II, Theaterstücke 18, Der einsame Weg. Schauspiel in fünf Akten (Junggeselle, Junggesellenstück, Die Egoisten, Einsame Wege, Wege ins Dunkle, Weg zum Licht), Seite 395

Sam
18. DerNer
box 23/4
Husschnitt aus:
Fremdenblatt, Wien
20FEB 1914
vom:
Wheater und Kunst.
(Burgtheater.) Vor mehr als zehn Jahren schrieb Artur
Schnitzler dieses Schauspiel, das in seiner leisen Zartheit auf
Bühnenwirkungen freilich verzichtet, das aber an
innerer Kraft und menschlicher Fülle zu den besten und reissten
Werken gehört, die uns das moderne Theater zu bieten hat: „Der
einsame Weg“. In keinem anderen seiner Stücke ist Schnitzler
so vollendet als Gestalter, so meisterhaft in der Führung der
— niemals von außen her bewegt — Zunz aus
Handlung, die sich
sich selbst, fast unmerklich entwickelt, mit einer Selbstverständlichkeit,
die fast schon ans Rätselhafte grenzt. Und nirgendwo sind die Zu¬
sammenhänge des Dichters mit seiner, mit unserer Zeit tiefer geknüpft
als in diesem Werk, das von edler Nachdenklichkeit durch¬
schimmert nichts von jener heiteren, wienerisch walzermäßigen
Erotik enthält, die man so gern als Schnitzlers einzige persönliche Note
bezeichnen möchte. Dieses Werk, von dem noch ausführlicher die Rede
sein soll, entschleiert das Zusammenleben einer Familie und ihrer
Freunde. Lauter wertvolle, vornehme und gütige Menschen, auch
nach der Entschleierung, alle einander geneigt, alle voll des besten
Verstehens, aber ein jeder von ihnen einsam in seinem Leben und
einsam in seinem Schicksal. Dieses Alleinstehen kann zuletzt als
eine Dürftigkeit menschlicher Empfindungen gelten. Als die Erkenntnis,
daß jene Liebe, die uns wirklich einander verbinden würde, nur ein
Traum ist, oder eine holde Lüge, oder ein unerprobtes Wort, daß sie in
Wahrheit aber über unsere Kraft gel.. Otto Brahm hat den „Einsamen
Weg“ vor acht Jahren am Berliner Lessing=Theater gespielt und
diese schöne, besonders durch Bassermann unvergeßliche Aufführung
dann auch in Wien gezeigt. Das Burgtheater, das sich damals
Schaffen Artur Schnitzlers verschloß, nimmt sich jetzt neben
anderen erfolgreichen Werken Schnitzlers dieses seines besten
an und ermöglicht ihm dadurch eine dauernde Existenz auf der
Herr Harry Walden gibt den Herrn v. Sala, die intere
Gestalt des Stückes. Er exponiert sich damit, denn er wird es
bis zum Ueberdruß zu hören kriegen (was er ja natürlich sell
daß er nämlich „kein Bassermann“ ist. Gewiß, er spielt di
anders, als Bassermann sie gespielt hat, der die innere Prach
wunderbar verriegelten Natur aufzuschließen verstand, ohne d
einen einzigen Riegel indiskret zu heben. Herr Walden ist ebe
andere Individualität. Er kann eine Rolle nicht „nachspi
was kleinere Leute ja manchmal treffen. Auch er läßt der
Wesen des Herrn von Sala seine Verschlossenheit. Nur daß
bei ihm mehr ein nachdenklicher Sonderling durchschimmert
als ein aristokratisch ästhetischer Typus. Herr Walden ist mehr
Einzelerscheinung und er ist vielleicht um einige Grade weicher
im Gemüt als Bassermann. Aber die völlige Einsamkeit des Sala
machte es überzeugend und ergreifend deutlich. Neben ihm stand
Fräulein Wohlgemuth als Johanna mit einer güten Leistung,
der nur noch die letzte, aber deswegen auch die wichtigste Intensität
mangelt. Herr Gerasch gibt den Felix, wie er alle jungen Männer
im modernen Salonstück gibt. Dieser junge Mann aber, bei dem man
etwa an den jungen Ferdinand v. Saar im Offiziersrock denken
möchte, verlangt einen stärkeren geistigen Einschlag. Auch Herr
Devrient als alternder Maler Julian Fichtner ver¬
sagt an den geistigen Elementen seiner Rolle. Sehr. rührend
ist Frau Haeberle als Mutter. Es bleibt verwunderlich, wie
Schauspieler sich manchmal entwickeln. Frau Haeberle, die in jugend¬
lichen Rollen nur selten ansprechen konnte, stellt sich nun als eine
wirklich wertvolle Besonderheit heraus, wenn sie ältere, unglückliche
und leidende Frauen spielt. Da hat sie einen rührenden Tou. in

dem ein ganzes Schicksal mitzuklingen scheint. Als Professor
Wegrath gibt Herr Paulsen eine lebendige Gestalt. Doch
gleich den Silberfäden in dem Bart, den er diesmal trägt,
zieht sich die allzu monotone Natürlichkeit, in die er so
gern verfällt, durch seine Leistung. Von entzückender Wahrheit dagegen.
erfrischend echt und sprühend in einem ganz unwillkürlichen Humor ist
die Irene, die resignierte, alternde Schauspielerin, der Frau
Bleibtreu. Es ist das Beste, was sie in diesem Jahr zu bieten
hatte. Die ganze Aufführung hat eine bezaubernde Atmosphäre, ist
zerfüllt vom Duft und vom Wesen Wiens. Der von Häusern eingeengte
Garten bei Wegraths, die Dornbacher Villa und ihr Park, das ist so
durchaus Wien, danes gleich einer lebendigen Szenerie mitspielt. Die
Wirkung die das Stück auf die Zuhörer übte, war sehr stark. Es
gad einen Erfolg, dem merkbar genug eine gewisse Feierlichkeit bei¬“
zemengt war.
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