II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 294

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18. Der einsane Neg
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Die Schaubühne
Der einsame Weg.
Das wiedergeborene Auge sieht auf die verwandelte Dichtung
und kann an nichts sicherer als an ihr ermessen, ob und worin
es gereift ist. Das wäre ein Kritiker — sagte mir einmal ein
berliner Theaterdirektor — eigentlich seinen Lesern schuldig: ihnen
regelmäßig Rechenschaft zu geben von seiner Weiterentwicklung,
seinen persönlichen Erlebnissen, seinen Eindrücken aus andern
Künsten. Seitdem die Kritik nicht mehr gesetzgeberisch, sondern
impressionistisch sei oder sein wolle, könne sich der einzelne Kritiker
denen, die auf ihn blicken, garnicht faßbar genug machen. Es
wäre die beste Erziehung des Lesers zur Selbständigkeit, wenn er
gezwungen würde, sich von Mal zu Mal vorzuhalten: hier urteilt
nicht eine gottähnlich unfehlbare Macht; hier urteilt ein Mann
von bestimmter geistiger Herkunft, von eigentümlicher literarischer
Bildung, von besonderm künstlerischen Geschmack, von einmaliger
menschlicher Beschaffenheit; ich darf ihm nicht folgen, weil ich in
alledem ein andrer bin ... So sprach der kluge Theaterdirektor,
dem es unlieb war, daß das Publikum sich von der ehrlichen Kritik
vor einer schlechten Aufführung hatte warnen lassen. Unsereiner
wird sich sträuben, seine Forderung zu erfüllen. Die Spuren
schrecken. Erst in diesem Winter wieder hat Hermann Bahr für
den bloßen Versuch eines solchen „Tagebuchs“ Spott und Hohn
geerntet. Nein, es gibt vorläufig noch viel zu wenig Leser, denen
wir in diesem Sinne Rechenschaft schuldig wären. Wir sind sie
nur uns selber schuldig und tun genug, wenn wir nach der öffent¬
lichen Generalprobe, die das Lessing=Theater für sein wiener Gast¬
spiel vom „Einsamen Weg“ abgehalten hat, bekennen, nicht weshalb,
worin Dichtung und Darstellung neu, worin sie unverändert gewirkt
haben.
Auch diesmal ist jeder äußere Erfolg ausgeblieben. Aber
Schnitzler hat die Intellektuellen wieder so in seinen Bann ge¬
zogen, daß ihn die Anteillosigkeit der Menge weder zu schmerzen
braucht noch verwundern darf. Sein Mangel an Erfolg beruht
zu einem Teil auf dem Mangel an grellen Schlaglichtern, die für
den Durchschnitt das Dunkel feelischer Vorgänge erhellen. Denn
worauf es einem Psychologen von der Art Schnitzlers ankommt,
das sind nicht die Geschehnisse an sich, sondern die zarten Schwin¬
gungen, die durch die Geschehnisse in den beteiligten Menschen¬