18. Der einsane Neg
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1
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.
Auschäfuitor Bürsoneourier
vom:
80011906
1
Unser Wiener Korrespondent schreibt uns:
Die Frühlingskunst, um nicht zu sagen der Kunst¬
frühling, welchen wir nun schon seit einer Reihe von
Jahren hauptsächlich dem verdienstvollen Wirken des
Berliner „Lessing=Theaters“ zu danken
haben, hat auch in diesem Mai wieder all seinen
Reiz entfaltet. Man hat Herrn Dr. Brahm be¬
sonderen Dank dafür gewußt, daß er in so trefflicher,
den Absichten des heimgegangenen Dichters so fein¬
sinnig nachspürender Weise die köstlichen Perlen von
Ibsens Dichtkunst dargeboten und nach dem Tode
des großen nordischen Magus nicht allein eine von
echtet Pietät getragene Gedächtnisfeier veranstaltete,
sondern auch soweit die vorhandene Zeit reichte, eine
Art zyklische Aufführung Ibsenscher Werke brachte.
Die fein abgestimmten Aufführungen, die Regie,
welche sich in allem an den Kern der Dichtung halt,
und Aeußerlichkeiten nur gerade jene Konzessionen
macht, die unbedingt notwendig sind, hat die
wärmste Würdigung gefunden.
Den Neuheiten, die uns diesmal das Gastspiel
des Lessing=Theaters vermittelie, war das Glück
nicht sonderlich hold. Arthur Schnitzlers Schauspiel
„Der einsame Weg hat auch hier nicht
tiefer zu packen vermocht. Schnitzler hat offenbar
einen Roman oder doch eine Novelle schreiben wollen,
die er vielleicht später dramatisiert hätte, hat aber
auf dem einsamen Weg zum Roman halt gemacht
und, wohl um sich die doppelte Arbeit zu ersparen,
das Werk halb
das Drama geschrieben.
halb dramatisch, halb Roman, halb
episch,
wichtige Mo¬
Bühnenstück. So fehlen auch
wird gezwungen,
tivierungen und der Zuhörer
anscheinend nebensächlichste Detail
auch auf das
mit förmlich angehaltenem Atem zu achten.
Arthur Schnitzler hatte in Frau Irene Triesch,
den Herren Bassermann, Sauer und Reicher¬
ausgezeichnete Anwälte. Ihnen gesellte sich in der
allerdings nur so nebenher in die Handlung ein¬
greifenden Rolle der Schauspielerin Frau Elie. Lah##
mgunzu, die die hellen Sonnenstrahlen—ihres
Humors und Gemüts über die Düsterkeit dieses
Lebensbildes gleiten ließ. Freilich hat der Wiener
Schauspielerin, dem bald lustigen, bald traurche#
Mädel, welches Frau Lehmann verkörperte, just die
wienerische Note gefehlt. In der trefflichen,
die feinste Faser des Herzens bloßlegenden
Darstellung durch Frau Lehmann f
dieser
Mangel jedoch nicht so auf, wie bei Herrn Emanuel
[Reicher, so verständig und nobel er den ver¬
einsamten Vater auch spielte, der Mangel an Liebens¬
würdigkeit, an dem, was es begreiflich erscheinen
lassen muß, daß er den Frauen so gefährlich wurde.
Vollends einem Rätsel gegenüber befand sich das!
Publikum bei Gerhart Hauptmanns „Und Pippa
tanzt“
Wenn nur die Vorgänge in diesen
Glashütten märchen
durchsichtiger gewesen
wären!
welche
daß auch
glastbe,
in des Dichters Lande, in das Riesengebirge gegangense#
wären, nicht im mindesten den Dichter zu verstehen
vermocht hätten. Am stärksten verblüfft hat wohl die
Erscheinung des faustischen Wundermannes. Dagegen
muteten die so lebendig veranschaulichten Szenen im
Wirtshaus und die ein wenig an Peer Gynt er¬
innernde Szene in der Baude des alten Huhn außer¬
ordentlich an, zumal in der jugendfrischen Ver¬
körperung durch Herrn Grunwald und Fräulein!
f.
Die unheimlich=echte, später erschütternbe
Gestaltung des Huhn durch Rudolf Rittner
kennen Sie ja von Berlin her.
Wenn Hauptmann fortfährt, in Mystizismus
zu arbeiten und Werke mit Ausschluß der Klarheit!
zu schreiben, so wird er sich nicht wundern dürfen,
wenn auch das Hauptmann so sehr zugetane Wiener
Publikum, welches in dem Schöpfer von „Hannele
Matterns Himmelfahrt“ und der versunkenen Glocke“
einen Dichter von überwältigender poetischer Kraft
verehrt, für seine Dramen kein — Verstärdnis mehn
zeigt.
S. L.
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Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Basel, Budapest, Chicago, Cleveland, Christiania,
Genf, Kopenhagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis,
New-Vork, Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.
Auschäfuitor Bürsoneourier
vom:
80011906
1
Unser Wiener Korrespondent schreibt uns:
Die Frühlingskunst, um nicht zu sagen der Kunst¬
frühling, welchen wir nun schon seit einer Reihe von
Jahren hauptsächlich dem verdienstvollen Wirken des
Berliner „Lessing=Theaters“ zu danken
haben, hat auch in diesem Mai wieder all seinen
Reiz entfaltet. Man hat Herrn Dr. Brahm be¬
sonderen Dank dafür gewußt, daß er in so trefflicher,
den Absichten des heimgegangenen Dichters so fein¬
sinnig nachspürender Weise die köstlichen Perlen von
Ibsens Dichtkunst dargeboten und nach dem Tode
des großen nordischen Magus nicht allein eine von
echtet Pietät getragene Gedächtnisfeier veranstaltete,
sondern auch soweit die vorhandene Zeit reichte, eine
Art zyklische Aufführung Ibsenscher Werke brachte.
Die fein abgestimmten Aufführungen, die Regie,
welche sich in allem an den Kern der Dichtung halt,
und Aeußerlichkeiten nur gerade jene Konzessionen
macht, die unbedingt notwendig sind, hat die
wärmste Würdigung gefunden.
Den Neuheiten, die uns diesmal das Gastspiel
des Lessing=Theaters vermittelie, war das Glück
nicht sonderlich hold. Arthur Schnitzlers Schauspiel
„Der einsame Weg hat auch hier nicht
tiefer zu packen vermocht. Schnitzler hat offenbar
einen Roman oder doch eine Novelle schreiben wollen,
die er vielleicht später dramatisiert hätte, hat aber
auf dem einsamen Weg zum Roman halt gemacht
und, wohl um sich die doppelte Arbeit zu ersparen,
das Werk halb
das Drama geschrieben.
halb dramatisch, halb Roman, halb
episch,
wichtige Mo¬
Bühnenstück. So fehlen auch
wird gezwungen,
tivierungen und der Zuhörer
anscheinend nebensächlichste Detail
auch auf das
mit förmlich angehaltenem Atem zu achten.
Arthur Schnitzler hatte in Frau Irene Triesch,
den Herren Bassermann, Sauer und Reicher¬
ausgezeichnete Anwälte. Ihnen gesellte sich in der
allerdings nur so nebenher in die Handlung ein¬
greifenden Rolle der Schauspielerin Frau Elie. Lah##
mgunzu, die die hellen Sonnenstrahlen—ihres
Humors und Gemüts über die Düsterkeit dieses
Lebensbildes gleiten ließ. Freilich hat der Wiener
Schauspielerin, dem bald lustigen, bald traurche#
Mädel, welches Frau Lehmann verkörperte, just die
wienerische Note gefehlt. In der trefflichen,
die feinste Faser des Herzens bloßlegenden
Darstellung durch Frau Lehmann f
dieser
Mangel jedoch nicht so auf, wie bei Herrn Emanuel
[Reicher, so verständig und nobel er den ver¬
einsamten Vater auch spielte, der Mangel an Liebens¬
würdigkeit, an dem, was es begreiflich erscheinen
lassen muß, daß er den Frauen so gefährlich wurde.
Vollends einem Rätsel gegenüber befand sich das!
Publikum bei Gerhart Hauptmanns „Und Pippa
tanzt“
Wenn nur die Vorgänge in diesen
Glashütten märchen
durchsichtiger gewesen
wären!
welche
daß auch
glastbe,
in des Dichters Lande, in das Riesengebirge gegangense#
wären, nicht im mindesten den Dichter zu verstehen
vermocht hätten. Am stärksten verblüfft hat wohl die
Erscheinung des faustischen Wundermannes. Dagegen
muteten die so lebendig veranschaulichten Szenen im
Wirtshaus und die ein wenig an Peer Gynt er¬
innernde Szene in der Baude des alten Huhn außer¬
ordentlich an, zumal in der jugendfrischen Ver¬
körperung durch Herrn Grunwald und Fräulein!
f.
Die unheimlich=echte, später erschütternbe
Gestaltung des Huhn durch Rudolf Rittner
kennen Sie ja von Berlin her.
Wenn Hauptmann fortfährt, in Mystizismus
zu arbeiten und Werke mit Ausschluß der Klarheit!
zu schreiben, so wird er sich nicht wundern dürfen,
wenn auch das Hauptmann so sehr zugetane Wiener
Publikum, welches in dem Schöpfer von „Hannele
Matterns Himmelfahrt“ und der versunkenen Glocke“
einen Dichter von überwältigender poetischer Kraft
verehrt, für seine Dramen kein — Verstärdnis mehn
zeigt.
S. L.