II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 315

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22. Mai 1906
mit dem Schnitzlerschen Geiste geht es mir, namentlich wenn
ich ihn für tief halten soll, seltsam. Bei allen diesen schein¬
bür tiefen Worten kommt immer die Empfindung, daß sie
wahr sein können — aber wenn man sie umkehrt, was zu¬
meist mühelos möglich ist, so bleiben sie noch immer wahr.
Es ist ein Fangballspiel mit sorgsam geseilten, glitzernden
T
Aphorismen, die Arbeit eines kultivierten, wohl trainierten
Theater, Kunst und Literatm.,
Intellekts, die aber an der Oberfläche bleibt, spielerisch bleibt
(Das Gastspiel der Berliner in Wien.) Aus Wien
und nie Empfindung weckt, weil sie nie aus der Empfindung
pird uns geschrieben: Wie alljährlich im Frühling, so ist
kommt. Ein gewisser koletter Zug steckt in dieser überlegen
auch heuer die Invasion von Berliner Bühnenkunst in Wien
sein wollenden Melancholie. Bassermann und die Leh¬
wieder erfolgt. Diesmal unter der Führung Otto Brahms.
mann waren trefflich, das andere war wieder zweiter Güte.
Das Ensemble des „Lessing=Theaters“ spielt nun im Thea¬
Die so berühmte Aufführung von „Rosmersholm“
ter an der Wien einige Stücke seines Berliner Repertoires,
hat hier direkt enttäuscht. Reicher macht aus dem Rosmer
die man bei uns bisher noch nicht zu sehen bekommen hatte.
einen Prediger, er spricht ihn pastoral herunter, was da¬
und andere, deren Aufführung durch die Leute Brahms
durch nicht besser wird, das er sich nie ganz vom Jargon
als mustergültig gilt oder galt. Zu den ersteren gehören
befreien kann und immer ein wenig jüdelt. Von der stock¬
Gerhart Hauptmanns „Elga“ und Artur Schnitzlers „Der
germanischen Figur der Rebekka West hat Irene Triesch
einsame Weg“ zu den letzteren „Rosmersholm", „Der
keine Ahnung. Sie spielt wieder das hysterische Nerven¬
Biberpelz“ und die „Weber“. Der Anfang wurde mit
weib und ihr prononziertes Aussehen hilft mit, das Bild
„Elga gemacht. Das Stück ist bekanntlich eine Drama¬
unmöglich zu machen. Vortrefflich waren Bassermann als
tisierung von Grillparzers meisterhafter Erzählung „Das
Ulrich Brendel und Forest als Mortensgaard. — Als Land¬
Hauptmann nennt es „Noc¬
Kloster von Sendomir“
rat von Wehrhahn im„Biberpelz“ ist Oskar Sauer noch
turum“, ein Nachtstück. Er hält sich nicht durchaus an
immer unübertrefflich und die Else Lehmann ist eine aus¬
Grillparzer. In der Novelle erzählt der Mönch gewordene
gezeichnete Mutter Wulfen. Aber das andere! Wiederum
Graf Starschenski dem deutschen Ritter, der im Kloster von
zweite Güte, Schauspieler, deren größter Teil in Wien auf
Sendomir Nachtherberge genommen, seine und seines Hau¬
einer größeren Bühne unmöglich wäre Hätte man in Wien
ses Schicksale. Bei Hauptmann tritt Graf Starschenski
nicht die traurige Neigung, alles Fremde auf Kosten des
auch als Mönch auf; aber er macht über die Vergangenheit
Heimischen in alle Himmel hinaufzuloben, so würde man
nur dunkle Andeutungen. Die Geschichte des Grafen und
dieses Ensemble weit niedriger und seinem Werte ent¬
seiner schönen treulosen Gattin erfährt der Ritter durch einen
sch—
sprechend einschätzen.
schweren Traum, der ihn in jenem Turmgemache über¬
kommt, in dem sich seinerzeit der letzte Akt der Lebenstragö¬
die Starschenskis abgespielt hat. Auch die Gestalt der Elga
hat Hauptmann anders gezeichnet als Grillparzer. Während
sie bei diesem den Gatten betrügt, weil sie in alter Jugend¬
liebe an ihrem Vetter Oginski hängt, ist sie bei Hauptmann
das liebesgierige Nervenweib, eine schwarze Spielart der
bekannten „blonden Bestie“ ohne jede Spur von romanti¬
schen Neigungen. Ihr steht der geradlinige Starschenski
gleich einer anderen Naturkraft entgegen. Immerhin sind
genug der romantischen Schauer geblieben. Ohne Unter¬
brechung, mit kurzen Pausen, die durch das nächtliche Pfal¬
modieren der Mönche ausgefüllt werden, spielt sich der Vor¬
gang ab — wirklich ein grausiges Nachtstück. Man mag
manchmal die Effekte kraß und theatralisch finden — den¬
noch kann man sich einer stärkeren Wirkung nicht entziehen.
Dazu trägt vor allem die prachtvolle Darstellung des Grafen
Starschenski durch Adolf Rittner bei. Er bringt eine
geschlossene Gestalt aus einem Gusse, ergreifend in seinem
Schmerz, fürchterlich in Zorn und Rache. Die Elga spielt
Irene Triesch. Einzelne Szenen gelingen, in anderen
versagt sie völlig; im Vergleiche zu Rittner läßt sich sagen:
Er lebt seine Rolle, sie spielt die ihre. Alle anderen
Darsteller sind zweiter Güte. Dem „Nocturum“ Haupt¬
manns geht ein Einakter, Schnitzlers „Der Puppen¬
spieler“ voraus, eine geistreiche Plauderei, die, gelesen,
eine unterhaltende Stunde verschaffen mag, aber auf der
Bühne ermüdend fast langweilig wirkt. Den Puppenspie¬
ler, den Mann, der mit den Menschen gleichwie mit Pup¬
pen zu spielen meint und dabei in jeder Beziehung zum
armen Teufel wird, spielt Bassermann ausgezeichnet.
— So wenig wirkliches Leben wie der „Puppenspieler“ hat
auch Schnitzlers „Der einsame Weg“, die Tragödie
der Egoisten, der genialen Lebenskünstler, die jeden Genuß
des Lebens skrupellos genossen haben, die immer nur neh¬
men, ohne zu geben und deren letztes Los die Vereinsamung
ist. Das Problem ist interessant und könnte, in einem Ro¬
man verarbeitet, zu reinen künstlerischen Wirkungen führen.
Aber auf der Bühne macht Schnitzlers Arbeit einen gekün¬
stelten Eindruck, all der Geist riecht nach der Lampe, alle
— bis auf die
Gestalten sind konstruiert, blutlos und leer
geistreichen oder geistreichelnden Dinge, die sie fortwährend
reden. Sie sagen wirklich ein paar hübsche Worte. Aber