V
box 23/3
18. Derei
Vo¬
Theater und Musik.
Ph. St. Im Lessing =Theater erschien
gestern (Donnerstag) neu einstudiert Artur
Schnitzlers seit zwei Jahren hier nicht ge¬
sehenes, bedeutsames Schauspiel „Der einsame
Weg“ und übte im dichtbesetzten Hause wieder
tiefgehende Wirkung aus. Die Darstellung dieser
Dichtung zählt zu den allerbesten, die diese
Saison gebracht hat.
Echt lautere Natur
ist
die Irene der
vielwandlungsfähigen
Else Lehmann, erfüllt von köstlichem, frisch
quellendem Humor und ergreifend in den
Momenten, da in dieser Gestalt das tiefe Weh
der um ihr Muttersehnen und um ihr Mutterglück
betrogenen Frau erwacht. Die tief angelegte,
komplizierte Mädchennatur der Johanna spielte
Irene Triesch mit dem jähen Temperament
der verlangenden und
der opferwilligen
Innigkeit des hingebenden Weibes. Oskar Sauer
gibt dem schlichten, lieben Professor Wegrath, den
die anderen nur einen Kunstbeamten heißen, und
der im Grunde doch eine tiefinnerliche Künstler¬
natur ist, eine Fülle liebenswürdiger, echt mensch¬
licher Züge. Der Herr von Sala ist eine
der besten,
wenn nicht die überhaupt
beste Schöpfung Bassermanns. Er erschöpft
völlig den Geistesgehalt dieser überlegenen,
vornehmen Natur, und die diesem Darsteller eigene
Kühlheit wird bei dieser Aufgabe zu besonderem
Vorzug. In der ungemein schwierigen Rolle des
jungen Leutnants bewährte sich das immer er¬
freulicher sich entwickelnde Talent des jungen
Herrn Stieler vollauf
er hatte ergreifende
Momente. Der Auffassung, in der Emanuel Reicher
den Julian spielte, kann ich freilich nicht zu¬
stimmen. Er gab ihn in zu weichen Linien und
nicht als einen, der mit seinem Genossen Sala!
nur so durch das Leben gerannt ist. Es fehlte
das Faszinierende, das die anderen an
Julian rühmen.
Reichers Auffassung
schien davon auszugehen, daß dieser Julian
nur ein Blender gewesen, nur in
den
Augen der anderen eiwas gegolten habe, aber
nicht wirklich ein Bedeutender und Eigenartiger
sei. Besonders im zweiten Akte verschob sich
dadurch das Bild Julians, wie wir es aus der !
Dichtung kennen. Im späteren Verlauf des
Abends, wo die Akzente in Julians Rolle schwerer
fallen und die Empfindung des alteinden Mannes
rückhaltlosen Ausdruck findet, kam Reichers Spiel
zu stärkerer und unmittelbarerer Wirkung.
„Der einsame Weg“ ist neben den „Lebendigen
Stunden“ Schnitzlers tiefste. geist= und gehalt¬
vollste Dichtung, eine Schöpfung von bleibendem
Wert auch als Dokument gewisser Strömungen
unserer Zeit. Ein solches Werk sollte eigentlich
nicht aus dem Repertoire verschwinden — die
gestrige Neueinstudierung verdanken wir dem Um¬
stande, daß das Leising=Theater bei seinem Wiener
Gastspiel das Stück dort vorführen wird. Daneben
werden unter anderem Schnitzlers „Puppenspieler“
und Hauptmanns „Elga“ sowie „Und Pippa tanzt“.
gespielt werden. All diese Dichtungen Hauptmanns
und Schnitzlers, also der beiden bedeutendsten
dramatischen Dichter unserer Zeit, sind nämlich
für Wien noch Novität! Dafür aber ist uns Wien
— erfreulicherweise — voraus in der Vorführung
der neuesten Schönthanereien und des neuesten
Philippi.
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18. Derei
Vo¬
Theater und Musik.
Ph. St. Im Lessing =Theater erschien
gestern (Donnerstag) neu einstudiert Artur
Schnitzlers seit zwei Jahren hier nicht ge¬
sehenes, bedeutsames Schauspiel „Der einsame
Weg“ und übte im dichtbesetzten Hause wieder
tiefgehende Wirkung aus. Die Darstellung dieser
Dichtung zählt zu den allerbesten, die diese
Saison gebracht hat.
Echt lautere Natur
ist
die Irene der
vielwandlungsfähigen
Else Lehmann, erfüllt von köstlichem, frisch
quellendem Humor und ergreifend in den
Momenten, da in dieser Gestalt das tiefe Weh
der um ihr Muttersehnen und um ihr Mutterglück
betrogenen Frau erwacht. Die tief angelegte,
komplizierte Mädchennatur der Johanna spielte
Irene Triesch mit dem jähen Temperament
der verlangenden und
der opferwilligen
Innigkeit des hingebenden Weibes. Oskar Sauer
gibt dem schlichten, lieben Professor Wegrath, den
die anderen nur einen Kunstbeamten heißen, und
der im Grunde doch eine tiefinnerliche Künstler¬
natur ist, eine Fülle liebenswürdiger, echt mensch¬
licher Züge. Der Herr von Sala ist eine
der besten,
wenn nicht die überhaupt
beste Schöpfung Bassermanns. Er erschöpft
völlig den Geistesgehalt dieser überlegenen,
vornehmen Natur, und die diesem Darsteller eigene
Kühlheit wird bei dieser Aufgabe zu besonderem
Vorzug. In der ungemein schwierigen Rolle des
jungen Leutnants bewährte sich das immer er¬
freulicher sich entwickelnde Talent des jungen
Herrn Stieler vollauf
er hatte ergreifende
Momente. Der Auffassung, in der Emanuel Reicher
den Julian spielte, kann ich freilich nicht zu¬
stimmen. Er gab ihn in zu weichen Linien und
nicht als einen, der mit seinem Genossen Sala!
nur so durch das Leben gerannt ist. Es fehlte
das Faszinierende, das die anderen an
Julian rühmen.
Reichers Auffassung
schien davon auszugehen, daß dieser Julian
nur ein Blender gewesen, nur in
den
Augen der anderen eiwas gegolten habe, aber
nicht wirklich ein Bedeutender und Eigenartiger
sei. Besonders im zweiten Akte verschob sich
dadurch das Bild Julians, wie wir es aus der !
Dichtung kennen. Im späteren Verlauf des
Abends, wo die Akzente in Julians Rolle schwerer
fallen und die Empfindung des alteinden Mannes
rückhaltlosen Ausdruck findet, kam Reichers Spiel
zu stärkerer und unmittelbarerer Wirkung.
„Der einsame Weg“ ist neben den „Lebendigen
Stunden“ Schnitzlers tiefste. geist= und gehalt¬
vollste Dichtung, eine Schöpfung von bleibendem
Wert auch als Dokument gewisser Strömungen
unserer Zeit. Ein solches Werk sollte eigentlich
nicht aus dem Repertoire verschwinden — die
gestrige Neueinstudierung verdanken wir dem Um¬
stande, daß das Leising=Theater bei seinem Wiener
Gastspiel das Stück dort vorführen wird. Daneben
werden unter anderem Schnitzlers „Puppenspieler“
und Hauptmanns „Elga“ sowie „Und Pippa tanzt“.
gespielt werden. All diese Dichtungen Hauptmanns
und Schnitzlers, also der beiden bedeutendsten
dramatischen Dichter unserer Zeit, sind nämlich
für Wien noch Novität! Dafür aber ist uns Wien
— erfreulicherweise — voraus in der Vorführung
der neuesten Schönthanereien und des neuesten
Philippi.