Johanna: Als die kleine Lilli von Sala sterben mußte,
hab ich es gewußt — bevor die anderen ahnten, daß sie krank würde.
Gelungener hat Otto Erich Hartleben in seiner bekannten
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burschilosen Parodie den Ibsen=Dialekt nicht übertrieben. Herr von
18. Der einsane Nex
Sala tritt auf, Schriftsteller, ebenso reich als herzleidend, will,
um die Zeit, die ihm noch gegönnt ist, recht auszuschlürfen, sich
einer Entdeckungsexpedition anschließen, die in Baktrien eine
verschüttete Riesenstadt bloßzulegen beabsichtigt. Eine Dialogprobe:
Sala (einfach): Johanna, haben Sie gewußt, daß ich Sie
damals sah?
Johanna: Wann?
Sala: Im vorigen Jahre, als Sie auf dem Lande wohnten
und ich einmal in der Mansarde übernachtete. Es war heller Mond¬
schein, und eine Elfe, glaub, ich, schwebte auf der Wiese umher.
ohanna (nickt lächelnd).
Sala: Schwebte sie für mich?
Johanna: Ich habe Sie wohl gesehen, wie Sie hinter dem
Vorhang standen.
a (nach einer kleinen Pause): So werden Sie vor anderen
Menschen wahrscheinlich doch nie tanzen?
ohanna: Warum? Ich habe wohl schon. Und Sie haben
Es war auf
mir auch damals zugesehen. Es ist freilich lange her.
einer griechischen Insel. Viele Männer standen im Kreise um mich her.
Sie w#ren unter ihnen, — und ich war eine Sklavin aus Lydien.
Dir Rede kommt auf Fichtner, einen weltfahrenden Maler,
der einst ein Freund der Familie Wegrath war, als diese noch
bloß aus einem Ehepaar bestand. Er ist nämlich der Inkognito¬
vater des Erstgeborenen, des Felix. Frau Wegrath spricht über die
Affäre mit ihrem Hausarzt Dr. Reumann (Hans Marx), der ebenfalls
nicht ganz normal sein kann, da er diese Johanna heimlich liebt, sehr
gemütlich. Der Doktor erteilt ihr die Absolution: „Glücklich machen
ist besser, als schuldlos sein. Und da Ihnen das beschieden
war, haben Sie selbstverständlich alles gutgemacht . .. wenn Sie
ein Wort von so phantastischer Albernheit gestatten.“ Und
später: „Wir wollen keine allgemeinen Sätze aufstellen, gnädige
Frau. Damit sind die geradesten Dinge so sehr ins Schwanken
und Zittern zu bringen, daß es auch die klarsten Augen zu
schwindeln anfängt. Aber ich für meinen Teil finde: eine Lüge,
die sich so stark erwiesen hat, daß sie den Frieden eines Hauses
tragen kann, ist mindestens so verehrungswürdig wie eine Wahr¬
heit, die nichts anderes vermöchte, als das Bild der Vergangen¬
heit zu zerstören, das Gefühl der Gegenwart zu trüben und die
Betrachtung der Zukunft zu verwirren.“
Hier hat nun Ibsen, der Wahrheitsfanatiker, freilich schon
abdiziert, um seinen Platz an Nietzsche abzutreten. Das schranken¬
lose Recht des Individualismus, ein Thema, das Schnitzler doch
schon genügend müde gehetzt hätte, wird nun in vier
weiteren Akten volkstümlich und unverständlich erörtert,
von ollen erdenklichen Seiten bespiegelt, ironisch und
pathetisch — nur leider fast gar nicht dramatisch behandelt. Nur
der zweite Alt ragt aus dem Strom der glatten, oft geistvoll¬
witzigen, öfter bloß bizarren Reden gleich einem Fels
kämpft und brandet. Else Le
empor, um den es
mann belebt ihn mit der genial ins Humoristische
hinüber gelotsten Gestalt einer von der Bühne geschiedenen
älteren Schauspielerin, die ihren ehemaligen Geliebten Fichtner der
Zerstörung ihres Lebensglückes mit dem einzigen Vorwurf
beschuldigt, daß er sie nicht der Mutterschaft teilhaftig gemacht.
Und er besitzt auch eine große, energisch gesteigerte Szene,
in welcher Fichtner seinem Sohne beichtet, wie er dessen
Mutter verführt und verlassen, wie er dessen Titularvater,
seinen Freund, bübisch hintergangen. Die beiden Dar¬
steller, Emanuel Reicher und Kurt Stieler,
leisteten Bewunderungswürdiges, um diese gewagte Auseinander¬
„Der einsame Weg.“# #
setzung nicht bloß zu retten, sondern zu hinreißender Wirkung zu
Vom Ensemble
(Schauspiel in fünf Akten von Artur Sch##t
erheben. Sie erfüllten die Bühne mit Menschenschicksalen und
des Berliner Lessin, Theaters zum ernenmat im Theater an der Wien
wuchsen weit über den Inhalt des ihnen zur Verfügung gestellten
aufgeführt am 15. Mai.)
Will man noch immer daran festhalten, daß Artur Schnitzler Wortes hinaus. Danach wurde Dr. Schnitzler vom ganzen Hause
ein selbstherrlicher Dichter sei? Das heißt einer, der aus seinen einmütig wiederholt und stürmisch vor die Rampe gerufen.
in dem der Sohn sich,
Mitteln und auf eigenem Grund einen Wunderbau aufrichten kann? Auch der dritte Akt,
seines natürlichen
Selbstsucht
Alles, was Schnitzler, von den kleinen, zierlichen litterarischen gestoßen von der
Lusthäuschen seiner Ansänge abgesehen, seit langem fertiggestellt, ist Vaters, an die Seite des ahnungslosen, gütigen Gatten
derart mit Hypothelen belastet, daß außer dem Besitztitel fast seiner Mutter stellt, gewann noch ehrlichen Beifall. Dann ging es
nichts davon ihm gehört. Auch sein jüngstes Stück ist nicht mehr rasch talwärts. Nach demn in einem Gartenbassin vollzogenen
als eitel Literatensertigkeit, „Fassadenkunst“, wie man jetzt von Selbstmord — Motiv unbekannt! — der von Irene Triesch mit
viel Opfermut geninen Johama oponerten gegen de Anflen
der verpflichteten Klatscher bereits Zischlaute, und noch mehr fiel
der Schlußakt ab, in dem Albert Bassermann (Sala), der bisher
seine auf spitzfindige Dialektik gestellte Rolle nicht recht
hatte der Monotonie enkleiden können, als Moriturus sich einen
O. 1—b.
grandiosen Abgang schuf.