18. Der einsane Neg
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Architekturwerken sagt, die nur durch das Aeußere, durch die Zweck¬
losigkeit einer entliehenen Schönheit blenden, die nur den
flüchtigen Beschauer ergötzen, in. denen sich aber nicht behaglich
weilen läßt.
Zuerst war Schnitzler ein französelnder Wiener. Sein.
Anatolismen amalgamierten immerhin Verwandtes. Aber in dem
Schauspiel, das gestern seine Wiener Première hatte — der Ort
der Handlung ist in der Nähe des Türkenschanzparkes — läßt
Schnitzler, der gewandte Puppenspieler, seine Figuren in der
Sprache Ibsens sprechen und da zeigt es sich mit greller Deutlich¬
keit, daß sie gar keine eigene Seele haben, daß sie nur ein
Scheinleben führ a, das zu Ende ist, sobald der Vorhang zum
letztenmal fällt und die Theaterdiener die Lichter auslöschen.
Die böse Ibsen=Influenza! Elast hat die Heine=Nach¬
ahmung — es ist natürlich immer nur von den insektiösen Ge¬
fahren der Form die Rede — eine qualvolle Literatenseuche
herbeigeführt und nun können wir uns der Schwarmgeister nicht
erwehren, die um das hell leuchtende, aber für sie tödliche Licht
des großen Menschenbildners Ibsen schwirren. Es muß einem
herzlich und aufrichtig leid tun, unter den servilen Höflingen des
zu
dramatischen Imperators unserer Zeit selbst einen Schnitzler
sehen, der damit die schönsten der Hoffnungen zerstört, die sein
Auftreten zu erwecken gewußt hat.
Die Behauptung, daß er im „Einsamen Weg“ einen Zug
fremdartiger Masken durch den Wienerwald ziehen läßt, erweist sich
schon durch ein paar Zitate aus dem einleitenden Akt. Im kleinen
lieben Gärtchen der Villa, die sich Wegrath (Oskar Sauer), Maler
und Direktor der Kunstakademie, im Währinger Cottageviertel
draußen erbaut hat, verkehren nur Menschen, deren Psyche ge¬
brochene Flügel hat, die, weiß Gott warum, fast allesamt innere
Zusammenbrüche erlitten haben. Die Frau Wegraths ist zum
Sterben, ihr Sohn Felix, ein Ulanenleutnant, ist telegraphisch
nach Wien berufen worden und in dem einleitenden Gespräch,
das er mit seiner Schwester Johanna. einer späten Jungfrau“,
hat, sagt diese:
„Ich habe sie nicht mehr so lieb, seit sie krank ist.“
Felix (befremdet): Wie?
Johanna: Nein, es ist unmöglich, daß du das ganz ver¬
Es ist, wie
stehen kannst. Immer weiter rückt sie von uns ab..
wenn jeden Tag neue Schleier über sie herabsänken.
Felix Und was sollte das zu bedeuten haben?
Johanna (sieht ihn ruhig an).
Felix: Du glaubst
Johanna: Ich täusche mich nicht in diesen Dingen, das weißt
du, Felix.
Felix: Ich weiß es?
Johanna: Als die kleine Lilli von Sala strben mußte,
hab' ich es gewußt — bevor die anderen ahnten, daß sie krank würde.
Gelungener hat Otto Erich Hartleben in seiner bekannten
burschikosen Parodie den Ibsen=Dialekt nicht übertrieben. Herr von
Sala tritt auf, Schriftsteller, ebenso reich als herzleidend, will,
um die Zeit, die ihm noch gegönnt ist, recht auszuschlürfen, sich
einer Entdeckungsexpedition anschließen, die in Baktrien eine
verschüttete Riesenstadt bloßzulegen beabsichtigt. Eine Dialogprobe:
Sala (einfach): Johanna, haben Sie gewußt, daß ich Sie
damals sah?
Johanna: Wann?
Sala: Im vorigen Jahre, als Sie auf dem Layde wohnten
und ich einmal in der Mansarde übernachtete. Es war heller Mond¬
schein, und eine Elfe, glaub, ich, schwebte auf der Wiese umher.
ohanna (nickt lächelnd).
Sala: Schwebte sie für mich?
Johanna: Ich habe Sie wohl gesehen, wie Sie hinter dem
Vorhang standen.
a (nach einer kleinen Pause): So werden Sie vor anderen
Menschen wahrscheinlich doch nie tanzen?
Johanna: Warum? Ich habe wohl schon. Und Sie haben
Es war auf
mir auch damals zugesehen. Es ist freilich lange her.
einer griechischen Insel. Viele Männer standen im Kreise um mich her.
Sie waren unter ihnen, — und ich war eine Sklavin aus Lydien.
Die Rede kommt auf Fichtner, einen weltfahrenden Maler,
der einst ein Freund der Familie Wegrath war, als diese noch
bloß aus einem Ehepaar bestand. Er ist nämlich der Inkognito¬
vater des Erstgeborenen, des Felix. Frau Wegrath spricht über die
Affäre mit ihrem Hausarzt Dr. Reumann (Hans Marx), der ebenfalls
nicht ganz normal sein kann, da er diese Johanna heimlich liebt, sehr
gemütlich. Der Doktor erteilt ihr die Absolution: „Glücklich machen
ist besser, als schuldlos sein. Und da Ihnen das beschieden
war, haben Sie selbstverständlich alles gutgemacht . .. wenn Sie
phantastischer Albernheit gestatten.“ Und
ein Wort von so
später: „Wir wollen keine allgemeinen Sätze aufstellen, gnädige
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Architekturwerken sagt, die nur durch das Aeußere, durch die Zweck¬
losigkeit einer entliehenen Schönheit blenden, die nur den
flüchtigen Beschauer ergötzen, in. denen sich aber nicht behaglich
weilen läßt.
Zuerst war Schnitzler ein französelnder Wiener. Sein.
Anatolismen amalgamierten immerhin Verwandtes. Aber in dem
Schauspiel, das gestern seine Wiener Première hatte — der Ort
der Handlung ist in der Nähe des Türkenschanzparkes — läßt
Schnitzler, der gewandte Puppenspieler, seine Figuren in der
Sprache Ibsens sprechen und da zeigt es sich mit greller Deutlich¬
keit, daß sie gar keine eigene Seele haben, daß sie nur ein
Scheinleben führ a, das zu Ende ist, sobald der Vorhang zum
letztenmal fällt und die Theaterdiener die Lichter auslöschen.
Die böse Ibsen=Influenza! Elast hat die Heine=Nach¬
ahmung — es ist natürlich immer nur von den insektiösen Ge¬
fahren der Form die Rede — eine qualvolle Literatenseuche
herbeigeführt und nun können wir uns der Schwarmgeister nicht
erwehren, die um das hell leuchtende, aber für sie tödliche Licht
des großen Menschenbildners Ibsen schwirren. Es muß einem
herzlich und aufrichtig leid tun, unter den servilen Höflingen des
zu
dramatischen Imperators unserer Zeit selbst einen Schnitzler
sehen, der damit die schönsten der Hoffnungen zerstört, die sein
Auftreten zu erwecken gewußt hat.
Die Behauptung, daß er im „Einsamen Weg“ einen Zug
fremdartiger Masken durch den Wienerwald ziehen läßt, erweist sich
schon durch ein paar Zitate aus dem einleitenden Akt. Im kleinen
lieben Gärtchen der Villa, die sich Wegrath (Oskar Sauer), Maler
und Direktor der Kunstakademie, im Währinger Cottageviertel
draußen erbaut hat, verkehren nur Menschen, deren Psyche ge¬
brochene Flügel hat, die, weiß Gott warum, fast allesamt innere
Zusammenbrüche erlitten haben. Die Frau Wegraths ist zum
Sterben, ihr Sohn Felix, ein Ulanenleutnant, ist telegraphisch
nach Wien berufen worden und in dem einleitenden Gespräch,
das er mit seiner Schwester Johanna. einer späten Jungfrau“,
hat, sagt diese:
„Ich habe sie nicht mehr so lieb, seit sie krank ist.“
Felix (befremdet): Wie?
Johanna: Nein, es ist unmöglich, daß du das ganz ver¬
Es ist, wie
stehen kannst. Immer weiter rückt sie von uns ab..
wenn jeden Tag neue Schleier über sie herabsänken.
Felix Und was sollte das zu bedeuten haben?
Johanna (sieht ihn ruhig an).
Felix: Du glaubst
Johanna: Ich täusche mich nicht in diesen Dingen, das weißt
du, Felix.
Felix: Ich weiß es?
Johanna: Als die kleine Lilli von Sala strben mußte,
hab' ich es gewußt — bevor die anderen ahnten, daß sie krank würde.
Gelungener hat Otto Erich Hartleben in seiner bekannten
burschikosen Parodie den Ibsen=Dialekt nicht übertrieben. Herr von
Sala tritt auf, Schriftsteller, ebenso reich als herzleidend, will,
um die Zeit, die ihm noch gegönnt ist, recht auszuschlürfen, sich
einer Entdeckungsexpedition anschließen, die in Baktrien eine
verschüttete Riesenstadt bloßzulegen beabsichtigt. Eine Dialogprobe:
Sala (einfach): Johanna, haben Sie gewußt, daß ich Sie
damals sah?
Johanna: Wann?
Sala: Im vorigen Jahre, als Sie auf dem Layde wohnten
und ich einmal in der Mansarde übernachtete. Es war heller Mond¬
schein, und eine Elfe, glaub, ich, schwebte auf der Wiese umher.
ohanna (nickt lächelnd).
Sala: Schwebte sie für mich?
Johanna: Ich habe Sie wohl gesehen, wie Sie hinter dem
Vorhang standen.
a (nach einer kleinen Pause): So werden Sie vor anderen
Menschen wahrscheinlich doch nie tanzen?
Johanna: Warum? Ich habe wohl schon. Und Sie haben
Es war auf
mir auch damals zugesehen. Es ist freilich lange her.
einer griechischen Insel. Viele Männer standen im Kreise um mich her.
Sie waren unter ihnen, — und ich war eine Sklavin aus Lydien.
Die Rede kommt auf Fichtner, einen weltfahrenden Maler,
der einst ein Freund der Familie Wegrath war, als diese noch
bloß aus einem Ehepaar bestand. Er ist nämlich der Inkognito¬
vater des Erstgeborenen, des Felix. Frau Wegrath spricht über die
Affäre mit ihrem Hausarzt Dr. Reumann (Hans Marx), der ebenfalls
nicht ganz normal sein kann, da er diese Johanna heimlich liebt, sehr
gemütlich. Der Doktor erteilt ihr die Absolution: „Glücklich machen
ist besser, als schuldlos sein. Und da Ihnen das beschieden
war, haben Sie selbstverständlich alles gutgemacht . .. wenn Sie
phantastischer Albernheit gestatten.“ Und
ein Wort von so
später: „Wir wollen keine allgemeinen Sätze aufstellen, gnädige