II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 375

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18. Der einsane beg
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Bühnenschau
Wiener Theater.
Im Mai liegt die Theatersaison im Sterben; es ist der Monat der „Mu߬
stücke", d. h. der Novitäten, die vertragsgemäß noch heruntergespielt werden müssen,
wenn auch vor leeren Häusern; dem Publikum hat der Frühling die Lust benommen,
sich auf einige Stunden in den dumpfig heißen Zuschauerraum einzusperren. Trotz
mancher Premierenabende gäbe es nichts Rechtes zu berichten, wenn nicht Direktor
Brahm vom Berliner Lessing=Theater mit seiner Künstlerschar das Theater
an der Wien bezogen und uns einiges Interessante beschert hätte. Die Gäste
brachten vor allem Hauptmann, Ibsen und Schnitzler, dessen „Einsamer Weg“.
seltsamerweise erst auf dem Umwege über Berlin zu seiner Vaterstadt führte, viel¬
leicht, weil dies in Wien spielende Stück des Wiener Schriftstellers in seiner schwer¬
mütigen Versonnenheit eigentlich doch recht unwienerisch ist. Aber auch den Berliner
Gästen schien es nicht zu „liegen“, jedenfalls fühlten sie sich darin nicht so wohl
wie z. B. an den Hauptmann=Abenden. Außer dem altbekannten „Biberpelz“
kamen Hauptmanns Jüngstgeborene zur Aufführung: das an Handlung arme, an
düstern Stimmungsbildern reiche Drama „Elga“ (ek. S. 298) und das seit seiner
Uraufführung (am 19. Januar d. J. im Lessing=Theater in Berlin) so viel bekrittelte
und umstrittene „Glashüttenmärchen“ in 4 Akten „Und Pippa tanzt“. — Ob es
in Berlin und Wien wohl noch einen Rezensenten gibt, der sich nicht bereits den
Kopf darüber zerbrochen hat, wer Pippa ist und was ihr Tanzen zu bedeuten hat?
Der Theaterzettel nennt sie die Tochter eines italienischen Glastechnikers; sie tanzt
in einer ungemütlichen Wirtshausstube hoch oben im schlesischen Gebirge, weil der
verliebte Hüttendirektor ihrem Vater Geld gegeben hat, — oder weil der alte Huhn,
ein scheusalähnlicher Waldmensch, unheimliche Macht über sie ausübt, — oder weil
sie sich auf den ersten Blick in den reisenden Handwerksburschen Michel Hellriegel,
den kindischen, übermütigen, sich unbezwingbar dünkenden Schwärmer, verliebt hat.
Der alte Huhn raubt sie, weil er das liebliche Kind trotz seines eigenen Alters und
seiner Bärenhaftigkeit keinem andern lassen will, aber der glückliche Michel findet sie,
ohne sie gesucht zu haben, und verlebt mit ihr eine wonnige Stunde, in der er sie
in seine phantastische Traumwelt einführt; dann ziehen sie eng umschlungen hinaus
in Schnee und Eis, der Märchenferne, dem „Frühlingsabgrund“ entgegen. Sie ge¬
raten zu dem hoch oben im Gebirge in einer Gelehrtenstube hausenden Wann, einer
„mystischen Persönlichkeit“. Der läßt Michel mit Pippas und eines Zauberschiffchens
Hilfe das Land seiner Sehnsucht schauen, beredet das Pärchen jedoch, wenigstens
eine Nacht in seinem Hause zu rasten, da er nur einmal wieder Hoffnung und
Jugendmut unter seinem Dache beherbergen möchte. Er stößt den alten Huhn zu
Boden, der sich, die Flüchtlinge verfolgend, eingeschlichen hat, und geht hinaus in
die Nacht, den Tod zu holen, nach dem der verwundete Waldmensch schreit; beim
Fortgehen warnt er Pippa, in seiner Abwesenheit nicht etwa zu tanzen! Sie tut
es dennoch, Huhns Wille zwingt sie, — sie muß tanzen, es reißt sie mit Gewalt
dazu, — bis sie tot zusammenbricht. Michel aber weiß nichts davon: die Welt der
Wirklichkeit ist für ihn in ewige Nachi gesunken dafür erstrahlt seine Traumwelt
schöner als je; Wann redet ihm ein, daß er # goldenes Schlüsselein besitze, das
ihm die Tore all seiner Luftschlösser öffnenn ##e, und daß Pippa ihm mit einer
Fackel voranleuchte, und in glückseliger Schwärmerei ein Liedlein blasend, wandert
der blinde Michel, der dennoch mehr sieht als alle andern Menschenkinder, in das