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18. Der einsane Neg
Die Schaubühne
für den Zuschauer immer überzeugend durchschimmern lassen.
Die Triesch ist für problematische Seelen wie Johanna Weg¬
rath geschaffen. Johanna ist unter den Wissenden und Nicht¬
wissenden die Ahnerin. Die Triesch hat das Auge, das
ins Unsichtbare blickt, und sie hat auch die jäh aus¬
brechende Leidenschaft einer ersten und letzten Liebe. Es war
nicht ihre Schuld, daß man sich wieder nicht in Johannens
Seelenleben einfühlen konnte oder wollte. Es ist freilich ebenso¬
wenig Schnitzlers Schuld, und ich begreife intelligente Kritiker
nicht, die in vorwurfsvollem Tone fragen, warum Johanna eigent¬
lich ins Wasser geht. Warum? Sala ist dem Tode verfallen,
und sie erträgt den Gedanken nicht, den Geliebten zu überleben.
Irene Herms ist von anderm Schlag, und die Lehmann, die ja
sonst die Schlichtheit selber ist, trifft meisterhaft den Ton, um
den eine Schauspielerin Leid und Freud lauter empfindet und
forcierter äußert als jedes andre Menschenkind.
Das Glück und der Glanz der Vorstellung aber ist Basser¬
manns Sala. Vielleicht wird man in Wien, weil die Stücke sich
im Motiv ähneln, an Sonnenthals Mortemer denken und die Art,
wie dieser alte Junggeselle mit eindringlichen, beredten, aber ma߬
voll geregelten Geberden spricht, und wie seine ans Sündhafte
streifende Galanterie und Schwerenötrigkeit sich höchst wolgefällig
zu machen sucht, vielleicht wird man diese Art, weltmännische
Geschmeidigkeit und die chevalereskesten Manieren nicht nur zu
besitzen, sondern auch zu zeigen, der nördlicheren Absichtslosigkeit
unsers Bassermann vorziehen. Das wäre schade, nicht für uns,
aber für die Wiener, die, im modernen Drama, diesem Sala
heute nichts entgegenzusetzen haben. Sala hat sich von Jugend
auf bemüht, sein Leben zu schmücken, ihm Stil zu geben, er sei,
woher er sei. Auf der Höhe dieses Lebens ist er mit der edelsten
Kulturfinesse des Europäers umgeben. Er hat den bezaubernden
Charme des Parisers und die überlegene Gemessenheit und Zurück¬
haltung des Engländers. Das vereinigt Bassermann mit der
sublimsten Selbstverständlichkeit. Das allein aber wäre für diesen
prachtvollen grauen Künstlerkopf zu wenig. Er ist auch von der
Tragik lebenslänglicher Einsamkeit und von einer Poesie der Tod¬
geweihtheit umwittert, die die Gestalt ganz ins Große rücken und
eine Erschütterung von ihr ausgehen lassen, wie nur von den
höchsten Gebilden der Kunst.
18. Der einsane Neg
Die Schaubühne
für den Zuschauer immer überzeugend durchschimmern lassen.
Die Triesch ist für problematische Seelen wie Johanna Weg¬
rath geschaffen. Johanna ist unter den Wissenden und Nicht¬
wissenden die Ahnerin. Die Triesch hat das Auge, das
ins Unsichtbare blickt, und sie hat auch die jäh aus¬
brechende Leidenschaft einer ersten und letzten Liebe. Es war
nicht ihre Schuld, daß man sich wieder nicht in Johannens
Seelenleben einfühlen konnte oder wollte. Es ist freilich ebenso¬
wenig Schnitzlers Schuld, und ich begreife intelligente Kritiker
nicht, die in vorwurfsvollem Tone fragen, warum Johanna eigent¬
lich ins Wasser geht. Warum? Sala ist dem Tode verfallen,
und sie erträgt den Gedanken nicht, den Geliebten zu überleben.
Irene Herms ist von anderm Schlag, und die Lehmann, die ja
sonst die Schlichtheit selber ist, trifft meisterhaft den Ton, um
den eine Schauspielerin Leid und Freud lauter empfindet und
forcierter äußert als jedes andre Menschenkind.
Das Glück und der Glanz der Vorstellung aber ist Basser¬
manns Sala. Vielleicht wird man in Wien, weil die Stücke sich
im Motiv ähneln, an Sonnenthals Mortemer denken und die Art,
wie dieser alte Junggeselle mit eindringlichen, beredten, aber ma߬
voll geregelten Geberden spricht, und wie seine ans Sündhafte
streifende Galanterie und Schwerenötrigkeit sich höchst wolgefällig
zu machen sucht, vielleicht wird man diese Art, weltmännische
Geschmeidigkeit und die chevalereskesten Manieren nicht nur zu
besitzen, sondern auch zu zeigen, der nördlicheren Absichtslosigkeit
unsers Bassermann vorziehen. Das wäre schade, nicht für uns,
aber für die Wiener, die, im modernen Drama, diesem Sala
heute nichts entgegenzusetzen haben. Sala hat sich von Jugend
auf bemüht, sein Leben zu schmücken, ihm Stil zu geben, er sei,
woher er sei. Auf der Höhe dieses Lebens ist er mit der edelsten
Kulturfinesse des Europäers umgeben. Er hat den bezaubernden
Charme des Parisers und die überlegene Gemessenheit und Zurück¬
haltung des Engländers. Das vereinigt Bassermann mit der
sublimsten Selbstverständlichkeit. Das allein aber wäre für diesen
prachtvollen grauen Künstlerkopf zu wenig. Er ist auch von der
Tragik lebenslänglicher Einsamkeit und von einer Poesie der Tod¬
geweihtheit umwittert, die die Gestalt ganz ins Große rücken und
eine Erschütterung von ihr ausgehen lassen, wie nur von den
höchsten Gebilden der Kunst.