fünf Minuten
Aber wenn ich „heuer" seit vorigem
unterbrach
der Professor seine
Dezember genau fünfmal mich
Vorlesung
und beleuchtete den
für je vier Wochen in der Donau¬
Kranken mit dem Spiegel:
stadt umher und kreuz und quer
„Es ist wieder nichts, leider.“
getrieben, darin Ausstellungen,
Andre aber, die angeblich
Vorträge und Gott weiß was
schon ziemlich gleichgültig und
alles arrangierte, wie man hier
stumpf gegen ihr Gechick ge¬
sagt „angegeben“ habe, durch
worden, waren trotzdem so rück¬
meine Bekanntschaft mit einem
sichtslos, befragt, was aus
begeisterten Tschechen von be¬
ihnen werden sollte,
Sgeisterten Deutsch=Oesterreichern
vol achl Tagen ausgepfiffen und
fast durchgeprügelt worden wäre,

dann — muß man mir zuge¬
wegen „Psychose“ in die Anstalt
stehen — ich kann ein bißchen
eingeliefert worden. — Andere
drüber plauschen, über die alte
wieder gefielen sich in der Rolle
Kaiserstadt, von der böse Zungen
des verstockten Sünders und
behaupten, sie läge schon an der
schwiegen hartnäckig auf alle
Schwelle des Orients.
Fragen. Nur eines wußten sie
Wie der „diable boiteux“
ausnahmslos. „Wo sind Sie denn
in Paris wollen wir hier in
jetzt?“
„Bei die Verruckten.“
Wien über die Dächer fliegen
„Wie kommen Sie denn hier¬
und — Heimliches und Unheim¬
her, Sie sind doch nit verruckt?“
libes aufdecken. — Wenigstens
— Einer
„Das weißi net.“
braucht man dann nicht ängstlich
übergab auch feierlich dem
auf die Uhr zu sehen, ob's noch
Professor seine „Dokumente",
weit vor zehn ist, der Panik¬
einen Haufen zusammengelesener
stunde, deren Nahen Theater,
Papierfetzen. An fünfzig schaurige
Konzerte, Cafés enwölkert. Ja,
Menschenschicksale sind so im
die zehn Kreuzer Sperrgeld, die
Laufe von ungefähr drei Wochen
sind halt eine Lebensfrage, hüben
an uns vorüber, in den Jammer
oder drüben! Wenigstens gehen
ihrer dunkeln Zukunft gewandelt
die Elektrischen jetzt eine Stunde
Menschenleben! —
länger als im Frühling — bis
Der hinkende Teufel führt
um Mitternacht! Und da zweifle
uns nun aus dem allgemeinen
man an Wiens weltstädtischer
Krankenhaus am Alsergrund in
Entfaltung! Auch hat der Ring
ein anderes Haus von Währing
seit wenig Tagen schon elektrisches
zu der Kartenlegerin, der „be¬
Der Jüngling von Sais. Marmorbüste von Arnold Rechberg.
Licht. — Alle intime Gemüt¬
rühmten“ Hausmeistersfrau in
lichkeit entflieht vor seinem
ihre kleine, dunkle, mufsige Zelle,
Schein. Und in einem, außer den Mehlspeisen, ist überhaupt Wien
wo neben dem ungemachten Bett und den trocknenden Speiseresten täg¬
allen Großstädten der Welt, sogar Berlin und München überlegen. Im
lich die vornehmsten Wienerinnen klopfenden Herzens auf die schmutzigen
Straßenkot des Winters! Wie ich, bis an die Knöchel im Kot ver¬
Karten starren und auf die schmutzigen Finger, die sie legen.
sinkend, nach der trocknenden Sonne des Südens schmachte — die ich
ist mediumistische Wahrsagerin. Sie sieht Bilder
Frau R.
nun bald schauen werde bald! Schon ist der „Krampus“ (der Niko¬
in den Händen ihrer Klienten. Sie nahm meine Hand: „Sie wohnen
laustanz) vorbei die Kinder brauchen sich nicht mehr vor dem schwarzen
weit von hier, in einem Eckhaus mit Gärten, Sie kommen mit der
Teufel zu fürchten, der fast in allen Schaufenstern sein Wesen treibt, sie
Polizei in Konflikt, Sie haben unruhigen Geist, Sie werden viel ge¬
schauen nur noch nach der Weihnachtsfreude! Da wird der Krampus
liebt (unwillkürlich lächelte ich geschmeichelt), werden noch große Leiden¬
mein „diable boiteux“ von Paris.
schaften erwecken (zu gütig, verehrte Frau, bitte, bitte!) Eine Leiche
Der Semmering hat in verschwenderischer Fülle seine Christ¬
liegt quer über den Weg, ein Schreck, der das ganze Leben bestimmt,
bäume geschickt, sogar die kostbare Edeltanne! Und in Gymnasien,
Sie machen Bücher und Bilder. Hüten Sie sich vor dem Feuer, das
Universität und Krankenhaus sind schon Weihnachtsferien. — Da haben
Wasser ist Ihnen günstiger, Sie steigen und steigen. Mit achtundachtzig
die lieben Irren Ruhe. Ja, ein so unheimliches Lehrfach wie das des
Jahren sterben Sie in Ihrem Bett! Hüten Sie sich vor dem Feuer —