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18. Der einsane Neg
Gastspiel des Berliner Lessing= daß den Darstellern die Aufgabe erwächst, das
Droblematische der Dichtung durch eigenes, warm
Theaters. Ich fürchte, Direktor Brahm wird
pulsierendes Empfindungsleben zu paralysieren.
heuer mit einer ungünstigen Pflanz Nach Berlin
Dieses ausgleichende Werk der Ergänzung aber
zurückkehren, Auy dem Gastshiel se'per Truppe,
wollte nur Frau Lehmann und herrn Basser¬
das bereits dem Ende nahtist ihm bisher noch
mann gelingen. Und was man hier noch als
kein lohnender Gewinn erblüht. Weder an
eine besondere Störung empfand, das ist die
Lorbeer noch an Gold. Und das begreift sich
prononciert norddeutsche Mundart, in der die
leicht. Daß sich mit der verunglückten „Elga“
Berliner Gäste das in Wien spielende Stück
von Gerhart Hauptmann oder dem „einsamen
sprechen. Dennoch wurde die Aufführung mit
Weg“ von Artur Schnitzler keine Geschäfte
demonstrativem Beifall aufgenommen, und man
machen lassen, mußte er voraussehen, und es
konnte aus ihm deutlich den an die Wiener
war eine unbedachte Vermessenheit, „Ros¬
Theaterdirektoren adressierten Vorwurf heraus¬
mersholm“ durch zwei Wochen hindurch als
hören, daß erst Berliner Schauspieler nach Wien
eine Sensation zu forcieren. Was Direktor Brahm
kommen mußten, um uns die Bekanntschaft
aber sonst noch aus dem älteren Repertoire
eines Wiener Schauspieles zu vermitteln. Und
des Lessing=Theaters brachte, war in der schau¬
der Dorwurf war um so berechtigter, als es
spielerischen Wiedergabe kaum so hoch und voll¬
sich hier um das Ernsteste und Tiefste handelt,
endet, daß man es unbedingt gesehen haben
was wir aus der Feder Artur Schnitzlers be¬
muß. Ob die Berliner Hauptmann, Ibsen,
sitzen. Ebenso gewiß aber auch ist es, daß der
Schnitzler oder Arno holz spielen, es ist halt
„Einsame Weg“ auch in der denkbar voll¬
immer der gleich pedantische Drill mit dem
kommensten Darstellung durch heimische Schau¬
gleich nüchternen Realismus, wenig Phantasie,
spieler nicht mehr als einen Achtungserfolg er¬
viel Verstand und noch mehr Prätention und
rungen hätte. Denn das Werk ist ein dialogi¬
als Fettaugen auf der Bettelsuppe zwei wirk¬
sierter Roman, zwar überaus fein und geistvoll
lich hervorragende künstlerische Individuali¬
dialogisiert, aber von direkt antitheatralischer
täten: Else Lehmann und Albert Basser¬
Struktur. Wer einmal Bühnenerfolge einge¬
mann. Dagegen gerät Emanuel Reicher
heimst hat, scheint ihren süßen Lockungen nicht
immer mehr in ein schmalziges Pathos und
mehr widerstehen zu können. Er wird aus
Irene Triesch in eine immer unsteter flackernde
einem Stoff, der nach epischer Behandlung
Psyche, bar jeder Großzügigkeit. Und gerade
schreit, lieber ein schlechtes Theaterstück machen,
diesen beiden Leuten ist im Gastspielplane des
als eine gute Novelle. Zu hause, ganz zu
Lessing=Theaters der größte Wirkungskreis ein¬
hause waren dagegen die Berliner Gäste wieder
geräumt. Ihnen ward nicht nur die Aufgabe,
in hauptmanns „Biberpelz“. Diese in ihrer
den Pastor Rosmer und die Rebekka West zu
Art einzige Komödie hat zwar schon viel von
spielen, sie hatten auch in Schnitzlers Schau¬
ihren naturalistisch=satirischen Reizen eingebüßt:
spiel „Der einsame Weg“ die heikelsten Ge¬
was an ihr Zustandsschilderung ist, beginnt
stalten zu verkörpern. Was sich ihrem nach¬
uns heute bereits an die Nerven zu gehen, und
spürenden Verstand entzog, blieb ihnen jedoch
was in ihr an Spott auf das preußische Junker¬
unerreichbar, dem einen der melodische Ausklang
tum aufgespeichert ist, mutet uns oft wie ein
eines Lebenskünstlers, in dem noch die sugge¬
alter Jahrgang des „Simplizissimus“ an. Allein
stive Kraft einer überschäumenden Jugend me¬
wie Frau Lehmann die Waschfrau Wolff
lancholisch nachzittert, der anderen die seelische
und Herr Oskar Sauer den Amtsvorsteher
Depression eines selbstsüchtigen Mädchens, das,
spielt, das steht noch immer außer Wettbewerb,
nach der ersten Befriedigung des ersehnten
das bleibt noch immer unerreicht. Unerreicht
Lebensgenusses, vom Ekel erfaßt, lieber das
wie die grandiose Leistung des herrn Basser¬
Leben fortwirft, als es mit einem moralischen
mann als Professor Niemeier in „Traumulus“.
und physischen Katzenjammer in eine ungewisse
Durch sie wurde das streng gehütete Prinzip
Zukunft fortzufristen. Was Schnitzler in seinem
des Ensemblespieles beinahe zum Starsystem.
Schauspiel darzustellen sucht, ist an sich schon
Theodor Autropp.
so versonnen und ins Gedankliche verstiegen,
Österreichische Rundschau, hest 82, 85. □ Redaktionsschluß 19. Mai 1906. □ Ausgegeben 24. Mai 1906.
Herausgeber: Dr. Alfred Freiherr von Berger, Dr. Karl Glossy. S Verantwortlicher Redakteur: Dr. Zugo Haberfeld.
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18. Der einsane Neg
Gastspiel des Berliner Lessing= daß den Darstellern die Aufgabe erwächst, das
Droblematische der Dichtung durch eigenes, warm
Theaters. Ich fürchte, Direktor Brahm wird
pulsierendes Empfindungsleben zu paralysieren.
heuer mit einer ungünstigen Pflanz Nach Berlin
Dieses ausgleichende Werk der Ergänzung aber
zurückkehren, Auy dem Gastshiel se'per Truppe,
wollte nur Frau Lehmann und herrn Basser¬
das bereits dem Ende nahtist ihm bisher noch
mann gelingen. Und was man hier noch als
kein lohnender Gewinn erblüht. Weder an
eine besondere Störung empfand, das ist die
Lorbeer noch an Gold. Und das begreift sich
prononciert norddeutsche Mundart, in der die
leicht. Daß sich mit der verunglückten „Elga“
Berliner Gäste das in Wien spielende Stück
von Gerhart Hauptmann oder dem „einsamen
sprechen. Dennoch wurde die Aufführung mit
Weg“ von Artur Schnitzler keine Geschäfte
demonstrativem Beifall aufgenommen, und man
machen lassen, mußte er voraussehen, und es
konnte aus ihm deutlich den an die Wiener
war eine unbedachte Vermessenheit, „Ros¬
Theaterdirektoren adressierten Vorwurf heraus¬
mersholm“ durch zwei Wochen hindurch als
hören, daß erst Berliner Schauspieler nach Wien
eine Sensation zu forcieren. Was Direktor Brahm
kommen mußten, um uns die Bekanntschaft
aber sonst noch aus dem älteren Repertoire
eines Wiener Schauspieles zu vermitteln. Und
des Lessing=Theaters brachte, war in der schau¬
der Dorwurf war um so berechtigter, als es
spielerischen Wiedergabe kaum so hoch und voll¬
sich hier um das Ernsteste und Tiefste handelt,
endet, daß man es unbedingt gesehen haben
was wir aus der Feder Artur Schnitzlers be¬
muß. Ob die Berliner Hauptmann, Ibsen,
sitzen. Ebenso gewiß aber auch ist es, daß der
Schnitzler oder Arno holz spielen, es ist halt
„Einsame Weg“ auch in der denkbar voll¬
immer der gleich pedantische Drill mit dem
kommensten Darstellung durch heimische Schau¬
gleich nüchternen Realismus, wenig Phantasie,
spieler nicht mehr als einen Achtungserfolg er¬
viel Verstand und noch mehr Prätention und
rungen hätte. Denn das Werk ist ein dialogi¬
als Fettaugen auf der Bettelsuppe zwei wirk¬
sierter Roman, zwar überaus fein und geistvoll
lich hervorragende künstlerische Individuali¬
dialogisiert, aber von direkt antitheatralischer
täten: Else Lehmann und Albert Basser¬
Struktur. Wer einmal Bühnenerfolge einge¬
mann. Dagegen gerät Emanuel Reicher
heimst hat, scheint ihren süßen Lockungen nicht
immer mehr in ein schmalziges Pathos und
mehr widerstehen zu können. Er wird aus
Irene Triesch in eine immer unsteter flackernde
einem Stoff, der nach epischer Behandlung
Psyche, bar jeder Großzügigkeit. Und gerade
schreit, lieber ein schlechtes Theaterstück machen,
diesen beiden Leuten ist im Gastspielplane des
als eine gute Novelle. Zu hause, ganz zu
Lessing=Theaters der größte Wirkungskreis ein¬
hause waren dagegen die Berliner Gäste wieder
geräumt. Ihnen ward nicht nur die Aufgabe,
in hauptmanns „Biberpelz“. Diese in ihrer
den Pastor Rosmer und die Rebekka West zu
Art einzige Komödie hat zwar schon viel von
spielen, sie hatten auch in Schnitzlers Schau¬
ihren naturalistisch=satirischen Reizen eingebüßt:
spiel „Der einsame Weg“ die heikelsten Ge¬
was an ihr Zustandsschilderung ist, beginnt
stalten zu verkörpern. Was sich ihrem nach¬
uns heute bereits an die Nerven zu gehen, und
spürenden Verstand entzog, blieb ihnen jedoch
was in ihr an Spott auf das preußische Junker¬
unerreichbar, dem einen der melodische Ausklang
tum aufgespeichert ist, mutet uns oft wie ein
eines Lebenskünstlers, in dem noch die sugge¬
alter Jahrgang des „Simplizissimus“ an. Allein
stive Kraft einer überschäumenden Jugend me¬
wie Frau Lehmann die Waschfrau Wolff
lancholisch nachzittert, der anderen die seelische
und Herr Oskar Sauer den Amtsvorsteher
Depression eines selbstsüchtigen Mädchens, das,
spielt, das steht noch immer außer Wettbewerb,
nach der ersten Befriedigung des ersehnten
das bleibt noch immer unerreicht. Unerreicht
Lebensgenusses, vom Ekel erfaßt, lieber das
wie die grandiose Leistung des herrn Basser¬
Leben fortwirft, als es mit einem moralischen
mann als Professor Niemeier in „Traumulus“.
und physischen Katzenjammer in eine ungewisse
Durch sie wurde das streng gehütete Prinzip
Zukunft fortzufristen. Was Schnitzler in seinem
des Ensemblespieles beinahe zum Starsystem.
Schauspiel darzustellen sucht, ist an sich schon
Theodor Autropp.
so versonnen und ins Gedankliche verstiegen,
Österreichische Rundschau, hest 82, 85. □ Redaktionsschluß 19. Mai 1906. □ Ausgegeben 24. Mai 1906.
Herausgeber: Dr. Alfred Freiherr von Berger, Dr. Karl Glossy. S Verantwortlicher Redakteur: Dr. Zugo Haberfeld.
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