II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 295

18. Der einsane Neg box 23/3
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Die Schaubühne
seelen hervorgerusen werden. Wie diese Menschenjeelen sich zu
einander bewegt haben, sich nah und näher gekommen und vor
einander geflohen sind, um hinfort einen einsamen Weg zu gehen:
da ist das bißchen Vorfabel der undramatischen Dichtung. Ihr
Inhalt aber ist: wie sich Schleier um Schleier von eben jener
Vergangenheit hebt, die die Vorbedingungen für das tragische Ende,
den melancholischen Anklang der Dichtung geschaffen hat.
Schnitzler stimmt weich und leise eine Elegie an. Es herbstelt,
das Laub fällt, und mit der Natur rüsten sich ein paar Menschen
zum Sterben, nehmen andre, stillgefaßt, ihren Abschied von den
Illusionen, dem Menschenglauben und der Hoffnung. Gealterte
Augen blicken auf ein vergangenes Leben zurück und erkennen,
daß es ein verlorenes Leben war. Junge Augen blicken seherhaft
hell in eine Zukunft, die ihnen das Leben nicht lebenswert
erscheinen laßt. Gegenseitige Schuldverstrickung löst sich, und
Schicksale werden offenbar, die zwar die Herzen nicht brachen,
aber ihnen einen Riß für immer gaben. Von vielen Lebenslügen
und unerfüllbaren idealen Forderungen fallen die Hüllen, und
gegenüber stehen sich, entblößt und traurig, „Betrogene und
Betrüger". Der dieses Wort die Einsicht der Todesstunde
eingibt, Frau Gabriele Wegrath, hat ihrem Gatten vor drei¬
undzwanzig Jahren einen Sohn geboren, auf den nach ihrem
Tode Julian Fichtner Vaterrechte geltend macht. Diesem
Maler sind in blühender Jugend Gelübde und bürgerliche Moral
Mächte gewesen, denen sich sein individueller Freiheitsdrang durch¬
aus gewachsen gezeigt hat. Jetzt aber, da seiner vereinsamten
Seele die Schwungkraft verloren gegangen ist, möchte er auf den
Trümmern der Vergangenheit ein letztes Glück ergreifen; will er
weiter nichts, als seinem Sohn ein Vater sein. Er muß es er¬
leben, wie das Bekenntnis seiner Vaterschaft ihm den Sohn, seinen
bisherigen Freund Felix, entfremdet, der fühlt, daß man sehr wenig
für einen Menschen getan hat, wenn man nichts tat, als ihn in
die Welt setzen. Und Julian wird den Weg hinab so allein
gehen, wie ihn alle gehen müssen, die „niemandem gehört haben.“
Wieder ist es ein Todeskandidat, der in eine erklärende Re¬
flexion faßt, was nicht ganz „verdichtet“, das heißt, in Handlung
der Charakteristik umgesetzt worden ist. Der Dichter Stephan
von Sala ist es, dessen Verhältnis zu Felix Wegraths Schwester
Johanna die zweite Handlung des Dramas bildet, dessen Nieder¬