II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 353

18. Der einsane Neg
Kleines Feuilleton. #
Frankfurt, 19. Mai.
g [Wiener Theater.] Man schreibt uns aus Wien:
Arthur-Sch##er hat in Wien eine Gemeinde, die sich
aus allen Schichten der Gesellschaft rekrutiert. Das war
bei der Première des Schauspiels des „Einsamen Wegs“
das von den Künstlern des Berliner Lessingtheaters hier dar¬
gestellt wurde, wohl zu erkennen. Ein ausverkauftes Haus,
große Toiletten, großer Beifall nach allen Akten. Der Kundige
aber vermochte auch aus den Beifallsstürmen herauszuhören,
daß sie mehr dem Autor als dem Werk galten. Wenn wir recht
wahrgenommen haben, gehörte zu diesen Kundigen vor allem
der Autor selbst. Er erschien recht resigniert vor dem Vorhang.
Es wäre auch zu verwundern, wenn dieser melancholische
Grübler, der alle Schleier des schönen Scheines zu lüften
trachtet, gerade vor seinen eigenen Werken und Erfolgen Halt
machen würde. Das Glück streitbarer Selbsttäuschung ist ihm
nicht verliehen. Er weiß besser als seine Tadler, was ihm
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fehlt, und sie können ihn nicht blutiger zerreißen, als er es
beispielsweise in seinem „großen Wurst!“ selber tut. Es ist
ihm schwerlich wohl bei solchem Spiel, aber er hat nun ein¬
mal, wie manche seiner besten Gestalten, diese innere Redlich¬
keit, und etwas wie ein schmerzlicher Genuß ist auch gewiß bei
ihm mit der schonungslosen Vernichtung schmeichelnder Illu¬
sionen verbunden. Aus dem Rausche einer schon mit Resigna¬
tion durchtränkten Empfängnis gehen auch Werke von selt¬
samer Geistigkeit hervor. Aber die Bühne gewinnt man
nicht mit Gestalten, die „lebensalt, geboren kaum“ den über¬
großen reflexionsschweren großen Kopf auf den schwachen
Schultern kaum zu tragen vermögen. „Mehr Haltung und
weniger Geist“, sagt der Oberraisonneur des von lauter
Raisonneuren betretenen „einsamen Wegs“ der jetzt nachrücken¬
den Generation nach. Man möchte dem Poeten fast etwas von
Anatol=Schnitzler
dieser jüngeren Generation wünschen.
wurde lange für einen „galanten“ Schriftsteller gehalten. Mir
war selten eine Täuschung unverständlicher als diese. Seine
Marke ist gerade im Gegenteil ein grüblerischer, man möchte
sagen, alttestamentarischer Einschlag in der weltmännisch gro߬
städtischen Lebensabschilderung. Das leichte Blut von Wien
schäumt; der deutsch=kroatisch=polnisch=magyarisch=spanisch=italie¬
nische Mischling, der Wiener, und seine Schwester, das süße
Mädel, „genießen“ die kurze Spanne der Jugend ohne viel
Skrupel. Der Grübler und Arzt Schnitzler aber fragt sich, ob
das denn gut sein könne, und ob die sexuelle Ungebundenheit
zu gutem Ende führe. Immer von neuem wälzt er das
Problem. Er ist skeptisch gegen die steifleinene Jugend, bei
der Menschenleben und Menschenglück groben Sittlichkeitsge¬
bräuchen geopfert werden. Aber er ist auch skeptisch gegen das
neue Evangelium von der „prachtvollen schweifenden Bestie".
Und weil ihm im Gegensatz zu Zola die soziale Phantasie oder
der politische Wille fehlt, findet er auch den Ausweg nicht aus
dem Dilemma, der in eine andere soziale Ordnung mit ande¬
ren Eigentumsbegriffen weist. Er sieht, was ist, und sieht, daß
es nicht gut sei, aber er sieht nicht, wie es anders und besser
werden könne. Rein artistisch gibt das seinen Werken einen Reiz
mehr, den feinen Hauch von Wehmut, der wie die opalisierende
Lasur über dänischem Porzellan, über seine Gestalten lagert.
Aber es ist ein novellistischer Reiz, der auf der Bühne versagt.
Es fehlt das Erfrischende, das von jeder hoffnungsfreudigen
Weltanschauung ausgeht. Man kommt nicht gestärkt und ge¬
hoben aus einer Schnitzler=Première, sondern mit gelösten
Gliedern, erschlafft, wie aus einem Südtal, in dem der
Skirokko steht. Seiner beschaulichen Art entzieht sich auch die
Gestaltung einer fortschreitenden, fortreißenden Handlung und
schlichter vollblütiger Charaktere. Er gibt immer nur Zu¬
standsbilder und Selbstbespiegelungen in dreistündigem über¬
pointiertem Dialog ohne jeden Naturlaut. Als feine Sitten¬
bilder aus dem dekadenten Wien des zwanzigsten Jahrhunderts
werden alle seine Arbeiten ihren Wert behalten. Die Bühne
hat keinen Gewinn davon. Gespielt wurde von den Berliner
Gästen diesmal recht wenig befriedigend. Nur Herr Basser¬
mann zeichnete sich wieder durch eine feine Leistung aus.
Wer nicht das Glück hat, rechtzeitig im Kampf.um die Billette
einen Sitz in den vordersten Reihen zu erringen, versteht die
Hälfte des Gesprochenen nicht. So weit dürfte der Naturalis¬
mus doch nicht getrieben werden. Man geht ins Theater
schließlich auch zum Hören, und wenn auch die „Echtheit“ ver¬
langt, daß gedampft gesprochen werde, so verlangt wiederum
die Theaterakustik, daß wohlartikuliert, d. h. verständlich ge¬
sprochen werde. Die unentbehrliche Schminke ist ja auch un¬
reglistisch.