II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 374

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18. Der.
Heft 19
„Wiener Mode“ XIX.
sie wieder zu absichtsvoll. Sie unterstreicht ihnen zu viel. Sie spricht
immer gesper en Druck. Sie macht gewiß alles ausgezeichnet, aber sie
Kleine Wiener Theaterchronik.
macht es. Emanuel Reicher legte den Maler Fichtner mehr als
Die Berliner haben uns wieder einmal, wie so oft schon, das,
Kommerzialrat an. Die Akademie der bildenden Künste steht auf dem
Wiener Stück eines Wiener Dichters zugeführt. Import des Exports.
Schillerplatz und nicht auf dem Schottenring.
Genauer: Das Lessing=Theater des Herrn Dr. Otto Brahm hat im
*Der süß melancholische erste Akt im Gartenhof, der so ganz in der
Theater an der Wien Artur Schnißzlers Schauspiel „Der ein¬
Wiener Luft lebt, war in der Berliner Vorführung ganz ins Tiergarten¬
same Weg“ gespielt, ein durchaus wienerisches Stück, aus wienerischem
viertel entrückt. Das Stück ist gewiß sehr kunstreich gefügt. Aber es hat
Geist und Empfinden geboren, von sanft wienerischen Melancholien
doch auch einige mühsame erquälte Szenen, wo Heißluft=Dramatik mit
gewiegt. Es geht eine stille und milde Sehnsucht durch diese schwer¬
Hochdruck in die Handlung eingepreßt wird. Sardou und der jüngere
mütigen fünf Akte. „Tod, wo ist dein Stachel,“ heißt's in einem
Dumas schweben über den großen Vater= und Sohn=Szenen. Und die
Schwermut dieser fünf langen, melancholischen Akte wirkt g.iederlösend
alten Choral.
Ja, eine stille, heimliche Sehnsucht nach dem Erlöschen
und erschlaffend, und die süßeste Poesie, das tiefste Todessehnen und
aller Lebensflammen zieht durch dieses ernsthafte und schwerblütige
Sterbensschmachten, alle Lyrismen der Lebensmüdigkeit setzen sich
Stück. Anatole ist weise geworden. Er resigniert sich, er sieht sich
langsam, sachte und allgemach in eine noble, einschmeichelnde, ein¬
nach den Söhnen um seines Jugendübermutes und Lebensfrohsinns.
schläfernde Langweiligkeit um. Diese Menschen sterben sehr langsam ab
Der Maler Julian Fichtner hat gelebt und geliebt. Nun zeigen sich
an ihren umständlichen Vergangenheiten, sie setzen sich ausführlich gegen¬
die grauen Haare an den Schläfen, und er erinnert sich eines Sohnes,
seitig auseinander, und ein jeder von ihnen kommt sich so innerlich
der nicht ahnt, daß der Gatte seiner Mutter nicht sein Vater ist,
bedeutend vor, so fabelhaft grenzenlos wichtig.
sondern Herr Julian Fichtner. Aber der Sohn dankt ihm die verspätete
Einige wollen finden, daß Schnitzler sich an Ibsen über¬
Entdeckung schlecht. Die allgemein beliebte Stimme der Natur schweigt,
studiert habe. Das ist nun wohl nicht der Fall. Er ist Schnitzler ge¬
gründlich, endgültig. Der Sohn weist den verspäteten Anwärter auf
blieben, der liebenswürdige, feine, graziöse Causeur, der nur ein
tindliche Liebe und Sohnespflicht schnöd von sich ab. Die Frist
bißchen ruhiger, gelassener und beschaulicher ward. Nachdenklicher. Er ist
versäumt, die Vaterrechte wurden nicht zum gehörigen Termin ange
künstlerisch gereift und gewachsen. Freilich vorläufig mehr in die
meldet. Vater ist, Vater bleibt, wer als Vater gehandelt hat. In
Breite als in die Tiefe.
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diesem Stück kommt auch ein alternder Dichter vor, der todkrank, ohne
es zu ahnen, nach Baktrien geht, um aus dem Pesthauch eines
Sumpfes tausendjährige Altertümer hervorzugraben, versunkene Städte,
vermoderte Kulturen. Viele von uns wollen noch irgend ein altes:
Battrien wieder zurückrufen, selbst todeswund und todesreif! Ein
liebendes Mädchen zeigt zärtlich den Weg ins Schattenreich und
leuchtet mit der gesenkten Fackel voraus den dunkelnden Schattenpfad
ins Todesreich.
Und alle diese Traumesmenschen, diese Schicksalsmarionetten
reden sehr klug und sehr verständig; und auch eine kleine Wiener
Schauspielerin ist da, die aus dem lustigen Schiffbruch ihres
Lebens nichts weiter gerettet hat als ein wenig resignierten, schmerz
haften Humor. Ihre Sehnsucht nach dem Kinde ist unendlich rührend,
und schön ist, wie aus dem Gewohnheitsspaß und Berufslachen das tiefe, ##
echte, weibliche Gefühl hervorbricht. Diese Wienerin — wer denkt da
nicht an Hausi Niese?! — spielte uns Eise Lehmann, die Vollblut¬
berlinerin. Fern sei es, die großen Verdienste dieser hochbegabten Frau,
dieser echten Meisterin zu verkleinern. Sie spielt die Ex=Soubrette
wirklich schön, echt, liebenswürdig, lebenswahr. Aber sie ist nicht
wienerisch, kann's nicht sein. Und ebenso wenig wienerisch sind die
andern vortrefflichen Schauspieler der wohleinezelzierten Brahm¬
Truppe, die Sauer, Bassermann, Marr. Irene Triesch wird
sehr bewundert. Sie hat einen stattlichen Kreis von eingeschworenen
Verehrern, die mit ihr gehen, die zu ihr halten. Andere Leute finden